Strommangel drohtWarum das AKW Mühleberg trotz Energiekrise abgestellt worden wäre
Ex-BKW-Chefin Suzanne Thoma plädiert für den Bau neuer Atomkraftwerke. Ins AKW Mühleberg würde sie aber auch jetzt nicht mehr investieren.
War es ein Fehler, das AKW Mühleberg abzuschalten? Diese Frage wird wegen des drohenden Strommangels heiss diskutiert. Schliesslich ist der Bund daran, Gas- und Ölkraftwerke bereitzustellen, um notfalls Stromausfälle verhindern zu können.
Insgesamt werden Reservekraftwerke mit einer Leistung von 300 Megawatt gesucht. Zur Erinnerung: Das AKW Mühleberg hatte mehr, nämlich 373 Megawatt. Das Ende 2019 abgestellte Atomkraftwerk des Berner Energiekonzerns BKW produzierte rund 5 Prozent des in der Schweiz verbrauchten Stroms.
«Ich habe nicht gern abgestellt»
«Es wäre natürlich gut für die Versorgungssicherheit, wenn wir jetzt diese 5 Prozent aus dem AKW Mühleberg noch hätten», sagte die frühere BKW-Chefin Suzanne Thoma. Vor dem Business Club in Bern gestand die neue Sulzer-Präsidentin: «Ich habe es nicht gern gemacht, denn wir haben so eine CO₂-freie und doch recht sichere Technologie abgestellt.»
Gesellschaftlich gesehen müsse man heute den Schritt hinterfragen. Aber Thoma bekräftigte an dem Anlass von Berner Unternehmerinnen und Unternehmern, was sie immer gesagt hat: Die BKW habe 2013 keinen gesellschaftlichen, sondern einen unternehmerischen Entscheid gefällt.
Ein Weiterbetrieb hätte für die BKW also nicht rentiert, sondern wäre eine gewaltige finanzielle Belastung geworden: Denn die europäischen Strommarktpreise waren im letzten Jahrzehnt sehr tief. Und für einen Weiterbetrieb des AKW wären damals hohe Investitionen nötig gewesen. Die Aufsichtsbehörde verlangte bedeutende Sicherheitsnachrüstungen. «Wenn aber die Politik gekommen wäre und gesagt hätte, wir übernehmen diese 200 Millionen, wäre es vielleicht anders gekommen», sagte Thoma.
Existenzgefährdende Belastung für die BKW
Für die BKW wäre es «dramatisch gewesen, wenn sie selber so viel oder noch mehr hätte investieren müssen, das hätte den Handlungsspielraum komplett eingeschränkt». Der erfolgreiche Konzernumbau sowie der Ausbau der erneuerbaren Energiequellen und des Dienstleistungsgeschäfts wären so nicht möglich gewesen.
Aber was wäre, wenn Suzanne Thoma mit den heute sehr viel höheren Strommarktpreisen nochmals über die Abschaltung des AKW Mühleberg befinden könnte? «Der Entscheid wäre ökonomisch weniger klar», sagte sie in der SRF-Sendung «Eco Talk». Aber das 1972 in Betrieb genommene AKW Mühleberg hätte «aus verschiedenen Gründen nicht viel länger als fünfzig Jahre laufen können».
So wären für die BKW laut der früheren Konzernchefin «existenzielle Risiken» damit verbunden gewesen, «weil wir davon ausgegangen sind, dass immer noch mehr zusätzliche Sicherheitsinvestitionen dazugekommen wären und es nicht bei den rund 200 Millionen Franken geblieben wäre».
Das Geld für die nötigen Investitionen zu verdienen, das wäre schwierig geworden, sagte Thoma auch jetzt. Und sie bezweifelt, dass die Strommarktpreise langfristig derart hoch bleiben werden. «Ausser wir haben eine Welt in einer Dauerkrise, was sich niemand wünscht.»
Für neue AKW
Den Atomausstieg findet die Chemieingenieurin, die auch über ein Doktorat der technischen Wissenschaften verfügt, trotz der Unfallrisiken und radioaktiven Abfälle einen Fehler. «Vor allem den Ausstieg aus der Forschung und Entwicklung», wie sie in der neuesten Ausgabe der Zeitschrift «Bilanz» sagt. «Statt dass wir jetzt vielleicht auf moderne, neue Atomkraftwerke setzen könnten, müssen wir die alten mit der alten Technologie möglicherweise noch Jahrzehnte weiterbetreiben.»
Bis noch 2011 hatte die BKW den Bau eines neuen Atomkraftwerks, Mühleberg 2, geplant. Dafür gab es 2011 in einer kantonalen Konsultativabstimmung ein knappes Ja. Einen Monat später nach der Atomkatastrophe von Fukushima stoppte der Bund aber sämtliche Bewilligungsverfahren.
Thoma plädiert nun dennoch für den Bau neuer Atomkraftwerke: «Ich würde es ernsthaft prüfen», sagt sie. Aber wenn die Schweizer Bevölkerung das nicht wolle, dann habe es keinen Sinn. «Nur, dann muss man halt mit den Konsequenzen leben», sagt sie der «Bilanz»: Langfristig stelle sich die Frage:Kohle und Gas oder doch lieber Atomstrom? Sie wäre für Atomstrom, wegen des Klimaschutzes und der Versorgungssicherheit.
Initiative angekündigt
Das Plädoyer der ehemaligen BKW-Chefin wird das bürgerliche Komitee freuen, das diese Woche mit der Unterschriftensammlung für die Initiative «Jederzeit Strom» starten will. Per Volksbegehren soll das Verbot zum Bau neuer Atomkraftwerke in der Schweiz aufgehoben werden. «Blackout stoppen» lautet denn auch ein Slogan.
Umweltverbände und AKW-Gegner reagieren empört: So spricht etwa AEE Suisse, der Dachverband der Wirtschaft für erneuerbare Energien und Energieeffizienz, von einer «schädlichen Nebelpetarde der Atomlobby». Unter dem Deckmantel der Versorgungssicherheit wolle das Komitee neuen Kernkraftwerken zum Durchbruch verhelfen.
Wichtige Gründe für die derzeit akuten Energieversorgungsprobleme sind der Wegfall von russischem Gas und der Ausfall vieler französischer Atomkraftwerke. «Die aktuellen Herausforderungen rund um die Energieversorgungssicherheit – die durch den Krieg in der Ukraine noch dramatisch verschärft werden – bestätigen den mit der Energiestrategie 2050 eingeschlagenen Weg und legen schonungslos dar, wie gefährlich die aktuelle Energieabhängigkeit der Schweiz ist», sagt AEE-Suisse-Geschäftsführer Stefan Batzli.
Während laufend erneuerbare Kraftwerke ans Stromnetz angeschlossen würden, könne innert nützlicher Frist gar kein neues AKW gebaut werden. In der Schweiz gebe es kein Unternehmen, das bereit sei, in die Atomtechnologie zu investieren, eben auch die BKW nicht.
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.