Vom Altruisten zum BetrügerDer seltsame Fall von FTX-Gründer Sam Bankman-Fried
Am Dienstag beginnt der Prozess gegen den Krypto-Zampano. Ist er wirklich ein eiskalter Schwindler oder ein naiver Player, der sich völlig verrannt hat? Und welche Rolle spielen seine mitangeklagten Eltern?
Seine Eltern stammen aus bescheidenen Verhältnissen und leben seit den Neunzigerjahren im gleichen Haus, einem einstöckigen Bungalow auf dem Campus der Stanford-Universität. Sie beschreiben sich als «zweckorientiert» und «ethisch motiviert».
Als Wissenschaftler entwarfen Joseph Bankman und Barbara Fried ein Steuerrecht, das den Steuerbetrug beseitigen und ein Instrument der sozialen Gerechtigkeit werden sollte. Auch zu Hause führten sie mit ihren Söhnen Gabriel und Sam immer wieder Gespräche darüber, was es bedeutet, ein ethisches Leben zu führen.
Sie waren stolz, als Sam mit der Kryptoplattform FTX immense Profite machte und versicherte, das Vermögen für gute Zwecke zu verschenken. Doch nun steht der gestürzte «Krypto-König» ab kommendem Dienstag wegen Betrugs und Geldwäsche vor Gericht, und die Eltern sehen sich als Mittäter auf der Anklagebank.
Er spielte nicht mit anderen Kindern
Der Aufstieg und Fall von Sam Bankman-Fried ist in vieler Hinsicht ein Rätsel. Nichts deutete darauf hin, dass das scheue und isolierte Kind eine der grössten und merkwürdigsten Betrügereien begehen könnte. Er spielte nicht mit anderen Kindern und unterhielt sich lieber mit Baseball-Statistiken und mathematischen Rätseln. Er war hyperaktiv und hatte Mühe, sich zu konzentrieren.
Eine Diagnose bestätigte später diese Störung, die ihn noch lange Jahre belasten sollte. Als Jugendlicher bekannte er einmal, die Schule langweile ihn, worauf er in ein Mathematikprogramm für Hochbegabte geschickt wurde. Obwohl sich seine Eltern an der Universität für die Förderung öffentlicher Schulen einsetzten, steckten sie ihn in eine Privatschule, die auch viele privilegierte Kinder aus der Techbranche ausbildete, darunter Steve Jobs' Sohn.
«Er war brillant und scharfsinnig», erinnert sich ein Mitschüler, «aber die Schule war nicht anspruchsvoll genug für ihn.»
Angeblich verschenkte er die Hälfte seines ersten Verdienstes
Nach einer Ausbildung am renommierten Massachusetts Institute of Technology stieg Bankman-Fried bei einem untypischen Hedgefonds ein, Jane Street Capital. Hier arbeiteten Anhänger einer Gesellschaftstheorie, die minime Preis- und Zeitunterschiede an den Börsen ausnutzten, hohe Profite erzielten und dieses Abkassieren mit gemeinnützigen Absichten erklärten.
Für Bankman-Fried war es eine erste Gelegenheit, das ethische Handeln, das er zu Hause diskutiert hatte, umzusetzen. Er verschenkte nach eigenen Angaben die Hälfte von dem, was er bei Jane Street Capital verdiente, an Tierschutzorganisationen und an das Centre for Effective Altruism. Belege dafür wollte er auf Anfrage des Magazins «The New Yorker» aber nicht vorlegen.
Bei Jane Street Capital traf er auch Caroline Ellison, Tochter eines Hochschulprofessors, die später seine Geliebte werden sollte. Sie wurde Teil eines kleinen Kreises von Freunden, mit denen Bankman-Fried später die Kryptoplattform FTX und Alameda Research, eine Tochtergesellschaft, bauen sollte.
Wie brüchig diese Freundschaften aber waren, zeigt der nun anlaufende Prozess. Alle diese Vertrauten haben sich bereits des Betrugs schuldig bekannt und wollen als Zeugen gegen ihren früheren Chef auftreten. Ihre Aussagen aus dem Innern der klandestinen Kryptoszene werden als brisant und möglicherweise als entscheidend angesehen. Denn für einen Schuldspruch braucht es das einstimmige Verdikt aller Geschworenen. Und Insider, die auspacken, machen Eindruck.
«Sam wird niemals lügen.»
