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Insel der Extreme
Tofino ist ein Sehnsuchtsort für Wellenreiterinnen und Sturmjäger

Ein Surfer geht mit einem Surfbrett am Strand entlang, im Hintergrund das Wickaninnish Inn bei Tofino auf Vancouver Island, umgeben von Bäumen. Foto von Moritz Hager.
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Man hat uns gewarnt: Auf der kurvenreichen Strecke über die Insel könnte es einem übel werden. Nicht, wenn man aus der Schweiz kommt! Für uns Bergpass-erprobte Touristen ist die dreistündige Fahrt quer durch Vancouver Island ein reiner Genuss. 

Der British Columbia Highway 4 windet sich durch einsames Gelände, vorbei an Seen und Flüssen. Es sieht ein bisschen aus wie zu Hause. Ausser dass hier gelbe Schilder vor Elchen warnen. Und vor Bären. Und vor Lastwagen mit schweren Baumstämmen im Schlepptau. Man begegnet den Kolossen oft, die Insel vor der Westküste Kanadas – sie ist fast so gross wie die Schweiz – ist von dichtem Regenwald geprägt. Entlang des Highways, im MacMillan Provincial Park, stehen die höchsten und ältesten Douglasfichten der Welt. 

In der Ferne erheben sich Berge, die selbst bei unserem Besuch im Juni noch schneebedeckt sind. Vancouver Island kann aber auch mit kilometerlangen sandigen Stränden aufwarten. Am Morgen Skifahren auf dem 1590 Meter hohen Mount Washington, am Nachmittag die Wellen des Pazifiks reiten. Möglich wärs.

Regenwald und Sandstrände: Tofino zieht Naturliebhaber und Surferinnen an.
Einkaufsgeschäfte in Tofino auf Vancouver Island, mit Surfbrettern und Kleidungsstücken vor einem Laden, Foto von Moritz Hager.

Unser Ziel: Tofino, der Sehnsuchtsort für Wellenreiter und Stormwatcher. Das ehemalige Fischerdorf mit seinen knapp 2000 Einwohnern ist rund ums Jahr ein belebter, aber überschaubarer Ferienort: Surfshops, Bike Rentals, Galerien und Cannabis-Shops, ein paar Cafés und Restaurants. Selbst in der Vorsaison muss man sich zuweilen gedulden, bis ein Tisch frei wird – im Hochsommer steppt hier sprichwörtlich der Bär.

In Tofino ist Whale Watching wichtig

Nach Tofino reist man der richtigen Bären und Wale wegen. Whale Watching ist das wichtigste Business hier, zahlreiche Anbieter versprechen eine Sichtungsrate von 90 Prozent. Im März ziehen Tausende Grauwale auf ihrer langen Wanderung von Mexiko nach Alaska an der wilden Westküste vorbei, Buckelwale und Orcas könnte man immer sehen. 

Wir aber entscheiden uns für die Bären. Etwa 7000 Schwarzbären leben in den Wäldern der Insel, eine der grössten Bärenpopulationen weltweit. Aaron Frank, unser Guide, wird uns mit dem Boot zu ihnen führen. Versprechungen macht er jedoch keine, «wir sind kein Zoo». Er gehört zum Stamm der Ahousaht First Nation, alles, was er über wilde Tiere und deren Lebensraum weiss, hat ihm sein Vater weitergegeben. 

Aussicht auf Tofino auf Vancouver Island, British Columbia, mit Totempfahl und Anker im Vordergrund, Foto von Moritz Hager.

Zuerst müssen wir wie überall in Nordamerika ein ausführliches Formular ausfüllen und bestätigen, dass wir auf eigene Gefahr an diesem Ausflug teilnehmen. Es folgt eine detaillierte Instruktion der Schwimmweste, es könnte selbst zwischen den Inselchen stürmisch werden, sagt Aaron.

Mit an Bord ist ein Paar aus Deutschland und eines aus der Schweiz, die Männer mit Profikameras im Anschlag, den Frauen genügt das Handy. Aaron steuert und späht. Er sieht den Bären lange, bevor wir ihn sehen – mit Fernglas. «And three little ones!», ruft Aaron. Tatsächlich. Die Bärenmutter und ihre Jungen suchen am Ufer nach Muscheln und Krebsen. 

Aaron Frank steuert ein Boot bei Tofino auf Vancouver Island, British Columbia, mit blauer Kappe und schwarzer Weste. Foto von Moritz Hager.

Schon sind wir von weiteren Booten voller Touristen umzingelt, die Kameras rattern wie Gewehrsalven. Im Sommer würden sich Dutzende Boote besammeln, sobald ein Bär entdeckt werde, sagt Aaron. Die Tiere scheinen sich an den Motorenlärm gewöhnt zu haben – immerhin müssen Boote oder Kajaks mindestens 200 Meter Abstand zu ihnen halten. 

