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Leser fragen
Warum ruft mich niemand an?

«Wenn Sie wieder am sozialen Leben teilnehmen möchten, bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als vom Telefon Abschied zu nehmen und mit anderen sozialen Medien zu experimentieren», riet Peter Schneider in seiner letzten Kolumne: Videokonferenz in einem Altersheim im Schweizer Chateau-d'Oex.
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In Ihrer Kolumne vom 15.4. antworten Sie einer 76-jährigen Frau: «Ich glaube, wenn Sie wieder am sozialen Leben teilnehmen möchten, bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als vom Telefon Abschied zu nehmen und mit anderen sozialen Medien zu experimentieren.» Ich weiss nicht, wo Sie Ihren «Psychoanalytiker«-Titel erworben haben, aber dies berechtigt Sie nicht, einer 76-jährigen Frau solche unsinnigen Ratschläge zu erteilen …..! F.S.

Ihre Antwort ist eine Zumutung. Ich bin selber seit ein paar Monaten Witwe und um einiges jünger als Frau D., bin gut vernetzt und weiss aus meiner kurzen Erfahrung, was Frau D. anspricht. Ein Eingeständnis, dass Sie die Lebenswelt des Witwendaseins nicht verstehen, sich jedoch mit Social Media gut auskennen, wäre ehrlicher gewesen. J.P.

Warum scheut Peter Schneider die Wahrheit? Frau D. erlebt, was viele ältere Menschen (wie auch ich) erfahren: Kinder und Enkel haben den alten Menschen abgeschrieben. Sie haben andere Interessen und andere Sorgen. M.M.

Warum sagen Sie uns (80) nicht, dass sich die Wertschätzung gegenüber den Mitmenschen geändert hat. S.H.

Liebe Frau P., liebe Herren H., M. und S.

Ganz offensichtlich habe ich mit meiner Antwort voll ins Klo gegriffen. Dabei bestand sie ja nicht nur aus einem spekulativen Teil (meinen Überlegungen zum Niedergang des Telefonierens), sondern auch aus einem ganz praktischen Tipp, nämlich, selber anzurufen, wann immer einem danach ist.

Ich muss zugeben, dass mich Ihre heftigen Reaktionen gekränkt haben: Nicht nur, weil ich meinen Vater, der keinen Internetanschluss hat, täglich anrufe, sondern auch, weil ich von Ihnen wie ein dummer Jungspund (mit 63!) behandelt werde, der vom Alter keine Ahnung hat.

Da Beleidigtsein aber kein Argument ist, sollte ich in Betracht ziehen, dass ich Blödsinn verzapft habe. Ich vermute, aus der Angst, in ein ressentimentgeladenes Klagen über den Egoismus der Menschen, insbesondere der Kinder und Enkel, einzustimmen.

Zur Trauer kommt hinzu, dass man realisiert, wie fragil soziale Bindungen sind.

Das möchte ich auch jetzt nicht. Aber ich habe mich wohl vor dem Gedanken gedrückt, wie leicht man aus dem sozialen Leben herausfallen kann – z.B. wenn man den Ehemann verliert: Zur Trauer kommt hinzu, dass man realisiert, wie fragil soziale Bindungen sind. Nicht weil die anderen Menschen so schlecht sind, sondern weil der persönliche Verlust auch ein sozialer Verlust ist, der das gesamte Beziehungsnetz erschüttert. Das betrifft nicht nur Verwitwete, sondern ebenso Geschiedene.

Frühere Selbstverständlichkeiten im Umgang miteinander haben einen Knacks bekommen. Darauf muss man sich wohl einstellen: nämlich eine neue soziale Rolle in vermeintlich alten Beziehungen zu finden, inklusive neuer Kommunikationsformen. – Besser?

Der Psychoanalytiker Peter Schneider beantwortet Fragen zur Philosophie des Alltagslebens. Senden Sie uns Ihre Fragen an gesellschaft@tagesanzeiger.ch