Umsetzung des BurkaverbotsVerhüllt demonstrieren? Nur noch mit Sonderbewilligung
Der Bundesrat will die Burkainitiative schärfer umsetzen als geplant. Doch Experten glauben, das Gesetz lasse sich kaum vollstrecken.
Vor anderthalb Jahren haben Volk und Stände die Burkainitiative angenommen. Diese verlangt, dass niemand im öffentlichen Raum sein Gesicht verhüllen darf. Nun hat der Bundesrat das Gesetz zur Umsetzung ans Parlament geleitet.
Wie geplant, soll es Ausnahmen geben. In Gotteshäusern darf das Gesicht weiterhin verhüllt werden, ebenso in Flugzeugen und diplomatischen Räumlichkeiten. Auch der Schal im Winter, die Fasnachtsmaske und die seit der Pandemie verbreiteten medizinischen Masken bleiben erlaubt: Zulässig ist eine Verhüllung aus Gründen der Gesundheit, der Sicherheit, der klimatischen Bedingungen, des einheimischen Brauchtums sowie für künstlerische Darbietungen und Werbezwecke.
Allerdings weicht der Bundesrat in einem bemerkenswerten Punkt von seinem ursprünglichen Plan ab. Vorgesehen hatte er zunächst eine Ausnahme für Kundgebungen: Demonstrantinnen und Demonstranten hätten sich demnach weiterhin verhüllen dürfen, wenn dies für die Meinungsäusserungs- oder die Versammlungsfreiheit notwendig ist. Doch das kam in der Vernehmlassung nicht gut an.
Nun verschärft der Bundesrat die Bestimmung: Die Verhüllung an Demonstrationen soll verboten sein, ausser die zuständige Behörde hat Verhüllungen vorgängig bewilligt. Die Bewilligung soll nur erfolgen, wenn die öffentliche Sicherheit dadurch nicht gefährdet ist und wenn die Verhüllung zum Schutz der Meinungs- oder der Versammlungsfreiheit notwendig ist.
Der Bundesrat nennt als Beispiel Kundgebungen gegen autoritäre Regimes: Teilnehmende können auf Anonymität angewiesen sein, um sich oder ihre Familie vor Verfolgung zu schützen. Erlaubt werden könnte die Verhüllung aber auch dann, wenn Teilnehmenden wegen ihrer politischen Haltung die Entlassung durch den Arbeitgeber droht.
Eine Sonderbewilligung soll ausserdem möglich sein, wenn die Verhüllung eine Form der bildlichen Meinungsäusserung darstellt. Ein Beispiel dafür wären Tiermasken an einer Kundgebung gegen Massentierhaltung.
Bundesrat sucht Balance
«Hier geht es vor allem darum, eine Balance zu finden», schreibt der Bundesrat in seiner Botschaft ans Parlament. Einerseits bestehe ein öffentliches Interesse, anonym begangene Straftaten zu vereiteln. Andererseits gebe es den individuellen Anspruch, die Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit ohne unverhältnismässige Einschränkungen wahrnehmen zu können.
Ist die Balance gelungen? Immerhin seien Ausnahmen für Demonstrationen vorgesehen, sagt Staatsrechtsexperte Patrice Zumsteg von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Sonst würde der Schweiz eine Verurteilung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte drohen. «Das Problem ist in der Initiative angelegt», gibt Zumsteg zu bedenken. Der Bundesrat halte sich bloss an den Verfassungstext.
Auch Staatsrechtsprofessor Andreas Stöckli von der Universität Freiburg weist darauf hin, dass der Bundesrat zwar nun in Bezug auf Demonstrationen eine strengere Umsetzung vorschlage als in der Vernehmlassung. Dennoch gehe der Bundesrat insbesondere bezüglich der Ausnahmen vom Verhüllungsverbot über den Verfassungswortlaut hinaus und nehme insofern gewisse Korrekturen vor. Er berufe sich dabei auf eine verfassungsharmonisierende und völkerrechtskonforme Auslegung.
«Wer will, kann mit Sonnenbrille, Mütze und medizinischer Maske an einer Demonstration teilnehmen.»
Eine andere Frage ist, welche Auswirkungen zu erwarten sind. Zumsteg geht davon aus, dass das Gesetz toter Buchstabe bleiben wird. Es sei illusorisch, zu glauben, dass eine Demonstration wegen einiger Vermummter aufgelöst werden könne. Ausserdem seien die Regeln einfach zu umgehen. «Wer will, kann mit Sonnenbrille, Mütze und medizinischer Maske an einer Demonstration teilnehmen. Das ist nicht verboten.» Staatsrechtsprofessor Andreas Stöckli sieht hier ebenfalls ein gewisses Missbrauchspotenzial.
Fünfzehn Kantone kennen heute schon Vermummungsverbote für Kundgebungen oder Sportanlässe, darunter Zürich, Bern und Basel-Stadt. Stimmt das Parlament dem Vorschlag des Bundesrates zu, werden Verhüllungen an Kundgebungen in allen Kantonen bewilligungspflichtig. Das Bundesgericht hat die Rechtmässigkeit von Vermummungsverboten bestätigt, verlangte aber Ausnahmen.
Wer gegen das Verhüllungsverbot verstösst, muss mit einer Busse bis zu 1000 Franken rechnen. Ursprünglich hatte der Bundesrat eine Busse bis 10’000 Franken vorgeschlagen. Zumsteg bezweifelt jedoch, dass es zu vielen Bussen kommen wird. Die Polizei werde kaum Touristinnen mit Burka auf dem Weg vom Hotel ins Taxi verfolgen, sagt er. Gemäss dem polizeirechtlichen Opportunitätsprinzip müsse nicht alles verfolgt werden. «Den Initianten geht es aber wohl ohnehin um die Symbolkraft.»
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