In der Hochsaison lohnt sich Tofino weniger

Ein Weisskopfseeadler beobachtet uns. Der riesige Greifvogel sei weitverbreitet, sagt Aaron mit sanfter Stimme. Sogar in den Vororten der Metropole Vancouver bauen sie Nester, darin finde man als Überbleibsel seiner Beute immer wieder auch Halsbänder kleiner Hunde. Unsere Ausbeute der Exkursion: drei grosse Bären, drei kleine Bären, ein Adler und zwei Robben. Und die Erkenntnis, dass man besser nicht in der Hochsaison nach Tofino reist. 

Auch weil die Preise im Juli und August am höchsten sind. Tofino ist keine günstige Gegend, selbst die Übernachtung auf dem Campingplatz kostet gegen 100 Franken. Teuer, dafür aber einzigartig ist der Aufenthalt im The Wickaninnish Inn. Ein paar Kilometer ausserhalb Tofinos thront das «Wick» auf schwarzen Klippen zwischen uralten Zedern. Es ist der Prototyp dessen, was in Nordamerika gemeinhin als «Getaway» bezeichnet wird. Ein Rückzugsort, der sich harmonisch in die Natur einfügt, eine Verbindung zwischen Ozean und Regenwald. 

Innenbereich des Wickaninnish Inn mit Blick auf Küste und Waldlandschaft bei Tofino, Vancouver Island. Foto von Moritz Hager.

Im Wickaninnish Inn erleben wir, was erstklassige Hotels rund um die Welt predigen: Engagierte, passionierte Mitarbeitende und ein persönlicher Service machen den Unterschied. Die Frau an der Rezeption, der Kellner, der Roomservice, alle grüssen uns beim Namen. Sie lächeln und scheinen Freude an ihrer Arbeit zu haben. Das Zimmermädchen drapiert abends die flauschigen Bademäntel aufs Bett, zündet das Cheminée an, auf einem handgeschriebenen Kärtchen wünscht es eine «magic night», dazu legt sie den Wetterbericht und den Gezeitenplan.

Jedes Zimmer mit Blick auf die Brandung

Ein achtsamer Umgang mit der Natur ist dem Hotelbesitzer besonders wichtig. Zwei Flaschen stehen im Zimmer bereit, an der Wasserstation in der Lobby können sie mit frischem Quellwasser gefüllt werden. Charles McDiarmid ist in Tofino geboren, sein Vater war der Arzt im Dorf. Mit begründetem Stolz führt er durch sein Resort, er kennt jedes Holz im Haus. Auch das Puzzle – Seepferdchen, Muscheln, Krebse – in der Bibliothek ist aus Holz. Die Stühle sind aus Schwemmholz gefertigt, die Buchstützen aus Stein, «bring the outside in», sei die Idee dahinter. 

Ein Mann sitzt lächelnd in einem Holzinterieur im Wickaninnish Inn in Tofino, BC. Foto von Michael Becker.

Charles streicht über einen marmornen Oktopus – im ganzen Hotel sind Kunstwerke aus Naturmaterialien ausgestellt. Manche sind käuflich, nur den 15 Kilo schweren Seeotter in der Lobby würde der Hotelier für kein Geld der Welt hergeben. Der Fokus jedoch liegt auf dem Ozean: Die Fenster sind extragross, jedes der 75 Zimmer hat einen Balkon mit Blick auf die Brandung. Das Point Restaurant bietet eine 240 Grad Rundumsicht. 

Auch die Kulinarik im Relais-Chateaux-Hotel erfüllt höchste Ansprüche. Der Sommelier empfiehlt einen Rotwein aus British Columbia. Der Kellner erklärt jeden Teller bis ins Detail. Charles wünscht «bon appetit». Abends offeriere man übrigens gratis Babysitting, «a nice way to say: no children please», sagt er und lacht. 

In einer riesigen kupfernen Feuerstelle in der Mitte des Restaurants lodern Flammen, eine unheimliche Maske schaut von der hohen Decke herunter. Das Hotel ist benannt nach dem mächtigen Stammesführer Wickaninnish («He who no one sits in front of in the canoe»); der Anführer im Kanu.

Statue eines Seehunds in der Lobby des Wickaninnish Inn in Tofino, Vancouver Island, Britisch-Kolumbien. Foto von Moritz Hager.

Charles McDiarmid ist ein unterhaltsamer Gastgeber, er hat viel zu erzählen, von den ersten europäischen Siedlern und Farmern, die ab 1909 nach Tofino kamen, den Fischern und Holzfällern sowie den Hippies und Kriegsdienstverweigerern, die sich in den 1960er-Jahren an diesem Ende der Welt niederliessen. 

Was ist denn typisch für die Menschen, die in Tofino, die auf Vancouver Island leben? «Wir entschuldigen uns ständig», sagt Charles, oft fürs Wetter, das sich hier schlagartig ändern kann. Besonders der Winter sei eine Herausforderung. Minustemperaturen sind zwar selten, aber es ist ausgesprochen nass, es regne doppelt so viel wie in London, hören wir immer wieder.

Und deshalb gehören zur Zimmerausstattung neben dem Fernglas auch Regenmäntel. Er liebe Spaziergänge im Regen, sagt der Hotelier, die Stimmung sei dann besonders mystisch, «und der Wald ist so dicht, man wird kaum nass». Unwetter sind seine Passion, seit er denken kann. Wenn ein Orkan den nächsten jagt, wenn meterhohe Wellen gegen die Felsen schlagen, ist Charles McDiarmid in seinem Element.

