Paukenschlag in der Stadt BernSP greift mit Marieke Kruit Stapi Alec von Graffenried an
Das Volk soll eine Auswahl haben: Die SP hat an ihrer Hauptversammlung entschieden, mit Marieke Kruit für das Stadtpräsidium anzutreten.
Mit einem Paukenschlag macht die SP aus einem ohnehin spannenden Wahljahr einen echten Krimi. An ihrer Hauptversammlung hat sie am Montagabend entschieden, bei den Wahlen im November mit der amtierenden Gemeinderätin Marieke Kruit für das Stadtpräsidium anzutreten. Damit greift die grösste Stadtpartei ihren Bündnispartner an, Stadtpräsident Alec von Graffenried von der GFL.
«Wir sind überzeugt, dass unsere Kandidatur das Rot-Grün-Mitte-Bündnis stärken kann», sagte SP-Co-Präsidentin Lena Allenspach, als sie vor die Medien trat. Mit der Kandidatur zeige das Bündnis, dass es sich wandeln könne, und biete eine echte Auswahl, so Allenspach. «Zudem nehmen wir damit die Kritik aus der Bevölkerung an der aktuellen Amtsführung auf.»
Die Diskussion über einen möglichen Angriff auf das Stadtpräsidium war nicht öffentlich; Medienschaffende mussten während der Debatte draussen warten. Die Parteileitung habe die Stapi-Kandidatur der Versammlung einstimmig vorgeschlagen, so Allenspach, und diese sei mit 98 Ja- gegen 7 Nein-Stimmen (1 Enthaltung) darauf eingestiegen. Matthias Aebischer unterstütze Kruits Kandidatur.
Was bedeutet der Entscheid der SP für ihr Rot-Grün-Mitte-Bündnis (RGM) mit Grünem Bündnis (GB) und der Stapi-Partei GFL? Und was für die Beziehung der SP zur GFL und von Kruit zu von Graffenried? Die RGM-Vereinbarung sehe seit 2016 vor, dass mehrere Stapi-Kandidaturen möglich seien, sagte Allenspach. «Und die Bündnispartner wussten, dass wir mit unseren Delegierten über diese Frage reden wollten.»
Verbreitete Unzufriedenheit mit von Graffenried
Dennoch ist sicher, dass Stadtpräsident von Graffenried keine Freude haben wird, aus dem eigenen Bündnis angegriffen zu werden. Eine RGM-Kandidatur würde ihn «schon sehr überraschen», sagte er Anfang Jahr in einem Interview mit dieser Redaktion. Seine Zusammenarbeit mit Marieke Kruit sei «ausgezeichnet», jene innerhalb der RGM-Parteien funktioniere gut.
In Kontrast zu von Graffenrieds Darstellung mehrten sich in den vergangenen Monaten in allen politischen Lagern die Stimmen, die mit dessen Arbeit in den vergangenen gut sieben Jahren an der Spitze der Stadtregierung nicht zufrieden waren. So sagte kürzlich selbst Alt-SP-Nationalrat Peter Vollmer – obwohl er von einem Angriff auf den Stapi abriet –, dass es innerhalb der SP «viel Kritik» an von Graffenried gebe.
Und auch GB-Gemeinderatskandidatin Ursina Anderegg, ebenfalls Bündnispartnerin von SP und GFL, sagte im Interview mit dieser Redaktion: «Unzufriedenheit mit dem Stadtpräsidenten ist sicher spürbar, auch bei uns.»
Auf jeden Fall dürfte es die Angriffslust der SP beflügelt haben, dass von Graffenried angeschlagen ins Wahljahr stolperte: Im letzten Herbst wurde die Fusion Berns mit Ostermundigen – das Projekt, für das er mehr Herzblut vergoss als für jedes andere – von der Stimmbevölkerung der Nachbargemeinde abgelehnt. Nur einen Monat zuvor hatte diese Redaktion publik gemacht, dass sich mit der Viererfeld-Planung das zweite «Leuchtturmprojekt» der Ära von Graffenried in Schieflage befindet.
Kruits Kandidatur dürfte eine Kettenreaktion auslösen
Weil Kruits Nomination für das Stadtpräsidium an der Hauptversammlung nicht traktandiert war, muss diese an der Delegiertenversammlung vom 13. Mai formell noch erfolgen – was nach dem Beschluss vom Montag eine Formsache sein dürfte.
Zum Entscheid der SP beigetragen hat wohl die Tatsache, dass es der Partei nicht gelungen war, den Ersatz des abtretenden SP-Finanzdirektors Michael Aebersold mit einer Verjüngung ihrer Gemeinderatsdelegation zu verknüpfen. So wird Marieke Kruit am Wahltag 56-jährig sein, der zweite SP-Kandidat für den Gemeinderat, Nationalrat Matthias Aebischer, 57-jährig. Um mit Kruit eine amtierende Gemeinderätin mit einer Perspektive für acht Jahre ins Stapi-Amt hieven zu können, muss die SP deshalb bei der nächsten Gelegenheit angreifen.
Damit präsentiert sich die Ausgangslage beim Rennen um das Stadtpräsidium gänzlich neu: War bisher davon auszugehen, dass alle Parteien von Graffenried das Feld überlassen und sich auf den Gemeinderatswahlkampf konzentrieren, dürfte der SP-Angriff eine Kettenreaktion auslösen. So ist damit zu rechnen, dass nun auch das Mitte-rechts-Bündnis von GLP, EVP, Mitte, FDP und SVP eine Stapi-Kandidatur stellen wird. Und auch das GB wird sich überlegen müssen, mit Ursina Anderegg anzutreten, ist diese doch auf jede mögliche Wahlbühne angewiesen.
Damit würde die Ausgangslage an 2016 erinnern, als es bei der Nachfolge des abtretenden Stadtpräsidenten Alexander Tschäppät (SP) zum Jekami kam: Angesichts der Kandidaturen von Ursula Wyss (SP) und Alec von Graffenried (GFL) stieg auch die damalige GB-Gemeinderätin Franziska Teuscher ins Rennen, zudem eine ganze Schar bürgerlicher Kandidaten.
Kruit und Aebischer für den Gemeinderat nominiert
Keine Überraschung stellte an der SP-HV am Montagabend das Traktandum vor der geheimen Debatte über das Stadtpräsidium dar, die Nomination von Marieke Kruit und Matthias Aebischer für die Gemeinderatswahlen.
Mit Kruit nominiert die SP eine Kandidatin, die in ihrer ersten Legislatur eine gute Bilanz vorzuweisen hat – auch wenn sie in der vergangenen Woche einräumen musste, dass das von ihrer Vorgängerin Wyss aufgegleiste neue Abfallkonzept nicht wie geplant umsetzbar ist.
Mit Nationalrat Aebischer schliesslich entschied sich die SP-Parteileitung schon vor der Versammlung für den prominentesten Bewerber – und veranlasste die beiden anderen Interessierten, Alt-Stadträtin Katharina Altas und Grossrat Stefan Jordi, zum vorzeitigen Rückzug ihrer Kandidatur.
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