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Kulturgeschichte der Ohrfeige
Was heisst hier schlagfertig?

Zack, bumm: Die Ohrfeigenexperten Bud Spencer (hier ausnahmsweise als Einsteckender) und Terence Hill am Werk.
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Wir befinden uns im 21. Jahrhundert. Wenn von einem «Duell» die Rede ist, geht es meistens um Fernsehsendungen, in denen Halbprominente oder Gartenliebhaber gegeneinander antreten. Meinungsverschiedenheiten werden eher mit Worten gelöst, nicht mit Fäusten. Daran muss erinnert werden, in diesen Zeiten, in denen sich manche Männer angesichts des Kriegs nach archaischer Männlichkeit sehnen und andere vor Publikum Ohrfeigen verteilen.  

Zwei öffentliche Backpfeifen sind innerhalb von gut 24 Stunden gefallen. Die eine musste Oliver Pocher am Rande eines Boxkampfs am Samstagabend einstecken, weil der Angreifer, der sich offenbar Fat Comedy nennt, nicht mit der Meinung des Komikers übereinstimmt. Den zweiten Schlag verteilte US-Schauspieler Will Smith bei der Oscarverleihung am Sonntagabend an seinen Kollegen Chris Rock, der zuvor einen geschmacklosen Witz über Smiths Frau gemacht hatte. «Du musst deine Familie beschützen», sagte Smith später, als lebte er im Mittelalter. Standing Ovations erhielt er trotzdem, als er als bester Hauptdarsteller ausgezeichnet wurde.  

Will Smith schlägt Chris Rock – die Bilder von der Oscar-Verleihungen gingen um die Welt.

Dass beide Backpfeifen vor Publikum stattfanden und gefilmt wurden, ist kein Zufall. Die Ohrfeige ist die Urform der öffentlichen Demütigung. Eine Ohrfeige soll nicht in erster Linie wehtun. Sie soll klatschen, überraschen und blossstellen. Das zeigt schon die Redewendung «sich geohrfeigt fühlen». Noch herablassender ist sie nur mit der Rückhand, als wolle man sich nicht mal die Hände schmutzig machen.  

Schon Jesus hatte nicht nur einen sehr versöhnlichen Hinweis parat, wie man mit Schlägen umgehen kann, er wurde in der Bibel auch selbst geohrfeigt; ein Diener des Hohepriesters schlug ihm laut Johannesevangelium ins Gesicht. Und schon damals stand die Ohrfeige für Macht, in diesem Fall liess der Hohepriester sogar schlagen und musste nicht mal selbst Hand anlegen.

Allein der Begriff «Respektschelle» zeigt, dass sich der Höhergestellte seine Macht zurückholen will, die er infrage gestellt sieht. Früher ein probates Mittel, um zu zeigen, wer das Sagen hat: der Vater, der das Kind schlägt, der Lehrer, dem die Hand ausrutscht, der Ehemann, der seine Frau züchtigt.  Dass der Pädagoge Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827) Schläge als geeignetes Erziehungsmittel erklärte, mag vor dem Hintergrund der Zeit nicht überraschen. Dass in den vergangenen Jahren, je nach Umfrage, auch in der Schweiz zehn bis zwanzig Prozent der Eltern es okay fanden, ihren Kinder ab und zu eine Ohrfeige zu verpassen, schon eher.

Hermine Granger gegen Draco Malfoy, Asterix und Obelix gegen die Römer – den Guten verzeiht man die Ohfreigen rasch.

Als besonders demütigend gilt die Ohrfeige, wenn sie umgekehrt stattfindet: Wenn der Untergebene den Überlegenen schlägt, der Junge den Alten, die Frau (als körperlich vermeintlich Schwächere) den Mann. Wohl auch deshalb hallt die Backpfeife, die Beate Klarsfeld 1968 Kurt Georg Kiesinger verpasste, besonders lang nach. «Nazi, Nazi, Nazi», rief die Journalistin und Aktivistin dem damaligen deutschen Bundeskanzler zu, als sie aufs Podium stürmte und ihm eine verpasste. Aufgrund seiner Vergangenheit in der NSDAP hatte sie lange seinen Rücktritt gefordert. 

Öffentlich sind diese Schellen oft schneller mal verziehen als die von oben herab. Die popkulturell beliebtesten Ohrfeigen sind sicherlich die der Guten gegen die Bösen. Hermine Granger gegen Draco Malfoy, Asterix und Obelix gegen die Römer. Und natürlich – mit dem Sound eines gepeitschten Schnitzels unterlegt – Bud Spencer und Terence Hill gegen allerlei Schurken (und manchmal auch gegeneinander).

Die schlagfertigeren Gesten sind meistens schlagfrei.

Auch in Liebesfilmen gibt es die wohlplatzierte Watsche, mit denkwürdigem Geschlechtergefälle. Während ein Mann es demnach niemals wagen würde, die Hand gegen eine Frau zu erheben, galt die von weiblicher Hand ausgeführte Ohrfeige lange Zeit als fast schon pflichtgemässe Reaktion auf das Verhalten eines allzu kecken Buhlers. «Sie Schuft!», hatte sie zu rufen, bevor sie die kleine Hand auf die Wange des Mannes sausen liess. Der quittierte den Schlag mit einem Lächeln. Süss, sagte sein Blick, und jetzt küss mich, du willst es doch auch.

Zu bewundern ist diese Kulturtechnik auch bei Karin Dor als Bondgirl 1967, nur rief sie: «Sie sind ein Lügner!», bevor ihre flache Hand an Sean Connerys Gesicht klatschte. Trotzdem liess der Kuss nicht lange auf sich warten.  

Ein Kuss oder das mit der anderen Wange wäre natürlich eine souveräne Antwort von Chris Rock auf Will Smiths Entgleisung gewesen. Fast immer sind die schlagfertigeren Gesten schlagfrei. Wie etwa bei der damaligen Linken-Fraktionschefin in Thüringen, Susanne Hennig-Wellsow, als sie 2020 Thomas Kemmerich zur Wahl der durch AfD-Stimmen erlangten Ministerpräsidentschaft gratulierte und ihm den Blumenstrauss vor die Füsse warf. Blumen hatten Fat Comedy und Will Smith wohl gerade nicht zur Hand.