Stürme und gewaltige Wellen

Zwischen November und Februar fegen Stürme bis zu 150 Stundenkilometer über die Insel, Wellen bis zu sieben Meter Höhe schleudern gegen die Küste. Dann kommen die Stormwatcher aus der ganzen Welt ins eigens dafür konstruierte Wickaninnish Inn – und erleben die ungebändigte Naturgewalt zugleich mit allem Komfort eines Luxushotels.

Wir erwachen zum Sound der Brandung, es riecht nach Ozean. Ein Spa und ein Fitnessraum, alles ist vorhanden, nur einen Swimmingpool bietet dieses Resort nicht. Wozu auch, wenn einem der Pazifik zu Füssen liegt? Ein kurzes Weglein führt hinunter zum Chesterman Beach, der Sand ist vom Ozean hart gespült.

Zwei Radfahrer am Strand bei Tofino, Vancouver Island, British Columbia, Kanada, fotografiert von Moritz Hager.

Die Sonne scheint, doch der Wind ist kühl, über 20 Grad wird es an der wilden Westküste kaum. Am besten kleidet man sich in Schichten, ein Windstopper ist nie verkehrt. Die kilometerlangen Strände sind unbeaufsichtigt, ungefährlich ist das Baden und Wellenreiten aber nicht, Schwemmholz, Strömungen, hohe Wellen, der Pazifik ist unberechenbar. 

Bester Surfspot Kanadas

Tofino gilt als bester Surfspot Kanadas, fast alle Einheimischen surfen, das Brett wird auf einem speziellen Träger seitlich ans Velo geschnallt. Surfshops stehen mitten im Wald. Die Auswahl an Neoprenanzügen ist besonders gross, das Wasser wird nie wärmer als 14 Grad Celsius, ohne Neopren steht niemand aufs Brett. Gesurft wird rund ums Jahr. Im Winter wagen sich nur die Besten in die hohen Wellen. Im Sommer herrschen ideale Bedingungen für Anfänger, zahlreiche Surfschulen bieten Kurse an – auffallend viele Frauen paddeln ins Meer hinaus.

Die Surf-Shops um Tofino stehen mitten im Wald.
Surf-Lehrer auf Vancouver Island erklärt Gruppe in pinken Shirts die Grundlagen des Surfens am Strand. Foto: Moritz Hager

Surfer schwärmen von Tofino, Wanderer hingegen fühlen sich im 40 Kilometer entfernten Ucluelet besonders wohl. «Ukee», wie die 1600 Einwohner sagen, kennt keine Besuchermassen wie Tofino, hier übernachtet man eher in bodenständigen Motels. Zwischen den beiden Orten erstreckt sich der Pacific-Rim-Nationalpark mit einem Netz von gut ausgebauten Wanderwegen. 

Besonders beliebt scheint der Lighthouse Trail zu sein, der Rundweg führt entlang der felsigen Küste und durch einen Wald voller Moose, Flechten und Farne. In der Ferne tutet das Nebelhorn. Alle paar Meter steht ein Bänklein mit Blick aufs Meer – wir rasten mit der Hoffnung, doch noch einen Wal zu sehen. Auch hier hört man Schweizerdeutsch, in Kanada tragen die Landsleute gern T-Shirts mit Adler- oder Wolf-Motiv. 

Blick auf eine felsige Küstenlinie im Pacific Rim Nationalpark auf Vancouver Island, mit stürmischer See und bewaldeten Inseln im Hintergrund. Foto von Moritz Hager.

An einem Stand am Wegesrand klärt ein Wildhüter über die hier heimischen Tiere und mögliche Gefahren auf. Für jede Art liegt eine Infobroschüre bereit. Wir befinden uns im Wolfsgebiet! Aber auch Pumas leben hier. Trotz unendlichem Wald, vor der bösen Zecke wird nicht gewarnt. Die Blutsauger sind in British Columbia weniger gefährlich als im Rest des Landes. 

Bären-sicherer Abfalleimer auf Vancouver Island, mit Warnschild ’A fed bear is a dead bear’. Foto von Moritz Hager.

Jetzt aber volle Konzentration auf den Bären! Mit Bären muss überall gerechnet werden. Selbst in den Ortschaften sind die Abfallkübel verschlossen, denn Bären sind verfressen und sie riechen alles. Selbstverständlich ist Füttern streng verboten. 

Der Wildhüter rüstet uns aus mit Verhaltenstipps: Immer einen Bärenspray dabei haben. Nie Kopfhörer tragen. Immer auf sich aufmerksam machen. Bei einer Begegnung soll man entspannt bleiben und langsam rückwärtsgehen. Auf keinen Fall schreien oder wegrennen, das könnte ihn reizen. Dann würde es schwierig: Denn der Bär ist schnell, bergauf und bergab. Und er ist ein ausgezeichneter Kletterer – und gut schwimmen kann er übrigens auch. 

Diese Reise wurde unterstützt von Destination British Columbia und Edelweiss.