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Von wegen faule Junge
Für ihre Karriere arbeiten sie bis zum Umfallen

Sie alle haben den härtesten Studiengang der Universität St. Gallen abgeschlossen und sich sieben Jahre lang vom Schweizer Filmemacher Piet Baumgartner begleiten lassen: David Boutellier, Frederic A., Tobias B., Feifei F. und Sara Rentsch (von links).

Sie arbeiten, bis sie nicht mehr können. Nicht selten bis gegen Mitternacht. Sie fahren dann mit dem Taxi ins Hotel und haben auch noch im Schlafzimmer den Laptop offen, bevor sie todmüde einschlafen. Absolventinnen und Absolventen der Universität St. Gallen, die gerade eben ins Berufsleben gestartet sind, geben alles für ihren Traum: eine steile Karriere. Und dafür, irgendwann einmal Chefin oder Chef einer grossen Firma zu werden.

Dieses Bild zeichnet «The Driven Ones» (Die Getriebenen), der neue Dokumentarfilm des Schweizer Regisseurs Piet Baumgartner, der seit wenigen Tagen in verschiedenen Schweizer Kinos zu sehen ist.

Baumgartner begleitete fünf junge Menschen während sieben Jahren mit der Kamera. So auch David Boutellier. Er ist ein «High Potential», einer von den wenigen, die in den härtesten Studiengang der Universität St. Gallen aufgenommen wurden: den Master in «Strategy and International Management», kurz SIM. Im Hochschul-Ranking der «Financial Times» lag diese Ausbildung im vergangenen Jahr zum zwölften Mal in Folge auf Platz eins. Wer hier Erfolg hat, gehört praktisch schon zur künftigen Wirtschaftselite.

TheDrivenOnes David

David Boutellier war zusammen mit seinem Vater, seinem Bruder und einem Freund an der Filmpremiere am Zurich Film Festival. Er ist zufrieden. «Ich komme gut weg», sagt er. Der Film zeige jedoch von allen Darstellern nur einen einzigen Aspekt, nämlich jenen, der besonders gut in das Bild der Getriebenen passe. «Dabei hatten wir in den sieben Jahren so viel anderes erlebt – auch eine Menge Spass und viele fröhliche Momente.»

Tatsächlich wird im Film vor allem deutlich, mit wie viel Aufwand und mit wie viel harter Arbeit die SIM-Absolventen Karriere machen. Besonders im Fokus: die Firmenkultur von Unternehmensberatern wie McKinsey, Boston Consulting Group, Bain, Deloitte und PWC, wo drei der fünf den Berufseinstieg machen.

Sie entsprechen nicht dem Klischee ihrer Generation

Boutellier nicht. Er war zwar im Praktikum bei einer Beratungsfirma. «Doch es gefiel mir dort überhaupt nicht.» Sein Traum war ein anderer: eine eigene Firma gründen, und zwar keine, die von Anfang an Gewinn macht, sondern eine, die bei hoher Fremdfinanzierung schnell wächst.

Beratungsfirmen sind bekannt für 70- bis 80-Stunden-Wochen und dafür, dass ihre Angestellten bis spät in die Nacht und auch am Wochenende arbeiten. In besonders intensiven Phasen wie jetzt, wo bereits sein zweites Jungunternehmen kurz vor dem Start steht, sind Boutelliers Tage ähnlich lang. Auch er habe schon ganze Wochenenden durchgearbeitet, etwa wenn er wichtige Präsentationen für Vorgesetzte oder Investoren habe zusammenstellen müssen.

Doch das sei nicht schlimm. «Ich liebe, was ich mache. Meine Arbeit fühlt sich gar nicht an wie Arbeit. Sie ist wie mein Hobby, und sie laugt mich deshalb nicht stark aus.»

«Ich wollte schon immer die schwierigsten Aufgaben anpacken, dort sein, wo nur die Besten hinkommen.»

David Boutellier, Jungunternehmer

Die fünf Protagonisten zerstören jedes Klischee über die jungen Generationen – Z, Y oder Millennials, wie sie genannt werden. Viele Berufseinsteiger würden sich nicht mehr Vollzeit anstellen lassen und schnell aufgeben, wenn sie nicht weiterkämen, heisst es oft. Sie seien faul und fordernd, wollten wenig leisten, aber viel verdienen. Eine Analyse der Beratungsfirma EY besagt, junge Menschen seien in der Arbeitswelt weniger leistungsfähig als frühere Generationen. Sie würden den Beruf schlicht weniger ernst nehmen.

