Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Krieg in der Ukraine
Mehr Tote und Gefangene, als Kiew zugeben will

Russia Ukraine Military Operation Avdiivka Capture 8624148 19.02.2024 Russian servicemen of the Central Military District patrol an area amid Russia s military operation in Ukraine in the town of Avdiivka near Donetsk, Donetsk People s Republic, Russia. On February 17, Ukrainian Commander-in-Chief Oleksandr Syrskyi announced the decision to withdraw troops from Avdiivka. Later, the Russian Defence Ministry said that the Russian military had taken full control of the town. Stanislav Krasilnikov / Sputnik Donetsk People s Republic Russia PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxESTxLTUxLATxNORxSWExDENxNEDxPOLxUKxONLY Copyright: xStanislavxKrasilnikovx
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Der Fall der Stadt Awdijiwka in der Ostukraine an die Russen ist offenbar folgenreicher als von der ukrainischen Führung zugegeben. Nach dem Rückzug der Ukrainer (lesen Sie hier den ausführlichen Bericht über die Schlacht von Awdijiwka) zeichnen ukrainische Soldaten und Analysten ein Bild von versäumten Massnahmen, einem zu späten Rückzug mit hohen Verlusten und möglicherweise bis zu 1000 gefangen genommenen oder vermissten ukrainischen Soldaten. Zudem gibt es Berichte über die mutmassliche Ermordung ukrainischer Kriegsgefangener durch die Russen.

Die «New York Times» berichtete unter Berufung auf zwei in der Ostukraine interviewte Soldaten, die über den Rückzug aus dem nördlich von Donezk liegenden Awdijiwka informiert waren, es seien 850 bis 1000 Soldaten offenbar gefangen genommen worden oder vermisst. In Washington hätten hochrangige Offizielle diese Schätzungen zutreffend genannt. Das Institut für Kriegsstudien (ISW) kommentierte, aus offenen Quellen gebe es bis anhin keine Bestätigung, was indes nicht bedeute, dass der Bericht nicht zutreffe.

Schlagzeilen machte bereits das Schicksal von sechs Soldaten der seit März 2022 für die Verteidigung von Awdijiwka eingesetzten Brigade, die verwundet in einem Bunker zurückgelassen wurden, nachdem die Ukrainer unter heftigem russischem Beschuss keine gepanzerten Evakuierungsfahrzeuge hatten schicken können. Auf russischen Militärbloggerkanälen tauchten Fotos auf, die Leichen ukrainischer Soldaten zeigten.

Laut der Brigade sollen die Russen zuvor angeblich einem Gefangenenaustausch zugestimmt, sich aber nicht an die Absprache gehalten haben. Der ukrainische Ombudsmann rief die Vereinten Nationen und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz auf, den Tod der Soldaten als mutmassliches Kriegsverbrechen zu untersuchen. Am 18. Februar erschossen russische Soldaten zudem bei Robotine an der Front im Süden der Ukraine drei Kriegsgefangene, was eine ukrainische Aufklärungsdrohne festhielt.

Scharfe Kritik an der ukrainischen Führung

Unterdessen wird nach dem Fall Awdijiwkas scharfe Kritik an der ukrainischen Führung laut. Dem «Kyiv Independent» berichteten ukrainische Soldaten der 110. Brigade über einen seit Monaten andauernden erheblichen Mangel an Soldaten, Munition und selbst Lebensmitteln und Wasser. In den vergangenen Wochen war es den vorrückenden Russen trotz hoher eigener Verluste gelungen, Awdijiwka von Osten, Norden und Süden her einzukreisen und die einzige Rückzugsstrasse nach Westen unter Feuer zu nehmen.

Der amerikanische Militäranalyst Michael Kofman kritisierte den ukrainischen Rückzug als zu spät. «Man lässt nicht auf drei Seiten kämpfen, ohne genügend Truppen zu haben, um auf zwei Seiten zurückzuschlagen», sagte Kofman der Kiewer Zeitung.

«Schwere Niederlage»

In einer ausführlichen Analyse über den Fall Awdijiwkas nannte Juri Butusow vom ukrainischen Infodienst Censor.net etliche Defizite auf ukrainischer Seite und kritisierte die Militärführung und Präsident Wolodimir Selenski scharf. Butusows Kritik wiegt umso schwerer, als er seit Monaten aus Awdijiwka berichtete und über beste Kontakte zu Offizieren und Soldaten verfügt. «Awdijiwka war eine sehr wichtige Verteidigungslinie – dies ist eine schwere Niederlage.»

Gemäss Butusow waren die Ukrainer nicht nur personell und punkto Munition unterlegen: Sie hätten es im Unterschied zu den Russen auch versäumt, in den vergangenen Jahren und Monaten eine zweite befestigte Verteidigungslinie aus Schützengräben, befestigten Bunkern und anderen Einrichtungen zu bauen, auf die sich ukrainische Soldaten im Falle eines Durchbruchs der Russen hätten zurückziehen können.

Schon Anfang November 2023 hatte Butusow Aufklärungsbilder veröffentlicht, gemäss denen die Russen sofort nach ihrem eigenen Vorrücken auf Awdijiwka hinter ihren eigenen Linien mit schwerem Gerät umfangreiche Verteidigungslinien für den Fall eines eigenen Rückzugs aushoben und bauten. Auf ukrainischer Seite aber seien die Militärverwaltung und zuständige Baueinheiten untätig geblieben, Pioniereinheiten des Militärs seien ebenso unterversorgt wie Transporteinheiten. «Die meisten Verteidigungspositionen werden von Soldaten mit einem Spaten aus der Erde gegraben.»

Kommandanten hätten bei Präsident Selenski reklamiert; passiert sei nichts. Bis heute gebe es selbst jenseits Awdijiwkas keine ausgebauten Verteidigungslinien, stellte Butusow am 19. Februar fest. Notwendige Verstärkung für die Einheiten sei Wochen zu spät gekommen, auch der Rückzug zu spät befohlen worden. Laut Butusow wiederholte die ukrainische Führung Fehler, die schon beim Fall von Städten wie Sjewjerodonezk, Soledar oder Bachmut begangen worden seien oder durch zu späten Rückzug zu hohen eigenen Verlusten geführt hätten. Butusow kritisierte auch Berichte in Kiew, wonach die ukrainische Führung ständig beteuere, die Lage sei unter Kontrolle – und dann plötzlich den Rückzug befehle.