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Kanon der Quarantäne
Umgeben von Feinden

Der belgische Schriftsteller Georges Simenon (1903–1989) war ein Vielschreiber: Er verfasste 75 Maigrets und 117 Romane.
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Mit schlichten, einfachen Sätzen kann Georges Simenon Stimmungen erzeugen wie kaum ein anderer Autor. Zwei, drei Striche genügen, und schon sieht man ein Bild, ja ein ganzes Panorama vor sich. Als Leser befindet man sich mittendrin im Geschehen und wird Teil der Handlung. Auch wenn man einige Passagen öfter liest, bleibt es ein Geheimnis, wie der Vielschreiber Simenon dies so leichthändig hinbekommen hat. Mehr noch als in seinen Maigret-Krimis, so scheint es, gelingt ihm dies in seinen grossen Romanen.

Exemplarisch dafür steht das Buch «Chez Krull», das in einer neuen, hervorragenden Übersetzung von Thomas Bodmer im Zürcher Kampa-Verlag erschienen ist. Es handelt von einer nach Nordfrankreich ausgewanderten deutschen Familie im Jahr 1938. Sie bewohnt ein Haus am Rande einer Kleinstadt, unweit einer Schleuse. Im Erdgeschoss betreibt die Mutter mit ihren Töchtern ein Geschäft, in dem sich die vorbeifahrenden Kapitäne und die benachbarten Familien mit dem Nötigsten eindecken – und sich dabei an der kleinen Bar einen oder zwei genehmigen. Im hinteren Teil des Hauses flicht der schweigsame Vater Cornélius tagein, tagaus Körbe.

Der fremde Cousin

Frei von Spannungen verlief dieses Leben in der Fremde nie wirklich. Doch gänzlich aus dem Ruder läuft es erst, als Besuch aus Deutschland kommt. Im Unterschied zur assimilierten und angepassten Familie ist Hans nicht bereit, sich irgendwelchen Regeln oder Vorschriften zu beugen. Der Cousin bewegt sich selbstsicher und arrogant im neuen Umfeld; dass er nicht gut Französisch spricht, geniert ihn nicht. Im Gegenteil: Für seinen Geschmack haben sich seine Verwandten zu sehr den fremden Gastgebern angepasst. Das widert ihn an.

Die träge Strömung des Kanals, die angetrunkenen Schleuser, die verstohlenen Blicke hinter den Vorhängen der Nachbarhäuser – über der Szenerie liegt etwas Dunkles und Beklemmendes. Als eines Tages eine junge Frau tot aus dem Wasser gezogen wird, lässt sich der unheilvolle Gang der Dinge nicht mehr aufhalten. Die feindseligen Blicke füllen sich zunehmend mit Hass und richten sich auf die zugewanderte Familie. Dieser bleibt nichts anderes übrig, als sich in ihr Haus zurückzuziehen. Während draussen der auf Rache sinnende Mob bis spät in die Nacht tobt, herrscht drinnen Angst.

Neben Hans gerät zunehmend der Sohn der Familie ins Visier der aufgebrachten Menge. Der schüchterne, im Unterschied zu Hans sozial isolierte Joseph studiert unablässig Medizinbücher in seinem Zimmer. Während der Mob in ihm den Mörder vermutet (und er nur unter Polizeischutz sein Leben retten kann), sieht der schweigsame Vater in Hans die Ursache allen Unglücks. Cornélius fordert ihn daher auf, das Haus zu verlassen, bevor es zu spät sei. Der alte Mann selbst sieht keinen Ausweg mehr und erhängt sich in seinem Atelier.

Wer bisher nur Maigrets kannte (75 Krimis gibt es), sollte diesen Roman lesen: Er ist eine wahre Entdeckung – und lädt ein, weitere der 116 Romane von Simenon zu lesen.