Schnell sein und gleichzeitig präzis: Auf solche Extraefforts bereitet hingegen die Universität ihre Studentinnen und Studenten vor. Im Studium habe es «superstrenge» Phasen gegeben, sagt Boutellier. Manchmal habe er so viele Aufgaben innerhalb kurzer Zeit erledigen müssen, dass er «im Kalender ‹Tetris› machen musste» für ein Treffen mit Kollegen.

Boutellier stammt aus Gansingen im Kanton Aargau. Nach der Matura schloss er den Bachelor in St. Gallen ab, arbeitete in einem Zwischenjahr beim Swiss Business Hub in Boston und machte nach dem Master in St. Gallen einen zweiten in Barcelona.

«Ich wollte schon immer die schwierigsten Aufgaben anpacken, dort sein, wo nur die Besten hinkommen», erklärt er. Seine Eltern, beide Anwälte, hätten weder ihn noch seine drei älteren Geschwister dazu gedrängt, Unternehmer zu werden. «Ich habe das Gefühl, das liegt in meiner Persönlichkeit.» Schon als Kind sei er «durchaus ehrgeizig gewesen, wenn auch nicht übermässig».

Rückschläge im Beruf – und auch privat

Boutelliers Leidenschaft ist spürbar, wenn er über seine Firmen spricht. Er wirkt aussergewöhnlich reflektiert und weitsichtig für einen 33-Jährigen. Einer mit einem klaren Lebensplan, den er in verblüffender Selbstverständlichkeit schildert. Nicht ohne nachzuschieben, dass er «natürlich nicht naiv» sei und durchaus wisse, dass das Leben nicht wirklich planbar ist.

Krisen bucht Boutellier als Lernerfahrung ab. Absagen von Investoren etwa. Oder die Tatsache, dass er und sein Mitgründer das erste Jungunternehmen nicht eigenständig weiterführen konnten, sondern es in ein anderes einbringen mussten.

Hart war es vor drei Jahren, als die Firma Kaia Health, wo er als Europachef rund vierzig Angestellte führte, aufgrund der steigenden Zinsen und der tieferen Börsenbewertungen vergleichbarer Firmen plötzlich weniger wert war. Kaia konnte kein Geld mehr am Kapitalmarkt aufnehmen und musste deshalb Angestellte entlassen. «Der psychische Stress ist für mich oftmals belastender als der zeitliche», sagt Boutellier.

TheDrivenOnes Feifei

Wie viel die jungen Uni-Absolventen in ihre Karriere investieren, wird im Film bei der deutsch-chinesischen Doppelbürgerin Feifei F. (vollständiger Name der Redaktion bekannt) deutlich – besonders in der Szene, wo sie über ihren Antrieb für ihren enormen Effort spricht. Sie tritt wie alle anderen Protagonisten auch im Film nur mit ihrem Vornamen auf und will ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen.

F., die jetzt als Beraterin bei der Boston Consulting Group arbeitet, startete zwar an einem anderen Punkt als ihre Eltern, die von China nach Deutschland kamen. Dennoch werde sie immer als Einwanderin angesehen. Sie sagt: «Ich will mein Ding gut machen, und ich möchte, dass dies andere Menschen anerkennen.»

Bei so viel Aufwand bleibt Privates häufig auf der Strecke. Im Film hat F. nur wenig Zeit für ihre grosse Leidenschaft, das Klavierspielen. Und bei David Boutellier geht die Beziehung mit einer Frau auseinander, weil die beiden nach dem Studium für ihre Jobs in unterschiedliche Städte ziehen. «Das tat weh und war nicht leicht – nach fünf gemeinsamen Jahren», sagt Boutellier im Film.

Sie wurde nicht Gotte, weil sie ein Unternehmen gründete

Auch Sara Rentsch, eine der fünf Protagonistinnen, muss mit diesen Folgen umgehen. Die junge Baslerin ist traurig, als ihre Freundin ihr erklärt, warum sie jemanden anders als Gotte für ihre Tochter ausgewählt hat: Weil sie oft weg sei und ihr die Zeit fehle, sich um sie zu kümmern.