Viel Geld machen und Gutes tun: Das Versprechen, die Welt zu verbessern, wollte Bankman-Fried auch bei FTX durchziehen. Er plädiert vor dem Gericht dafür, dass er naiv war und den Krypothandel zu wenig scharf kontrolliert habe. Betrugsabsichten aber, wie das die Anklage unterstellt, habe er nie gehabt.
Das ist auch die Meinung seiner Mutter, die eine professionelle PR-Kampagne gestartet hat, um seinen Freispruch zu erwirken. Ihr Sohn sei unfähig zu Falschheit oder Diebstahl, sagt sie. «Sam wird niemals lügen. Das liegt einfach nicht in ihm.»
Auf dem Höhepunkt seiner FTX-Börse betrug sein Vermögen 26 Milliarden Dollar. Er verteilte Geld mit beiden Händen: 2020 etwa war er einer der grössten Geldgeber von Joe Biden, während er gleichzeitig Gelder prominenter Kunden wie dem Supermodel Gisele Bündchen, dem Basketballstar Steph Curry und dem Milliardär und Ölinvestor Robert Belfer abzockte.
Die Eltern sollen von seinem Betrugssystem profitiert haben
Die US-Justiz wirft ihm vor, einen in sich geschlossenen Betrugsring betrieben zu haben, von dem auch die Eltern profitiert haben sollen. Auf den Bahamas wurden unter seinem Namen mehr als dreissig Grundstücke erworben, und dies im vollen Wissen seines Vaters, der auch als Berater bezahlt wurde. Das Geld dafür wurde angeblich einem Kundenkonto entnommen. Beide Eltern stehen nun als Komplizen vor Gericht.
Die Betrugssumme liegt bei über acht Milliarden Dollar. Zu den Opfern gehören freilich nicht nur Prominente, sondern viele gewöhnliche Anlegerinnen und Anleger, darunter Bauarbeiter, Kleinunternehmerinnen und Studenten.
Bankman-Fried war im Februar von den Bahamas in die USA ausgeliefert worden und machte sich sofort neuer Straftaten schuldig. Er spielte der «New York Times» vertrauliche Unterlagen zu, die seine Ex-Freundin und nun als Zeugin der Anklage auftretende Caroline Elisson in ein schlechtes Licht rücken wollten. Daraufhin entzog ihm ein Gericht das Privileg, gegen Kaution auf freiem Fuss bei seinen Eltern leben zu können.
Seit Monaten wartet er in einem Gefängnis im New Yorker Stadtteil Brooklyn auf den Prozess. Er klagt über schlechtes, für Veganer unverdauliches Essen und lebt gemäss seinem Anwalt von Brot, Wasser und Erdnussbutter.
Grossartige Versprechen, unbegrenzter Glauben an digitale Währungen
«Ich bin bei Krypto dabei, weil ich den grösstmöglichen weltweiten positiven Einfluss erzielen möchte», schrieb Bankman-Fried einmal in einem Inserat. Wie andere Krypto-Missionare predigte er die Kraft digitaler Währungen und der Blockchain-Technologie, die Bösewichte aus dem Finanzsystem eliminieren und das Leben der Armen fundamental verbessern würden.
Ähnlich grossartige Versprechen und der unbegrenzte Glauben an die Technologie treiben nicht nur Leute wie Bankman-Fried an. Sie sind Teil des Sendungsbewusstseins der Tech-Elite im Silicon Valley. Die Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin, Facebook-Gründer Mark Zuckerberg und Elon Musk sind vom gleichen Sendungsbewusstsein besessen.
Sie sehen sich als Sündenböcke des Krypto-Debakels abgestempelt
Die Bankman-Frieds sind überzeugt, zu Sündenböcken für das ganze Krypto-Debakel herhalten zu müssen. Die Klagen zielten nur darauf ab, sagt Vater Bankman, «die Geschworenen im Vorfeld von Sams Prozess aufzuwiegeln, indem man uns alle als Bande von Dieben darstellt.»
Wird sein Sohn in allen Anklagepunkten schuldig gesprochen, drohen ihm 115 Jahre Haft. Realistischerweise dürfte er aber mit höchstens zwanzig Jahren davonkommen. Der Prozess gilt als wegweisend. Es geht nicht nur darum, dass eine Familie vor Gericht steht, die gleichzeitig naiv und gerissen daherkommt. Es geht ebenso um die Zukunft des Kryptomarktes und seiner Regulierung, die dringender denn je ist.
Die Hoffnung allerdings, dass Kryptowährungen eine vom Klammergriff der Finanzbranche und der Notenbanken befreite Alternative bilden könnten, muss mit dem Prozess definitiv beerdigt werden.
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