Interview mit PolitologenWas die Resultate aus Zürich und Liestal für die nationalen Wahlen bedeuten
Die SVP und Die Mitte sind im Kanton Zürich die Siegerparteien, während die Grünen verlieren. Politologe Hans-Peter Schaub deutet dies im Hinblick auf den Herbst.
Herr Schaub, Zürich und das Baselbiet haben gewählt. Was fällt Ihnen auf?
Zuerst einmal die grosse Stabilität. Dann – und erst dann – der Verlust der Grünen, die Stagnation der Grünliberalen im Kanton Zürich und, dass in beiden Kantonen Die Mitte auf tiefem Niveau zulegen kann.
Was sagt uns das im Hinblick auf die nationalen Wahlen im Herbst?
Zürich bildete die letzten 16 Jahre, was die Trends anbelangt, eine gute Basis. Die Gründe dafür sind klar – Zürich wählt kurz vor der Schweiz. Dann haben wir eine Parteienlandschaft, die in Zürich ähnlich differenziert ist wie national. Und schliesslich spielen in Zürich rein lokale Gegebenheiten eine ähnlich untergeordnete Rolle wie gesamtschweizerisch.
Also ist schon heute vieles klar für die Wahlen im Herbst: Die Grünen verlieren, SP und FDP treten mehr oder weniger an Ort, die SVP bleibt vorn?
Es bleiben schon noch Ungewissheiten. Nicht zu vergessen ist, dass es noch acht Monate dauert, bis eidgenössisch gewählt wird. Da kann sich die Lage im Ukraine-Krieg, bei der Migration, beim Sommerwetter und damit bei der Klimadiskussion oder auch bezüglich Konjunktur noch ändern. Auch ist die Ausgangslage in anderen Kantonen eine andere als in Zürich. Die GLP, beispielsweise, ist bisher nirgends sonst so stark wie in Zürich. In Zürich hat die GLP nun offenbar einen Plafond erreicht, aber in anderen Kantonen kann sie durchaus noch Potenzial zum Zulegen haben.
Viele erwarteten, dass die Grünen wegen der Klimakrise zulegen. Nun stellt man fest, dass auch bei den Grünen die Bäume nicht in den Himmel wachsen.
Für die Grünen waren die Wahlen vor 4 Jahren etwas Besonderes. Zürich brachte ihnen ein einmaliges Resultat und ein Niveau, das sie nun nicht mehr halten können. Die Diskussionen über die Energieproblematik verlaufen nicht im Sinn der Grünen. Die Versorgungssicherheit und bezahlbare Energie dominieren die Diskussionen, ökologisches Energiegewinnen folgt erst an zweiter oder dritter Stelle. Zudem ist es für die traditionell pazifistische Partei eine Herausforderung, sich bei virulent gewordenen Themen wie den Waffenlieferungen und der Neutralitätsfrage klar zu positionieren.
«Megatrends zu brechen, das schafft eine Partei bis im Herbst nicht mehr.»
Umgekehrt fällt beim selben Thema auf, dass es auch den Bürgerlichen nicht gelingt, deutlich zuzulegen. Und dies trotz Fokus auf wirtschaftliche Stabilität und Sicherheit. Weshalb?
Das ist schwierig zu beantworten. Die FDP war seit 1979 in einem langfristigen Abwärtstrend. Jetzt hat sie sich stabilisiert, im Baselbiet hat sie sogar zugelegt. Das ist bemerkenswert und kann durchaus eine Folge dieser Themenkonjunktur sein. In Zürich habe ich den Eindruck, dass der Partei die Regierungsratswahlen nicht unbedingt genützt haben. Der FDP fehlten dort Zugpferde, mit denen sie ihre Wählerschaft über ihren harten Kern hinaus hätte mobilisieren können. Die SVP hat im Kanton Zürich das zweitschlechteste Resultat der letzten 25 Jahre eingefahren, im Kanton Baselland konnte sie nur einen kleinen Teil der Verluste von 2019 wettmachen. Von einem tollen SVP-Ergebnis kann man trotz leichtem Plus nicht reden. Ich gehe davon aus, dass etwa ihre neutralitätspolitische Positionierung ausserhalb ihrer Kernklientel nicht unbedingt zieht.
Die Mitte verlor über die Jahre massiv – und jetzt gibt sie Lebenszeichen.
Ja, das ist tatsächlich interessant. In beiden Kantonen, die gestern wählten, konnte die vereinigte Mitte die Summe der fusionierten BDP und der CVP nicht nur halten, sondern sogar leicht steigern. Das war so nicht zu erwarten. Allerdings darf man aufgrund der geringen Wähleranteile der Mitte in Zürich und Baselland nicht zu viel in dieses Resultat interpretieren, in anderen Kantonen startet Die Mitte von einem höheren Niveau und kann darum auch mehr verlieren.
Kann der Wahlkampf bis im Herbst noch grössere Veränderungen bringen?
Megatrends zu brechen, das schafft eine Partei bis im Herbst nicht mehr. Dafür ist es zu spät. Trotzdem bleibt der Wahlkampf bis im Herbst wichtig. Es gilt dabei vor allem ein Ziel zu erreichen, nämlich möglichst viele der eigenen Wähler und Wählerinnen zu mobilisieren. Da haben alle Parteien – mit Ausnahme der SVP – viel Luft nach oben. Die SVP ist eine Meisterin, ihr Potenzial maximal auszuschöpfen. Alle anderen schaffen das nicht im selben Ausmass.
Weshalb bleiben die Corona-Gegner mit ihrer Partei Aufrecht trotz Grossaufmärschen während der Corona-Krise am Wahlsonntag marginalisiert?
Überraschend ist das kaum, erwähnenswert aber schon. Dank Parteiübertritten waren sie bisher in zwei Kantonsparlamenten vertreten, Zürich und Thurgau. In Zürich konnten sie den Sitz nun nicht halten, und abgesehen von ganz vereinzelten Lokalwahlen konnte Aufrecht bisher nirgends reüssieren. Wahlen gewinnt man nicht mit Demonstrationen, dafür braucht es funktionierende Organisationsstrukturen und zugkräftiges Personal – das erweist sich für Aufrecht wie früher schon für andere Bewegungen als zu anspruchsvoll.
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