Denn Rentsch hatte nach dem Studium zusammen mit einem Geschäftspartner eine Firma im Floristikbereich gegründet. Bald schon wird klar, dass ihr Start-up nicht zum Fliegen kommt. Rentsch muss aufgeben, wie der Film zeigt.

TheDrivenOnes Sara

Das Geld, das ihre Eltern investiert hatten, will sie nun zurückzahlen. Inzwischen hat sie mit Popeia in Berlin eine neue Firma gegründet, die online hochwertige Kleidungsstücke wie Mützen und Socken verkauft.

Verantwortung von Chefinnen und Chefs als zentrales Thema

Der Film will aufzeigen, wie künftige Kaderleute von der Hochschule darauf vorbereitet werden. Im Kern geht es um die Frage, wer in unserer Gesellschaft, in der Firmen so viel Einfluss und Macht haben, am Ende verantwortlich ist für die Entscheidungen. Sollten sich künftige Chefinnen und Chefs oder solche, die sie beraten, nicht mehr Zeit nehmen, um sich zu fragen, ob sie angesichts des Klimawandels, der Kriege und der immer mehr Menschen mit psychischen Problemen das Richtige tun?

David Boutellier sieht es so: «Mir ist es wichtig, dass mein Produkt einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft hat.» Die Arbeit bei Kaia, einer App für Menschen mit chronischen Krankheiten, sei sehr sinnvoll gewesen – «abgesehen davon, dass Start-ups Arbeitsplätze schaffen und Innovation ermöglichen».

Jeder solle das Beste aus seinen Fähigkeiten herausholen. «Ich kann als Start-up-Unternehmer mehr Gutes bewirken, als wenn ich etwa als Krankenpfleger arbeiten würde.»

Und was ist mit der Verantwortung? Boutellier sagt, er habe in der Firmenwelt erst realisiert, wie schwierig es sei, die Maximen, die er im Studium gelernt habe, tatsächlich umzusetzen. «Es wurde uns im Studium von Anfang an eingetrichtert, wie wichtig es ist, über sein Handeln nachzudenken.» Dies komme im Film zu kurz.

Sozialprojekte etwa, an denen die SIM-Studenten verpflichtend teilnehmen müssten, seien in «The Driven Ones» kein Thema. Boutellier war damals in Guatemala und hat mit einer einheimischen Nichtregierungsorganisation Wasserfilter installiert, mit dem Ziel, die Gesundheit vor allem von Kindern zu verbessern.

Die Universität St. Gallen kritisiert, der Film blende Lehrveranstaltungen, die sich um Verantwortung und Nachhaltigkeit drehten, konsequent aus. Diese seien jedoch ein zentraler Aspekt des Studiums, sagt ein Sprecher. Auch werde im Film nur ein sehr enger Ausschnitt des SIM-Programms gezeigt. «Das Bild, das die Zuschauer erhalten, ist nicht repräsentativ.»

TheDrivenOnes David

Tatsächlich würden Fragen rund um die gesellschaftliche Verantwortung im Studium häufiger diskutiert als im Film vermittelt, sagt Boutellier. Die Erfahrungen in der Berufswelt hätten ihn jedoch desillusioniert. «Zwar habe ich im Studium gelernt, bei Entscheidungen nicht nur die Aktionäre, sondern alle Anspruchsgruppen zu berücksichtigen. Diese Maxime habe ich noch immer im Kopf, aber im realen Leben kann ich nicht immer danach handeln.» Etwa bei engen Budget- und Zeitvorgaben. «Du musst dann trotzdem eine Entscheidung treffen – vielleicht unter Druck, müde und gestresst.»

Boutellier ist aktuell in einer solch intensiven Phase. Beim Aufbau seiner zweiten Firma möchte er nochmals richtig Gas geben. Und privat? Nach einer weiteren gescheiterten Beziehung ist Boutellier wieder Single.

Doch später will er eine Familie gründen. Ein Ziel, für das die anderen Protagonisten aus dem Film vermutlich noch einige Nachtschichten einlegen werden müssen, hat er bereits erreicht: Er sei bereits Chef, sagt Boutellier. «Einfach nur bei einer Firma mit gerade einmal zwei Leuten.»