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Tiefe Impfquoten
Warum China, Russland und Indien trotz eigener Impfstoffe zurückfallen

Trotz eigener Impfstoffe wie Sinovac: Seniorinnen aus Wuhan, China, bekämpfen das Virus lieber mit ihrem Stock als mit der Impfung. (2. Januar 2021).
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Die Impfungen gegen das Coronavirus laufen. Während die Impfraten in Ländern wie Israel, Grossbritannien und Chile in die Höhe schiessen, haben ärmere Nationen Schwierigkeiten, an die begehrten Vakzine zu gelangen. Hier schaffen Länder mit einer eigenen Impfstoffproduktion wie China, Russland und Indien Abhilfe. Sie beliefern vor allem Entwicklungs- und Schwellenländer wie Mexiko, Bangladesh und Indonesien. Letzteres hat alleine von China fast 40 Millionen Dosen erhalten.

Bei näherer Betrachtung der weltweiten Impfquoten fällt jedoch auf, dass die drei Impfstofflieferanten mit ihrem eigenen Impfprogramm massiv hinterherhinken. Im Vergleich: Israel führt mit unglaublichen 109,8 Dosen die Tabelle an. Die Schweiz befindet sich auf dem zwanzigsten Platz und hat 12,8 Dosen pro 100 Einwohner verabreicht. In Russland sind es 5,3. China hat pro 100 Einwohner 4,5 Dosen verabreicht. Indien schleicht mit 2,5 Dosen nach.

Doch wieso befinden sich diese drei Nationen mit hauseigenen Impfstoffen wie Cansino, Sputnik V und Covaxin nicht bei der weltweiten Spitze der Impfungen? Eine Übersicht über die möglichen Gründe:

China

China hat strenge, aber effektive Quarantänemassnahmen eingesetzt, um das Coronavirus erfolgreich einzudämmen. Das Leben in China hat sich dadurch weitgehend normalisiert. Doch obwohl das Land bereits im Juli die ersten Impfstoffe für den Notfalleinsatz zugelassen hatte, wurden bisher nur vier Prozent der chinesischen Bevölkerung geimpft. Das Land hat sich eigentlich zum Ziel gesetzt, bis Juli 40 Prozent der Bevölkerung zu impfen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssten 4 Millionen Impfungen pro Tag verabreicht werden – nach den letzten öffentlichen Zahlen von Anfang März waren es aber lediglich 640’000 pro Tag.

Woran liegt das? Yanzhong Huang erklärt dem «Guardian»: «Einer der wichtigsten Faktoren ist die Wahrnehmung, dass China ein geringes Infektionsrisiko hat», sagt der Direktor des Center for Global Health Studies an der Seton Hall University in New Jersey. «Also denken sich die Leute, warum soll man sich die Mühe machen, geimpft zu werden? Wir sind doch schon sicher.» Tatsächlich sind die Fallzahlen des Landes extrem tief: Am Donnerstag meldete China lediglich sechs Fälle. Dies liegt unter anderem daran, dass das Land seine Grenzen geschlossen hält.

Ein wertvolles Gut: Ein bewaffneter Sicherheitsbeamter bewacht in Santiago, Chile, die erste Lieferung von zwei Millionen Sinovac-Dosen aus Peking, China (28. Januar 2021).

Ein weiterer Grund für die schleppende Impfkampagne: Eine im Januar veröffentlichte Umfrage unter 1,8 Millionen Bewohnern Shanghais hat ergeben, dass sich fast jeder Zweite nicht impfen lassen will. Begründet wird dies des Öfteren dadurch, dass man den hauseigenen Vakzinen nicht traue und Angst vor Nebenwirkungen habe.

Statt die eigene Bevölkerung zu impfen, liefern Chinas Pharmaunternehmen Sinopharm, Sinovac und Cansino ihre Vakzine an andere Länder. Bei diesen handelt es sich oft um strategische Partner Chinas. So will die Grossmacht mit den Exporten von Dosen ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu Lateinamerika, Afrika und dem Nahen Osten vertiefen. «Die Menschen sehen dies als ein Beispiel dafür, dass China ein globaler Führer ist», sagt Huang. «Es ist etwas, das zeigt, dass China eine verantwortungsvolle und zuverlässige Grossmacht ist.» Bis Ende Jahr will das Land mindestens 2,6 Milliarden Dosen produzieren.

Russland

Russland wurde vom Virus härter getroffen als China. Nach offiziellen Angaben hat das Land 90’000 Todesfälle registriert – die tatsächliche Zahl könnte jedoch weit darüber liegen. Trotz der hohen Opferzahlen ist die Akzeptanz des Impfstoffs unter Russen gering.

Eine unabhängige Umfrage unter der russischen Bevölkerung diesen Monat ergab, dass rund zwei Drittel nicht bereit waren, sich mit dem russischen Impfstoff Sputnik V impfen zu lassen. Dies, obwohl wissenschaftliche Untersuchungen darauf hindeuten, dass der Impfstoff sicher und wirksam ist. Die Skepsis der Russen hängt mit der allgemeinen Unsicherheit bezüglich der Herkunft des Coronavirus zusammen. 64 Prozent der Befragten glauben, dass es sich beim Virus um eine biologische Waffe handelt.

Auch das mangelnde Vertrauen in die russische Regierung sei eine entscheidende Hürde, sagt Sergei Rybakow, ein Vertreter der Doctor’s Alliance, ein der Opposition nahestehender Ärzteverband, der die offizielle Reaktion auf die Pandemie seit geraumer Zeit kritisiert. Obwohl der Staat den Sputnik-V-Impfstoff unter anderem mit einem eigenen Twitter-Account im Ausland vermarktet hat, habe er wenig getan, um das Vakzin unter den Russen zu bewerben, sagt Rybakow. Dennoch hat das Land geplant, bis Mitte des Jahres 60 Prozent der Bevölkerung zu impfen.

