Schweres Unglück in GriechenlandPersonenzug kollidiert mit Güterzug – Verkehrsminister tritt zurück
Beim Unglück zwischen Athen und Thessaloniki wurden zwei Wagen komplett zerstört. Unter den Opfern hat es viele Studierende. Ein Bahnhofsleiter wurde festgenommen.
Bei einem schweren Zugunglück in Griechenland sind nach Angaben vom Donnerstagmorgen mindestens 42 Menschen getötet und 72 weitere verletzt worden. Die Feuerwehr gab am Mittwoch die Anzahl der Todesopfer mit 36 an, der Pressesprecher sagte jedoch, die Opferzahl könnte noch steigen. Im ersten Wagen entwickelten sich Temperaturen bis 1300 Grad, was das Finden und Identifizieren der Leichen erschwere. Mindestens sechs Personen liegen mit schweren Verletzungen auf Intensivstationen der umliegenden Spitäler.
Bei dem Unglück war am späten Dienstagabend auf der Strecke zwischen der Hauptstadt Athen und der Hafenstadt Thessaloniki ein Personenzug entgleist, nachdem er frontal mit einem Güterzug zusammengestossen war. Die beiden waren auf der zweigleisigen Strecke auf demselben Gleis unterwegs, der Grund dafür wird derzeit untersucht. Auf dem Streckenabschnitt gibt es kein modernes Leitsystem, im Fokus der Ermittlungen steht daher menschliches Versagen.
Verkehrsminister übernimmt Verantwortung für Fehler der Regierung
Der griechische Verkehrsminister Kostas Karamanlis gab mittlerweile seinen Rücktritt bekannt. Die aktuelle Regierung habe die griechische Eisenbahn vor dreieinhalb Jahren in einem Zustand übernommen, der nicht ins 21. Jahrhundert passe, teilte Karamanlis am Nachmittag mit. Man habe seither alles getan, um diesen Zustand zu verbessern. «Leider reichten diese Bemühungen nicht aus, um einen solchen Unfall zu verhindern. Das ist sehr schwer für uns alle und für mich persönlich.»
Wenn so etwas Tragisches passiere, sei es nicht möglich, so weiterzumachen, als sei nichts geschehen. Er halte es für unabdingbar, dass die Bürger dem politischen System vertrauen könnten. «Aus diesem Grund trete ich vom Amt des Ministers für Infrastruktur und Verkehr zurück.» Er fühle sich verpflichtet, die Verantwortung für die Fehler des griechischen Staates zu übernehmen, sagte Karamanlis und drückte den Familien der Opfer nochmals sein Mitleid aus.
Das Unglück ereignete sich kurz vor Mitternacht in der Nähe der Stadt Larisa im Zentrum des Landes. Den Angaben der Feuerwehr zufolge entgleisten drei Wagen des Personenzuges, in dem etwa 350 Menschen sassen.
Bei vielen der Passagiere soll es sich um junge Leute gehandelt haben, Studentinnen und Studenten, die nach einem verlängerten Wochenende wegen eines Feiertags nun auf dem Weg zur Universität von Thessaloniki waren. Eine Gerichtsmedizinerin bestätigte am Mittwochmorgen, dass viele der Opfer jung waren. Bisher wurden keine Kinder unter den Toten gefunden, die meisten waren wohl Studierende, sagte sie.
Griechische Medien sprachen vom «schlimmsten Zugunfall in der Geschichte des Landes». An den Rettungsarbeiten beteiligten sich 150 Einsatzkräfte, 40 Rettungswagen waren im Einsatz. Premierminister Kyriakos Mitsotakis rief wegen der Tragödie eine dreitägige Staatstrauer aus.
Am Mittwochmorgen liefen die Bergungsarbeiten mit Kränen und schwerem Gerät und auch mit Spürhunden weiter. Bei Rettungskräften und Reportern vor Ort herrschte Fassungslosigkeit.
«So etwas habe ich noch nie in meinem Leben gesehen», sagte ein Angehöriger der Rettungskräfte, der völlig erschöpft aus einem zerstörten Waggon kam. «Es ist so tragisch.» Ein AFP-Reporter berichtete, dass einer der Waggons komplett zerquetscht war, die Rettungskräfte kamen kaum in ihn hinein. Andere Wagen waren teilweise zerstört, Flammen loderten und Rauch lag über dem Gelände.
Der Gouverneur der Region Thessalien sagte am Mittwochmorgen, die beiden Züge seien mit hoher Geschwindigkeit kollidiert. Die beiden vordersten Wagen des Passagierzugs wurden durch den Zusammenstoss komplett zerstört, sagte Costas Agorastos.
