Gerüchte um PetkovicVerliert die Schweiz nach der EM ihren Trainer?
Vladimir Petkovic soll von Zenit St. Petersburg umworben sein. Sein Chef Pierluigi Tami reagiert gelassen.
Um 3.23 Uhr meldet sich in Baku der Muezzin. Sechs Minuten lang ruft er zum Gebet auf. 40 km entfernt, an der Bilga Beach, hört Pierluigi Tami nichts vom kraftvollen Gesang. Er hat eine gute und ruhige Nacht im schönen Hotel hinter sich. Über ein Jahr ist es wegen Corona geschlossen gewesen, jetzt gehört ein Teil davon den Schweizern fast allein.
Tami ist seit knapp zwei Jahren Direktor der Nationalmannschaften und direkter Vorgesetzter von Vladimir Petkovic. Und wenige Tage vor dem EM-Start gibt es zwei zentrale Fragen: Was ist mit Petkovic, um den es wegen Zenit St. Petersburg wieder einmal Wechselgerüchte gibt? Und wie gut ist diese Schweizer Mannschaft wirklich?
Der Direktor lässt sich Zeit mit dem Thema Petkovic. Zuerst will er über die Mannschaft reden. Ihre Qualität ist jedes Mal Thema, wenn ein grosses Turnier ansteht und die Spieler sich voller Selbstvertrauen über die eigene Stärken äussern. Und jedes Mal, wenn sie einen Achtelfinal verloren haben, heisst es: Halt doch nicht so gut, wie sie selbst denken.
Jetzt sagt Tami: «Die Frage nach der Qualität ist einfach zu beantworten. Die Antwort gibt es auf dem Feld. Da können wir noch lange denken und sagen, was wir wollen.» Auch er ist angetan von dieser Mannschaft, welchen Fussball sie unter Petkovic spielt, wie sie sich präsentiert, er habe viel Positives gesehen, sagt er, «aber können wir das gegen jede Mannschaft? Es zählen nur die Resultate. Dafür braucht es eine gute Leistung und Glück, und man muss weniger Fehler machen als der Gegner.»
Tamis Rechnung
Doch was kann das Resultat sein? Achtelfinal, mehr, viel mehr? Tami hat eine grosse Leidenschaft, das Wandern und Trekking. Bevor er sich dazu aufmacht, plant er die Etappen, aber er hat nur ein Ziel: «Die erste Berghütte zu erreichen. Und für uns ist die erste Hütte Wales.»
Wales ist am Samstag, 15 Uhr Schweizer Zeit. Es ist das vermeintliche Schlüsselspiel, weil Wales in dieser Gruppe A weniger stark eingestuft wird als Italien und die Türkei. Vielleicht ist diese Einstufung ein tückischer Irrtum, die Waliser liegen in der Fifa-Weltrangliste auf Platz 17, nur vier Plätze hinter der Schweiz, dafür zwölf vor der Türkei.
«Man kann auch den Achtelfinal erreichen, wenn man das erste Spiel verliert», sagt Tami. «Und man kann es gewinnen und den Achtelfinal doch verpassen.» Der Schweiz erging das 2010 so nach dem glorreichen 1:0 im Startspiel gegen den späteren Weltmeister Spanien. Danach verlor sie 0:1 gegen Chile und stolperte zum 0:0 gegen Honduras und war ausgeschieden. Tamis Erkenntnis heisst: «Wenn man nicht gut spielt und doch die Resultate erbringt, erinnert man sich nur an die Resultate.»
Die Rolle der Mannschaft
Petkovic hat sich ein so gutes Ansehen erarbeitet, dass ein Angebot aus St. Petersburg nicht überraschen würde. EM-Achtelfinal 2016, WM-Achtelfinal 2018, Final Four der Nations League, jetzt diese EM – das sind seine Resultate bisher. Der Ausreisser nach oben zwar fehlt auch ihm, wie zuvor Köbi Kuhn und Ottmar Hitzfeld. Aber er hat der Mannschaft ein Gesicht gegeben, ihr Spielstil, der ihm so wichtig ist, ist unverkennbar. Die Dreierabwehr hat er etabliert, das Spiel aus der Abwehr heraus, das Denken, dass seine Mannschaft selbst gegen Spanien mit spielerischen Mitteln gewinnen kann. «Er arbeitet sehr präzise, sehr detailliert», sagt Tami.
Die Arbeit des Trainers beobachtet er intensiv. Er ist es in seiner Funktion auch, der positiven Einfluss auf die Wahrnehmung Petkovics genommen hat. Und die hat sich unter ihm verändert. Nach der WM in Russland vor drei Jahren war das noch anders gewesen, die Ereignisse wirkten lange nach und waren verbunden mit der Kritik, dass er sich gegenüber der Öffentlichkeit, den Clubs, den Medien, öffnen müsse. Im Rückblick sagte Petkovic selbst einmal, alles sei «verklemmt» gewesen.
Alle haben sie nun gelernt aus Russland und dem Doppeladler: der Verband, der Trainer, die Spieler. Tami fragt sich in diesem Zusammenhang gleich selbst: «Was ist die Rolle unserer Mannschaft?» Und gibt dann auch die Antwort: «Wir wollen uns für Turniere qualifizieren. Wir haben aber auch eine wichtige Botschaft.» Die heisst: Respekt vor den Mitspielern, den Regeln, dem Gegner und den Fans, Solidarität, es wird keine Politik und Religion betrieben. «Wenn wir andere Botschaften aussenden, wird es gefährlich», sagt Tami. Weil sie so missverstanden werden können wie vor drei Jahren gegen Serbien.
Die Antwort zu Petkovic
Nach bald zwei Jahren mit Petkovic bilanziert Tami: «Vlado hat einen super Job gemacht.» Er nennt Petkovic immer Vlado. Er spürt in diesen Tagen einen Trainer, der weiss, dass das Turnier auch für ihn wichtig sein wird. «Er will doch nicht nur teilnehmen, sondern mehr erreichen.»
Und wie ist das nun mit Zenit St. Petersburg? Gerüchten zufolge soll Petkovic die Schweiz nach der EM verlassen und nach Russland wechseln. Zenit ist eine ziemliche Hausnummer, alimentiert von Gazprom, dem weltweit grössten Erdgasunternehmen und begleitet von den Sympathien Wladimir Putins. «Gerüchte gibt es immer wieder», sagt Tami, «in der Vergangenheit ging es bei Vlado um Italien». Er ist deshalb nicht beunruhigt, er funktioniert anders: «Ich bleibe beim Konkreten.»
Das Konkrete ist der Vertrag mit Petkovic, der bis zum Ende der laufenden WM-Qualifikation gültig ist und gar bis Ende 2022, wenn die Schweiz am Turnier in Katar teilnehmen kann. Und die Idee ist, Ende dieses Jahres zu überlegen, wie es weitergeht mit Petkovic, «nicht erst Ende 2022». Vielleicht macht er das auch jetzt schon. Schaden kann es nicht. Um vorbereitet zu sein, falls aus Petkovic und St. Petersburg doch mehr wird als nur eine Spekulation.
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