«Die Aufgabe des Staates ist es, zu zeigen, dass der Impfstoff notwendig und sicher ist. In Russland wurde das nicht in dem Masse getan, wie es nötig wäre», sagt Rybakow. «Man muss den Menschen zeigen, dass es gefährlicher ist, den Impfstoff nicht zu bekommen, als ihn zu bekommen.»

Indien

Auch die im Januar lancierte Impfkampagne Indiens läuft schleppend. «Die Menschen haben nicht den Eifer und die Dringlichkeit gezeigt, sich impfen zu lassen», sagt Ajeet Jain, ein Arzt am Rajiv Gandhi Super Speciality Hospital in Delhi gegenüber «The Guardian». Indien durchlaufe gerade eine Phase, in der Corona ausser in einigen wenigen Regionen nicht mehr vorkomme. «Die Menschen sind entspannt, weil die Krankheit aus ihrer Sicht vorbei ist.»

Selbst unter dem Gesundheitspersonal scheint die Impfbereitschaft nicht gross zu sein. Am Tag, als Indien sein Impfprogramm startete, stand der in einem Spital angestellte Amit Mehra auf der Prioritätenliste – er vereinbarte jedoch nie einen Impftermin. «Ich bin nicht geneigt, mich impfen zu lassen, nur weil das Mittel verfügbar ist», sagt der 47-Jährige.

Warten auf die Impfung: Senioren vor dem Impfzentrum des Rajawadi Hospital in Mumbai. (5. März 2021).

Mit dieser Meinung steht der Inder nicht alleine da: Die Impfbereitschaft unter den 30 Millionen Beschäftigten im Gesundheitswesen, die für die erste Runde der Dosen priorisiert wurden, fiel weniger gross aus als erwartet. Bei dieser Zögerlichkeit spielte mit, dass der lokal entwickelte Impfstoff Covaxin durchgeboxt wurde, bevor die Phase-III-Tests abgeschlossen waren. «Das führte zu einer ziemlichen Verwirrung, in deren Folge das Gesundheitspersonal, das in der ersten Runde geimpft werden sollte und das diesen Prozess ein wenig besser verstand als andere Leute, sich nicht so sehr meldete, wie es geplant war», sagt Shahid Jameel, ein Virologe und Direktor der Trivedi School of Biosciences an der Ashoka University in Indien.

Anzeichen für eine zweite Welle

Zudem hat das Land nicht die gesamte Belegschaft für die Impfung der Bevölkerung mobilisiert. Etwa die Hälfte des Personals sei damit beschäftigt, Impfungen für andere tödliche Krankheiten zu verabreichen, sagt Jameel. «Es gibt ein Impfprogramm für Kinder und eines für schwangere Mütter – die müssen trotz Covid-19 ungehindert weiterlaufen.»

Zu den Anlaufschwierigkeiten beigetragen haben dürften die beim Start der Impfkampagne niedrigen Fallzahlen. Zusätzlich hat sich die Pandemie bei einem Durchschnittsalter von etwa 28 Jahren als nicht besonders tödlich erwiesen. Indien hat bei 1,3 Milliarden Einwohnern etwa 160’000 Todesfälle verzeichnet – ein Dritter der jährlichen Mortalitätsrate aufgrund von Tuberkuloseerkrankungen. «Schauen Sie sich die Todesraten in Südasien an, und sie werden wissen, warum die Menschen sich nicht darum reissen, geimpft zu werden», sagt Oommen C. Kurian, leitender Wissenschaftler der Observer Research Foundation in Delhi. «Ihr Risikoempfinden ist wesentlich geringer als, sagen wir, das eines Londoners.»

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Anzeichen für eine zweite Welle, die sich seit ein paar Wochen verdichten, könnten der Impf-Scheu nun entgegenwirken. Das Land hat in den letzten zwei Wochen seine Impfbemühungen beschleunigt – private Kliniken wurden angeworben, um bei der Verabreichung der Impfungen zu helfen. Neu können alle über 60-Jährigen einen Impftermin vereinbaren. Das Impfprogramm hat diese Woche die Marke von 3 Millionen Impfungen pro Tag erreicht. Damit ist das Ziel, bis August 20 Prozent der Bevölkerung zu impfen, in greifbare Nähe gerückt.

Herdenimmunität kaum möglich

Doch selbst wenn die Impfstoffknappheit und die verschiedenen Anlaufschwierigkeiten überwunden sind – laut Babak Javid, Wissenschaftler für Infektionskrankheiten an der University of California in San Francisco, könnte es in weiten Teilen der Welt noch Jahre dauern, bis die Herdenimmunität erreicht ist. Wissenschaftler gehen davon aus, dass dieser Punkt dann erreicht ist, wenn etwa 70 Prozent der Menschen immun sind.

Die Herausforderungen bestehen zum einen darin, riesige und weit verstreute Bevölkerungsgruppen zu erreichen. Hinzu kommen das mangelnde Interesse der Öffentlichkeit sowie andere dringendere Gesundheitsprioritäten. Laut Javid sollte man seine Bemühungen stattdessen darauf konzentrieren, Gesundheitspersonal und Risikopatienten zu erreichen. «Man wird dadurch zwar nicht die Todesfälle verhindern, aber die Wahrscheinlichkeit eliminieren, dass die Infrastruktur des Gesundheitswesens überfordert wird.»