Wagen fingen nach Unfall Feuer
«Ich dachte, ich würde sterben», sagte ein Passagier der Tageszeitung «Kathimerini». Der junge Mann sass nach eigenen Angaben in einem der hinteren Waggons. Er habe am Boden Schutz gesucht, Menschen hätten geschrien und geweint. Andere Passagiere berichteten, sie hätten die Fenster eingedrückt und sich im Dunkeln aus dem halb umgekippten Waggon retten können.
«Im Moment des Unfalls sind die Fenster plötzlich explodiert», berichtete ein anderer Passagier im Fernsehen. «Zum Glück haben wir die Tür aufmachen können und konnten schnell entkommen. In anderen Wagen ist es den Leuten nicht gelungen», sagte er. «Und ein Waggon hat sogar Feuer gefangen.» Ein anderer Zuginsasse zeigte sich völlig geschockt: «Ich bin nicht verletzt, aber ich habe Blutflecken von anderen Menschen, die neben mir verletzt wurden.» Die Kollision habe sich wie ein Erdbeben angefühlt.
Ein junger Mann berichtete der Nachrichtenagentur Reuters, dass es einen grossen Knall gab und die Leute durch den Waggon geworfen wurden. «Dann herrschte Panik, überall war Feuer, Kabel hingen herunter und Menschen schrien», sagte er.
Am Bahnhof der nordgriechischen Hafenstadt Thessaloniki versammelten sich schon nachts verzweifelte Angehörige, Telefon-Hotlines wurden eingerichtet. Viele der Toten können Berichten zufolge nur per DNA-Test identifiziert werden. Rund 200 Passagiere, die nicht oder nur leicht verletzt wurden, wurden vom Unglücksort mit Bussen ins 150 Kilometer weit entfernte Thessaloniki gebracht. Manche Angehörige aber warteten vergebens.
Bahnhofsleiter von Larisa angeklagt
Wie ist es möglich, dass der Intercity von Athen nach Thessaloniki auf demselben Schienenstrang wie der entgegenkommende Güterzug unterwegs war, obwohl die Strecke zweispurig ausgebaut ist?
Der für den Abschnitt zuständige Eisenbahnchef sei bereits festgenommen worden, hiess es im Staatsfernsehen. Andere Eisenbahner und Techniker würden befragt. Die Verkehrsbehörde der nahe gelegenen Stadt Larisa hat mit Ermittlungen zur Unfallursache begonnen.
Erste Ermittlungsergebnisse deuten auf menschliches Versagen hin, wie griechische Medien berichten. Der Bahnhofsleiter von Larisa habe demnach einen Befehl zum Gleiswechsel gegeben, der vom System nicht umgesetzt worden sei, wie er der Polizei sagte. Die Züge waren deshalb auf demselben Gleis unterwegs.
Die Kollision fand rund 25 Kilometer vom Bahnhof und der Gleiskreuzung entfernt statt. Weshalb der Bahnhofsleiter nicht erkannte, dass beide Züge auf demselben Gleis unterwegs waren und eingriff, wird nun von den Behörden genauer untersucht. Der Bahnhofsleiter wurde nach seiner Befragung festgenommen. Laut Polizei gilt er als Unfallverursacher und wird unter anderem wegen fahrlässiger Tötung, fahrlässiger Körperverletzung und gefährlichem Eingriff in den Transport von Fahrzeugen angeklagt. Örtliche Medien berichten, der 56-Jährige sei erfahren und arbeite seit mehreren Jahren im Unternehmen.
Trotz der Modernisierung mit neuen Brücken und Tunneln und zwei Gleisen entlang der gesamten rund 500 Kilometer langen Strecke Athen-Thessaloniki gebe es erhebliche Probleme bei der elektrischen Koordination der Verkehrskontrolle, hiess es im Staatsfernsehen. «Wir fahren wie in alten Zeiten von einem Streckenteil zum anderen per Funk. Die Stationsleiter geben uns grünes Licht», sagte Kostas Genidounias, Präsident der Gewerkschaft der Lokführer im staatlichen Rundfunk. Warum dies geschieht und kein modernes Leitsystem funktioniert, konnte er nicht sagen.
Die griechischen Bahnen (Hellenic Train) werden von der italienischen Staatsbahn Ferrovie dello Stato Italiane (FS) betrieben. Die FS-Gruppe betreibt in mehreren europäischen Ländern Eisenbahnen.
Das Unglück löste im In- und Ausland grosse Betroffenheit aus. «Meine Gedanken sind heute Morgen bei den Menschen in Griechenland», schrieb EU-Ratspräsident Charles Michel auf Twitter.
AFP/SDA
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