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Warnzeichen für Artensterben
Warum Vögel im Regenwald schrumpfen

Wurde in den letzten Jahren immer leichter: Goldkopf-Breitschnabel (Platyrinchus coronatus).
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Weit entfernt von Rodungen und anderen direkten Einflüssen der modernen Zivilisation beeinflusst auch im Herzen des Amazonas-Urwaldes die Menschheit inzwischen die Natur und die Evolution. Dort treibt der Klimawandel die Temperaturen in die Höhe und verändert die Niederschläge. Gleichzeitig verringert sich in dieser Region das Gewicht der Vögel, während ihre Flügel länger werden, berichten Vitek Jirinec von der Louisiana State University in der US-Stadt Baton Rouge und sein Team in der Zeitschrift «Science Advances».

Seit 1979 werden in einem grossen Gebiet rund 70 Kilometer nördlich der Hauptstadt des brasilianischen Bundesstaates Amazonas in einem Urwald ohne Kahlschläge regelmässig mit grossen Netzen Vögel gefangen. Nach dem Messen von wichtigen Körperdaten wie Gewicht und Flügelspannweite werden die Tiere unversehrt wieder im Regenwald freigelassen. In der Regenzeit sind die Temperaturen in dieser Region seit 1966 um ein Grad Celsius gestiegen und die Niederschläge nahmen um 13 Prozent zu. In der Trockenzeit gab es seither dagegen 15 Prozent weniger Regen, während die Temperaturen sogar um 1,65 Grad Celsius stiegen.

In kühleren Gefilden sind die Individuen tendenziell grösser

Die Natur reagiert auf diese Entwicklung bereits: In den warmen Regenwäldern Südamerikas gibt es einerseits eine extrem hohe Artenvielfalt bei Vögeln. Andererseits ergeben Zählungen selbst in ungestörten Urwaldregionen in Brasilien und Ecuador in den vergangenen Jahrzehnten bei etlichen Arten deutliche Abnahmen der Individuen, die offensichtlich mit dem Klimawandel zusammenhängen.

Die Theorie legt schon länger einen weiteren Zusammenhang nahe: In der Natur gibt es einen deutlichen Trend, dass in kühleren Gefilden bei Arten wie den Braunbären die Individuen deutlich grösser als ihre Artgenossen in wärmeren Regionen sind. Die gleiche Regel gilt auch für nahe verwandte Arten, mit den Eisbären leben zum Beispiel die schwersten Bären im hohen Norden, während die weiter im Süden lebenden Bärenarten deutlich kleiner bleiben.

Studienmitautorin Bruna Amaral mit einer Schwarzgesichtigen Ameisendrossel (Formicarius analis).

Dahinter steckt ein einfacher physikalischer Zusammenhang: Verdoppelt sich die Länge eines Körpers, vervierfacht sich seine Oberfläche, während sein Volumen oder Gewicht sich verachtfacht. Da gleichwarme Tiere wie Vögel und Säugetiere mit jedem Gramm Körpermasse mehr Wärme produzieren, die über seine Oberfläche wieder verloren geht, haben die Riesen in der Kälte einen klaren Vorteil.

Bei doppelter Länge produzieren sie achtmal mehr Energie, verlieren aber nur die vierfache Wärmemenge und benötigen daher relativ wenig Energie im Vergleich mit Winzlingen. Diese haben dagegen in warmen tropischen Regionen einen Vorteil: Dort droht der Körper bei hohen Aussentemperaturen zu überhitzen und muss daher Energie abgeben. Das aber gelingt den Zwergen mit ihrer verhältnismässig grossen Oberfläche viel besser als den Giganten.

Der Wüstenfuchs (Vulpes zerda) mit seinen grossen Ohren bewohnt die Sandwüsten Nordafrikas.

