Gefahr für Tiere der AntarktisDie Vogelgrippe bedroht auch Pinguine
Zugvögel sollen den tödlichen H5N1-Erreger aus Südamerika nach Südgeorgien eingeschleppt haben. Forscher befürchten eine Katastrophe, nicht nur für gefährdete Vögel.
Die Vogelgrippe drängt in immer entlegenere Regionen der Erde vor – und wird nun wohl zur Bedrohung für Pinguine. Bisher blieben die Antarktis, Australien und Ozeanien verschont. Doch jetzt haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Polarforschungsorganisation British Antarctic Survey (BAS) erste Fälle auf Bird Island im Südpolarmeer entdeckt. Erstmals am 17. September stiessen sie auf eine Raubmöwe der Art Brauner Skua, die verdächtig strauchelte, wie der Seevogelökologe Norman Ratcliffe von der BAS berichtet. Seither fanden Forscher 29 tote Vögel derselben Art. Drei Tieren entnahmen sie Proben und sandten diese in ein Labor in Grossbritannien. Der Test bestätigte den Verdacht: In den Tieren fand sich der Erreger der Vogelgrippe, das Influenza-A-Virus H5N1. Der Erreger ist hochansteckend und hat weltweit bereits Millionen Vögel getötet.
Die Tiere auf Bird Island waren zuvor nicht mit diesem Erreger in Kontakt gekommen. Umweltexperten befürchten deshalb ein Massensterben. Die kleine Insel, die zu Südgeorgien und den Südlichen Sandwichinseln gehört, ist lediglich mit dem Schiff erreichbar. Sie liegt etwa 1400 Kilometer südöstlich der Falklandinseln, etwa dieselbe Distanz trennt sie vom antarktischen Festland. Diese Abgeschiedenheit hat dazu geführt, dass die Tierwelt hier eine besondere ist: «Bird Island ist eines der artenreichsten Naturschutzgebiete der Welt», heisst es auf der Website der dortigen Forschungsstation. Auf der subantarktischen Insel brüten 50'000 Pinguinpaare. Zehntausende Seebären, eine Robbenart, paaren sich auf Bird Island. Und viele der dort lebenden Seevögel stehen auf der Liste der gefährdeten oder bedrohten Tiere, darunter Albatrosse.
Bedroht sind Vögel und viele Säugetierarten
Vom Virus besonders bedroht seien nun einige Pinguin-Arten, sagte Timm Harder, Leiter des Instituts für Virusdiagnostik am Friedrich-Loeffler-Institut in Greifswald, der Deutschen Presse-Agentur: «Wenn die Viren von Südamerika aus in die grossen antarktischen Pinguin-Populationen einbrechen würden, muss man mit schlimmen Folgen rechnen.»
Wahrscheinlich schleppte der Braune Skua die Vogelgrippe von Südamerika ein. Der Zugvogel überwintert auf der Nordhalbkugel und kehrt auf antarktische Inseln zurück, um dort zu brüten. Meist legt er dabei einen Zwischenstopp in Südamerika ein. Seit Ende des vergangenen Jahres tobt auch dort die Vogelgrippe. An der Pazifikküste in Peru und Chile wurden Tausende tote Pelikane, Pinguine, Meeresotter, Robben und andere Meeresbewohner entdeckt. An der südamerikanischen Atlantikküste wurden im Sommer in Uruguay und Argentinien tote Seelöwen entdeckt. Insgesamt registrierten die Behörden in Südamerika bislang etwa 20'000 tote Seelöwen, mehr als 500'000 Meeresvögel starben am Virus. Selbst die Galapagosinseln vor der Küste Ecuadors hat das Vogelgrippevirus bereits erreicht. In Zugvögeln legte das Virus mehr als 6000 Kilometer in nur drei Monaten zurück und gelangte schliesslich zur südlichsten Spitze Feuerlands. Schon im September warnten Expertinnen und Experten deshalb vor der möglichen Gefahr von «verheerenden Auswirkungen auf Seevogelkolonien» im Südpolarmeer.
Die längste Vogelgrippewelle
Der derzeitige Ausbruch, der im Oktober 2021 begann, ist die längste bisher dokumentierte Vogelgrippewelle. Weltweit sind nicht nur Vögel, sondern auch Säugetierarten wie Waschbären, Füchse, Bären und Marder betroffen, sogar Hauskatzen. Vogelgrippefälle in Nerzfarmen beunruhigen Expertinnen und Experten, weil diese befürchten, dass der Erreger von Säuger zu Säuger springen könnte. Für Menschen gilt er bisher als weitgehend ungefährlich.
Sollte die Vogelgrippe jetzt auch in die Antarktis vordringen, sind Australien und Ozeanien die einzigen Regionen, in denen keine Fälle bekannt sind. Vogelgrippe-Experte Harder geht jedoch davon aus, dass das nicht so bleiben wird: «Das ist nur eine Frage der Zeit.» Zumindest aus Südgeorgien werde die Vogelgrippe zwar nicht den Sprung auf den antarktischen Kontinent schaffen, meint der BAS-Ökologe Norman Ratcliffe. «Die Vögel ziehen dorthin, um zu brüten. Ich würde nicht erwarten, dass sie weiter nach Süden ziehen.» Grund zur Entwarnung sei das aber nicht: Das Virus habe gezeigt, dass es ohne weiteres grosse Distanzen überbrücken könne. «Das Risiko ist, dass infizierte Vögel innerhalb weniger Tage grosse Teile der Ozeane überqueren können, wir sprechen hier von 800 Meilen», sagt Ratcliffe. «Es gibt eine Latenzzeit von ein paar Tagen, bevor sie Symptome zeigen, die ihre motorischen Fähigkeiten und ihre Koordination beeinträchtigen.»
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