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Analyse zur Alltagssprache
Verliert die deutsche Sprache ihre Gefühle?

«Sorry!» – «Easy!»: Gerade wenn Emotionen im Spiel sind, scheint Englisch in der Alltagssprache besonders hilfreich.
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Diese Szene hat sich kürzlich in einer Schweizer Stadt zugetragen: Ein Jogger schneidet einem Fussgänger den Weg ab, nur knapp kommt es nicht zum Zusammenprall. Der Sportler ruft im Weiterrennen: «Sorry!» Der Fussgänger antwortet: «Easy.»

Zwei englische Wörter, und die Sache war geklärt. Ein möglicher Konflikt und dessen Auflösung in einem Kürzestdialog.

Englische Effizienz

Die Situation zeigt, wie reflexartig wir uns im alltäglichen Umgang englischer Wörter bedienen und wie effizient das Englische dabei sein kann. Gerade wenn Emotionen im Spiel sind, scheint das Englische besonders hilfreich: Wenn wir uns aufregen, schämen, freuen, wenn wir begeistern, motivieren, besänftigen wollen, dann greifen wir gern zu englischen Vokabeln.

  • Etwa zu Adjektiven: «Das ist crazy», «Langsam wirds mir too much», «Das war irgendwie awkward»;

  • zu Verben: «Ich kann das nicht handeln», «Das triggert mich», «Wir müssen uns hier committen», «Er ghostet mich»;

  • zu Akronymen: «OMG», «TMI»;

  • zu Fluchwörtern, sowieso: «What the fuck», «shit», «damn»;

  • und natürlich zum Jugendwort des Jahres 2021: «Cringe», wenn etwas zum Fremdschämen ist.

Die englischen Lehnwörter scheinen ständig mehr zu werden. Doch wie entscheidet sich, welche fremdsprachigen Wörter in den Alltag einfliessen? Und was macht Englisch so erfolgreich im Deutschen?

Social Media sind eine riesige Gefühlsbubble: Wir lesen dort Ausdrücke in hundertfacher Ausführung, bis wir sie in unserer gesprochenen Sprache verwenden.

Englisch ist, gerade über unsere Smartphones, im Alltag «einfach sehr präsent», wie Deutschprofessorin Christa Dürscheid von der Universität Zürich sagt. Social Media spielen bei der stärkeren Verbreitung die tragende Rolle. Englisch ist auf Youtube, Instagram, Tiktok und Twitter der sprachliche gemeinsame Nenner, der eine möglichst grosse Verständlichkeit – und damit Reichweite – verspricht. Hier entwickeln gerade junge Userinnen und User auch ihre eigenen Begrifflichkeiten, mit denen sie sich sprachlich von älteren Generationen absetzen.

Social Media sind zudem eine riesige Gefühlsbubble. Es werden besonders gern Inhalte geteilt, die Emotionen transportieren oder wecken: Wow-Momente, Frust, Ängste, Schicksale, Shitstorms. Und so lesen wir die Adjektive, Verben und Akronyme in hundertfacher Repetition, bis wir sie auch in unserer gesprochenen Sprache verwenden.

Die Grammatik ist konservativ: Es werden nur Wörter übernommen, die Satzstrukturen bleiben unverändert.

Dass wir Wörter aus dem Englischen übernehmen, ist längst Realität, und es geschieht natürlich nicht nur, wenn wir emotional werden. So sind gemäss Dürscheid die Musikszene, die Informatik, aber auch die Arbeitswelt ganz generell von englischen Ausdrücken durchdrungen – und es werden tatsächlich immer mehr, wie die Forscherin erklärt. «Das Englische nimmt zu, weil es immer wieder neue Sachverhalte gibt, die bezeichnet werden müssen.» Das geschieht häufig in Anlehnung an einen englischen Ausdruck, oft auch an einen Firmennamen – googeln, whatsappen, zoomen.

Auch das digitale Daten hat eine Reihe neuer Wörter ins Deutsche gebracht. Wir swipen, werden geghostet oder matchen mit jemandem.

Wo Sprache ist, ist Austausch. Wörter sterben aus, neue kommen dazu. «Durch Sprachkontakt gibt es verschiedene Quellen, aus denen sich der Wortschatz einer Sprache speist. Und da das Englische im Deutschen so omnipräsent ist, ist das eine der bevorzugten Quellen», sagt Dürscheid. Die Grammatik ist dabei konservativ. Es werden nur Wörter übernommen, die Satzstrukturen bleiben unverändert, wie die Sprachwissenschaftlerin betont.

Schmerzt ghosten weniger als ignorieren?

Ganz unwissenschaftlich verknappt könnte man sagen: Das Englische ist gegenüber dem Deutschen besonders durchsetzungsfähig, wenn es neue gesellschaftliche Phänomene zu benennen gilt. Und wenn es unangenehm werden kann – im Job und in emotionalen Momenten.

Ist ein Meeting weniger mühsam als eine Sitzung, eine Break-out-Session einladender als eine Gruppenarbeit? Fällt es uns leichter, zu sagen «Mich triggert das» als «Ich halte es nicht aus»? Schmerzt es ein bisschen weniger, geghostet zu werden als ignoriert?

Womöglich können wir mit Gefühlen und Arbeitsstress ein bisschen besser umgehen, wenn die sprachliche Distanz dazukommt.