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Warum niemand die SPD führen will

Dieses Trio führt die SPD bis zur Neuwahl der Parteispitze im Dezember (v.l.): Manuela Schwesig, Thorsten Schäfer-Gümbel und Malu Dreyer. Foto: Jens Schlüter (EPA)
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Seit Andrea Nahles Anfang Juni ihrer Partei entnervt alle Ämter vor die Füsse geworfen hat, fürchten die deutschen Sozialdemokraten um ihre Existenz: In Wahlen werden sie seit langem abgestraft, in Umfragen sinken sie gegen 10 Prozent, deklassiert von Grünen und AfD. Und in der Regierung mit Angela Merkels Christdemokraten wissen sie nicht recht, ob sie gestalten oder schimpfen wollen, und lassen jede Stärke vermissen.

Fast täglich und in zunehmend schrillerer Stimmlage rufen frühere Grössen die SPD dazu auf, mit der bisherigen Politik und dem überkommenen Personal zu brechen, die Partei zu erneuern und gleichzeitig zu ihren Ursprüngen als soziale Bewegung zurückzuführen. Doch statt Aufbruchsstimmung regieren Angst, Mut- und Ratlosigkeit.

Stellvertreter ducken sich

Drei Wochen läuft die Frist noch, in der sich Kandidatenpaare für den Vorsitz bewerben können. Bisher türmen sich vor allem die Absagen: Kein wichtiges Regierungsmitglied, kein einziger der ehemals sechs Stellvertreter von Nahles, kein einziger Ministerpräsident eines Bundeslandes und keiner der beliebten Grossstadtbürgermeister erhebt den Anspruch, die SPD zu führen.

Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz winkte genauso ab wie Arbeitsminister Hubertus Heil, die Ministerpräsidentinnen von Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern, Malu Dreyer und Manuela Schwesig, ebenso wie ihr Amtskollege aus Niedersachsen, Stephan Weil. Und Oberbürgermeister wie der Münchner Dieter Reiter oder der Nürnberger Ulrich Maly stellten sich noch nicht einmal ernsthaft die Frage.

Dafür bewerben sich drei Paare, die selbst in der Partei wenig bekannt und einflussreich sind, geschweige denn ausserhalb: Europa-Staatsminister Michael Roth tritt mit der nordrhein-westfälischen Landtagsabgeordneten Christina Kampmann an, der Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach mit der Bundestagskollegin Nina Scheer und die Flensburger Bürgermeisterin Simone Lange mit dem Amtskollegen aus dem sächsischen Bautzen, Alexander Ahrens. Simone Lange hatte bei der letzten Wahl immerhin den Mut gehabt, gegen Andrea Nahles zu kandidieren, und dabei fast 30 Prozent der Stimmen bekommen. Gewertet wurde dies freilich vor allem als Votum gegen Nahles, nicht als eines für das politische Leichtgewicht Lange.

Kommen noch Grössen?

Es sei diesmal schlicht notwendig, die sattsam bekannten Funktionäre und Machtpolitiker zu übergehen, begrüsste die 76-jährige Gesine Schwan die bislang dürftige Auswahl. Sie würde auch selber den Vorsitz übernehmen, finde sich niemand Besseres. Auch die kommissarische Parteispitze sowie Generalsekretär Lars Klingbeil verteidigten das Wahlprozedere. In der Lage, in der sich die Partei befinde, könne man die neue Führung nicht wie sonst «in Hinterzimmern» aus den Resten der alten zusammensetzen. Darum mache man nun alles neu: Man wolle Teams statt Einzelfiguren, lasse sie in 23 Regionalkonferenzen im ganzen Land auftreten und am Ende von den 400'000 Parteimitgliedern wählen. Der Prozess wird sich bis in den Dezember hineinziehen.

Andere sehen in dem bisher wenig attraktiven Verfahren geradezu den Beweis, wie tief die Krise der SPD sei. Der langjährige Stratege Matthias Machnig nannte seine Partei «mutlos, ratlos, führungslos», es herrsche die «organisierte Verantwortungslosigkeit». Andere wiederum gaben der notorischen Gnadenlosigkeit die Schuld, mit der die SPD nach Misserfolgen stets alle Verantwortung auf den Schultern der Vorsitzenden ablade. Dass nun niemand mehr wolle, sei eine Folge davon, dass man zuletzt zwei Vorsitzende – Martin Schulz und Andrea Nahles – in kürzester Zeit zerschlissen habe.

Dennoch erwarten viele, dass sich kurz vor Ende der Frist noch ein paar bekannte Figuren aufraffen: Familienministerin Franziska Giffey etwa, der Chef der Jungsozialisten, Kevin Kühnert, Generalsekretär Lars Klingbeil, Aussenminister Heiko Maas oder der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius. Alle haben freilich auch Schwächen: Giffey hat eine Plagiats­affäre am Hals, Kühnert hat sich mit seinen Enteignungsideen weit links positioniert, Klingbeil stünde nicht für einen Neuanfang, Maas fehlt es an politischer Kraft, Pistorius an Bekanntheit.

Die Koalitionsfrage

Die Neuerung, dass Doppelspitzen aus Frau und Mann sich zusammen bewerben müssen und nicht getrennt gewählt werden, hat die Auswahl bislang eher verkompliziert als vereinfacht. Schwierige Fragen stellen sich: Wie finden zwei Schwergewichte zusammen? Sollen sie politisch klar unterscheidbare Flügel repräsentieren? Oder vielmehr als Paar die Partei in die gleiche Richtung bewegen, wie die Grünen Robert Habeck und Annalena Baerbock?

Die wichtigste Frage, die die SPD bis Ende Jahr beantworten muss, ist sowieso nicht die nach ihrer neuen Führung. Sondern ob sie mit Merkels Christdemokraten weiterregieren will oder nicht. Wie immer der Parteitag im Dezember darüber entscheidet: Steht die neue Doppelspitze gegen den Beschluss, stürzt die Partei gleich in die nächste selbstzerstörerische Krise.