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Drohende Energiekrise
Was ist wichtiger, mehr Strom oder die Fische?

Wie viel Wasser sollen die rund 1300 Wasserkraftwerke in der Schweiz zurückhalten dürfen? Das Kraftwerk Hagneck beim Bielersee. 
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Weniger heizen. Leuchtreklamen verbieten. Strassenlaternen abschalten.

An Ideen, wie wir Energie sparen sollen, mangelt es derzeit nicht. Doch sie reichen nicht: Davon sind bürgerliche Ständeräte um Beat Rieder (Die Mitte) und Ruedi Noser (FDP) überzeugt. Hinter verschlossenen Türen suchen sie nach Wegen, auch die Stromproduktion zu erhöhen. Und zwar sehr rasch, noch vor dem Winter.

So kurzfristig gebe es nur ganz wenige Möglichkeiten, sagt der Walliser Mitte-Ständerat Beat Rieder. Eine solche Möglichkeit hat er in der «SonntagsZeitung» skizziert: Die Restwassermengen sollen sinken. Damit fassen Rieder und seine Mitstreiter ein ganz heisses Eisen an.

Es geht um die Frage, wie viel Wasser die Betreiber der rund 1300 Schweizer Wasserkraftwerke hinter ihren Staumauern zurückhalten dürfen. Und wie viel sie durchlassen müssen, damit Fauna und Flora unterhalb des Kraftwerks überleben. Weniger Restwasser bedeutet: mehr Strom.

Weniger Restwasser ist aber ein Problem für manche Tiere und Pflanzen am und im Wasser. Wegen des heissen Sommers sterben derzeit ohnehin so viele Fische wie noch nie (lesen Sie hier mehr zum Fischsterben). Doch das Restwasser ist mancherorts auch wichtig für die Menschen: für das Grund- und Trinkwasser und für die Landwirtschaft.

2011 wurden die Vorgaben erhöht

Seit 1991 sind die Restwassermengen im Gewässerschutzgesetz vorgeschrieben. 2011 wurden diese Vorgaben vom Parlament verschärft – als Kompromiss mit dem Fischereiverband, der dafür damals seine Volksinitiative «Lebendiges Wasser» zurückzog.

Diese Gesetzesvorgaben will Rieder nun antasten – zumindest für den nächsten Winter. Man könnte die Vorschriften über Restwassermengen «ausser Kraft setzen», sagte er in der «SonntagsZeitung». Damit könne man die Stromproduktion um 600 Gigawattstunden erhöhen, hofft Rieder. «Natürlich ist das für die Fische in den Flüssen nicht gut. Aber was sind die Alternativen?» Die Inbetriebnahme von Ölkraftwerken oder der wirtschaftliche Schaden durch einen Strom-Blackout wären schlimmer, so Rieder.

Er hat laut eigener Aussage «nur skizziert, was möglich wäre»: Mitte-Ständerat Beat Rieder. 

Der Hintergrund für Rieders Vorschlag: Seit über einem Jahr brütet die Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Ständerats (Urek) über einer Gesetzesrevision für eine «Sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien» (lesen Sie mehr dazu). Diese Vorlage soll die Energieversorgung mittelfristig sichern. Doch angesichts der drohenden Mangellage erwägen Rieder und andere Kommissionsmitglieder nun, kurzfristige Notmassnahmen vorzuziehen.

Beat Rieder und Ruedi Noser äussern sich nicht zu konkreten Anträgen – sie verweisen auf das Kommissionsgeheimnis. Rieder sagt, er habe in der «SonntagsZeitung» «nur skizziert, was kurzfristig möglich wäre». Gemäss Recherchen dieser Zeitung liegt die Restwasserfrage aber tatsächlich auf dem Tisch der Kommission. Erste Vorentscheide könnte diese schon an ihrer nächsten Sitzung vom 26. August fällen.

Das Referendumsrecht wäre ausgehebelt

Technisch ist es möglich, eine entsprechende Gesetzesänderung innert Wochen durchs Parlament zu peitschen. Und zwar so: Rieders und Nosers Kommission könnte eine parlamentarische Initiative lancieren. Diese würde in der Herbstsession, die vom 12. bis zum 30. September dauert, im Sonderverfahren von beiden Räten verabschiedet. Zudem würden National- und Ständerat die Gesetzesänderung «dringlich» auf Anfang Oktober in Kraft setzen.

Das wäre kein Notrecht. Aber ein Referendum wäre erst nachträglich möglich – oder gar nicht, wenn das Parlament die Gesetzesänderung auf maximal ein Jahr beschränkt.

SP-Nationalrätin und Pro-Natura-Präsidentin Ursula Schneider Schüttel warnt vor einer Anpassung der Wassermengen.

Brisant an Rieders Vorschlag ist, dass er gegen das Ergebnis des runden Tisches von Energieministerin Simonetta Sommaruga verstossen würde. Im Dezember 2021 hatten sich die Energiebranche und drei Umweltverbände darauf geeinigt, 15 Wasserkraftprojekte prioritär voranzutreiben. Pro Natura, der WWF und der Fischereiverband verpflichteten sich implizit dazu, diese Projekte nicht zu blockieren. Im Gegenzug wurde ihnen zugesichert, dass die geltenden Restwassermengen «einzuhalten seien».

Mitunterzeichnet hat diesen Kompromiss auch der Präsident des Fischereiverbandes, SP-Ständerat Roberto Zanetti, der ebenfalls in der Urek sitzt. Auch er will sich nicht zu den Kommissionsberatungen äussern, er sagt aber: «Ich halte mich an die Bundesverfassung und an das Ergebnis des runden Tisches.» Die mögliche zusätzliche Stromproduktion stehe «in keinem Verhältnis zum ökologischen Schaden, den eine Senkung der Restwassermengen verursacht».

Auch die Präsidentin von Pro Natura, SP-Nationalrätin Ursula Schneider Schüttel, warnt davor, an den Restwassermengen zu schrauben. «Wir haben nicht nur eine Energiekrise, sondern auch eine Biodiversitätskrise. Diese dürfen wir nicht noch verschärfen.»