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Früherer US-Aussenminister
Henry Kissinger stirbt im Alter von 100 Jahren

Former US Secretary of State Henry Kissinger attends a luncheon at the US State Department in Washington, DC, on December 1, 2022. (Photo by ROBERTO SCHMIDT / AFP)

An Henry Kissinger schieden sich bis zuletzt die Geister. Für die einen war der frühere US-Aussenminister mit dem fränkisch gefärbten Englisch einer der brillantesten strategischen Köpfe des 20. Jahrhunderts. Die anderen sahen in Kissinger einen zynischen Machttaktiker, der ruchlos US-Interessen durchsetzte und dabei Menschenrechte missachtete. In einem waren sich Bewunderer und Kritiker der am Mittwoch im Alter von 100 verstorbenen Diplomatie-Legende jedoch einig: Kissinger hatte einen riesigen Einfluss auf die internationale Politik.

Kein deutscher Emigrant hat es in der US-Politik derart weit gebracht wie Kissinger. Geboren wurde Heinz Alfred Kissinger am 27. Mai 1923 in Fürth als Sohn einer jüdischen Lehrerfamilie. 1938 flohen die Kissingers vor der nationalsozialistischen Verfolgung in die USA, aus Heinz wurde Henry, 1943 folgte die Einbürgerung in der neuen Heimat. Als US-Soldat kehrte Kissinger während des Zweiten Weltkriegs nach Deutschland zurück und half unter anderem, NS-Schergen aufzuspüren.

Auf die Zeit bei der US-Armee folgte eine glanzvolle Wissenschaftskarriere an der Universität Harvard. Mit seinen Analysen zu Verteidigungsstrategie und Atomwaffen machte der Politikwissenschaftler auf sich aufmerksam und begann, die US-Regierung zu beraten.

Richard Nixon machte Kissinger zum Aussenminister

Als der Republikaner Richard Nixon 1969 als Präsident ins Weisse Haus einzog, machte er Kissinger zu seinem Nationalen Sicherheitsberater und 1973 zusätzlich zum Aussenminister. Kissinger wurde zum Inbegriff des Realpolitikers. Ihn trieben Einflusswahrung und der Ausgleich der weltweiten Machtbalance an. Seine Arbeit brachte ihm viele Bewunderer, aber auch viele erbitterte Gegner ein.

«Auch lange nach dem Ende seiner Amtszeit entzündeten sich an Kissinger kontroverse Meinungen», urteilt sein Biograf Walter Isaacson. «Hass und Verehrung, Ablehnung und Ehrfurcht, dazwischen liegt nicht allzu viel neutrales Territorium.»

Kissinger trieb eine Entspannung der Beziehungen zum Erzrivalen Sowjetunion voran und war massgeblich an der Entstehung des Rüstungskontrollvertrags SALT I im Jahr 1972 beteiligt. Er leitete auch eine vorsichtige Annäherung an das kommunistisch regierte China ein. Berühmt ist Kissinger zudem für seine «Shuttle-Diplomatie» im Nahostkonflikt, in dem er mit einer Vielzahl von Reisen vermittelte.

Nobelpreis für Kissinger

1973 wurde er zusammen mit dem nordvietnamesischen Chefunterhändler Le Duc Tho für ein Waffenstillstandsabkommen im Vietnamkrieg mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Es ist aber eine der umstrittensten Entscheidungen in der Geschichte des Preises: Tho lehnte die Ehrung ab, weil der Krieg trotz des Abkommens weiterging. Kissinger selbst wollte den Preis später zurückgeben.

Ohnehin stand Kissinger für seine Rolle im Vietnamkrieg in der Kritik, unter anderem mit Blick auf die Bombardierung der Nachbarländer Laos und Kambodscha. Auch ausserhalb des Vietnamkrieges war die Liste der Vorwürfe gegen den einst so mächtigen Diplomaten lang. Kissinger wurde für die Mitverantwortung der USA beim Pinochet-Putsch in Chile 1973 scharf kritisiert. Er ignorierte von Pakistan während des Bangladesh-Kriegs 1971 begangene Massaker und billigte Indonesiens blutigen Einmarsch in Ost-Timor 1975.

«Gelegentlich schien er geradezu schmerzhaft amoralisch», schreibt Biograf Isaacson. Kritiker bezeichneten Kissinger sogar als Kriegsverbrecher. Später räumte der sonst so selbstbewusste Kissinger ein, niemand könne sagen, er habe in einer Regierung gearbeitet, die keine Fehler gemacht habe.

Mit Jimmy Carter endet Kissingers Ministerkarriere

Solche Töne waren aber eher ungewöhnlich. Schon Nixons Nachfolger Gerald Ford, dem Kissinger bis 1977 ebenfalls als Aussenminister diente, nervte dessen Rechthaberei: «Henry ist überzeugt, niemals einen Fehler gemacht zu haben», sagte Ford.

Als Ford 1976 die Präsidentschaftswahl gegen den Demokraten Jimmy Carter verlor, war es vorbei mit Kissingers Ministerkarriere. Der Stratege mit der markanten knorrigen Bass-Stimme blieb aber in den folgenden Jahrzehnten ein in Washington viel gefragter und einflussreicher Berater – und sein Wort hatte bis zuletzt Gewicht. Als Buchautor befasste er sich auch im hohen Alter mit Themen wie Weltpolitik und Diplomatie, aber auch mit den Herausforderungen der künstlichen Intelligenz.

Auch zum Ukraine-Krieg äusserte er sich – und sagte in einem Interview mit der «Zeit», nicht «alle Schuld» liege beim russischen Präsidenten Wladimir Putin. Er habe schon 2014 «ernste Zweifel an dem Vorhaben geäussert, die Ukraine einzuladen, der Nato beizutreten», sagte Kissinger. «Damit begann eine Reihe von Ereignissen, die in dem Krieg kulminiert sind.»

Jetzt aber sei es besser für den Westen, «die Ukraine in die Nato aufzunehmen», fügte die Diplomatie-Legende hinzu. Ein Ratschlag, der insbesondere in Kiew sehr gerne gehört werden dürfte.

AFP/chk