Warnung vor tief hängenden FrüchtenWarum Netflix keine DVDs nach Kanada verschickte
Krogerus & Tschäppeler erklären das Kanada-Prinzip.
Netflix – der Name steht übrigens für Internet («Net») und Filme («Flicks») – wurde im Jahr 1997 gegründet mit der Idee, DVDs per Post zu verschicken. Aus dieser Zeit stammt eine Anekdote von einem der beiden Gründer, Marc Randolph:
Netflix war gross in den USA, und es schien naheliegend, auch nach Kanada zu expandieren: gleiche Sprache, gleicher Kontinent, ähnliche Kultur. Kanada war für Netflix das, was man im Business-Englisch «low hanging fruit» nennt – Projekte, bei denen man mit minimalem Aufwand maximalen Erfolg erzielen kann, weil man sich nach den «tief hängenden Früchten» kaum strecken muss.
Die Netflix-Chefs aber entschieden sich, nicht nach diesen tief hängenden Früchten zu greifen, sie entschieden sich, keine DVDs nach Kanada zu verschicken.
Warum nicht?
Sie waren der Meinung, dass sie dadurch zwar kurzfristig Geld verdienen würden, aber dass die unterschiedlichen Währungen, der französischsprachige Teil des Landes und andere Komplikationen langfristig hinderlich fürs Geschäft wären.
Und dann war da noch ein Grund: Der zeitliche, personelle und energiemässige Aufwand, den eine Expansion nach Kanada erfordern würde, ginge auf Kosten von allen anderen Aktivitäten. Die Expansion nach Kanada wäre ein kurzfristiger Schritt gewesen, um Geld zu verdienen, der aber auch nur kurzfristig Vorteile gebracht hätte. Denn ziemlich sicher würde man sich bei der Expansion verzetteln.
Die Lehre aus dieser kleinen Anekdote: Wir sollten nicht blind jeder verlockenden Gelegenheit hinterherjagen, von der wir uns einen schnellen Gewinn versprechen, sondern genau prüfen, ob uns das wirklich weiterbringt, längerfristig – oder bloss ablenkt von dem, was wir eigentlich vorhaben. Denn was wie eine günstige Gelegenheit aussieht, besagt das Prinzip, ist in der Regel mit viel mehr Arbeit und Aufwand verbunden, als wir erstmal denken. Noch genauer: Nichts geht schnell. Alles kostet Zeit. Und vor allem Aufmerksamkeit.
Und unsere Zeit und unsere Aufmerksamkeit sind das höchste und rarste Gut, das wir besitzen. Wir sollten geizig und streng sein damit.
Randolph nannte es das Kanada-Prinzip:
Was wie low hanging fruit aussieht, sind in der Regel nicht low hanging fruit.
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