Leben in warmen und heissen Gebieten grosse Säugetiere und Vögel, unterlaufen sie diesen Zusammenhang mit einem Trick: Sie vergrössern bestimmte Körperteile, über die sie dann zusätzlich Wärme abgeben können. Deshalb haben Afrikanische Elefanten oder auch Wüstenfüchse sehr grosse Ohren, mit denen sie nicht nur gut hören, sondern vor allem auch viel Wärme abführen und so ihren Körper auf kühleren Betriebstemperaturen halten.

Tatsächlich scheinen steigende Temperaturen auch die Grösse einiger Körperteile wachsen zu lassen, legte kürzlich eine Studie in «Trends in Evolution and Ecology» nahe: Mit dem Klimawandel werden auch die Ohren von Waldmäusen ein wenig grösser. Bei den nordamerikanischen Maskenspitzmäusen werden Beine und Schwänze länger. Und einige Papageienarten in Australien haben seit 1871 ihre gut durchbluteten Schnäbel um vier bis zehn Prozent vergrössert und können so mehr Energie abführen.

Aber gibt es ähnliche Zusammenhänge auch in den Tropen? Und reagiert die Evolution im Amazonasgebiet bereits auf die wachsenden Gegensätze einer trockener werdenden Trockenzeit und einer immer feuchteren Regenzeit, wenn gleichzeitig die Temperaturen steigen?

Bei amerikanischen Maskenspitzmäusen werden Beine und Schwänze mit den steigenden Temperaturen länger.

Um das herauszubekommen, haben Vitek Jirinec und sein Team die Körpermasse von 14’842 und die Flügellänge von 11’582 Vögeln aus den seit 1979 gesammelten Daten unter die Lupe genommen. Sie fanden bei allen untersuchten 77 Arten eine Abnahme des Körpergewichts um bis zu 1,8 Prozent im Jahrzehnt. Bei 61 dieser Arten vergrösserte sich auch die Länge der Flügel. Zusammen ermöglichen beide Eigenschaften – längere Flügel und geringeres Gewicht – einen Energiesparflug, der auch weniger Abwärme verursacht, die aus dem Körper abgeführt werden muss. Die Evolution passt sich also rasch an die steigenden Temperaturen im Klimawandel an, und die Arten in den Tropen beginnen zu verzwergen.

Die Forscher messen die Flügellänge einer Ameisendrossel (Formicarius colma).

Eine ähnliche Entwicklung kennen der Paläontologe Wolfgang Kiessling von der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen und seine Kollegen auch aus der Vergangenheit: Vor 252 Millionen Jahren schützten sich «Ammoniten» genannte Tiere im Meer, die genau wie die Tintenfische der heutigen Ozeane zu den Kopffüssern gehörten, mit einer Kalkschale vor Feinden. Im Durchschnitt war dieser Panzer 15 Zentimeter gross. Dann begannen im heutigen Sibirien riesige Lavamassen aus der Erde zu strömen, die riesige Mengen Kohlendioxid ausgasten. Zusammen mit weiteren Effekten stiegen die Temperaturen damals in einer Million Jahre um rund 15 Grad Celsius.

Zuerst schrumpfen sie, dann sterben sie aus

Die Evolution beantwortete diese Entwicklung mit einer Verzwergung: Die Ammoniten wurden immer kleiner und waren am Ende im Durchschnitt nur noch drei Zentimeter gross. Überträgt man diesen Liliput-Effekt auf einen 175 Zentimeter grossen Menschen, würde dieser auf die Grösse eines Kätzchens schrumpfen. Kurz danach verschwand im grössten bisher bekannten Artensterben auch die vorher riesige Vielfalt der Ammoniten fast völlig.

Verringert sich die Körpergrösse, ist das ein frühes Warnzeichen für solche dramatischen Ereignisse, schliessen Wolfgang Kiessling und sein Team auch aus weiteren Beispielen in der Erdgeschichte. Auch heute steigen im Klimawandel die Temperaturen rasch. Und wieder beginnen die Arten zu schrumpfen. Die Frühwarnglocken läuten.

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