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Neues Album von Haftbefehl
Uhren, Autos und Koks-Briketts

Befreiungslyrik über beklemmende Beats: Rapper Haftbefehl.
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Die wohl höchste Daseinsform im Pop: Künstler mit Signature-Sound. Ein gläsern-strahlendes Stratocaster-Solo von David Gilmour, ein paar wie nebenbei aufgefächerte Klavierakkorde von Elton John, ein maschinenexakt synkopiertes «Hi-Hiiii» von Michael Jackson. Wenige Töne, Unverkennbarkeit.

Bei Haftbefehl ist es das nasal hingequälte «Aaahh», das er vor viele seiner Strophen stellt.

Ein Geräusch, zusammengesetzt aus einem Drittel Verzweiflung und zwei Dritteln Überheblichkeit: Man bewegt sich in dieser Welt wie durch knietiefen Schlamm, sagt es. Aber es rümpft auch die Nase, als sei das Gegenüber etwas Übelriechendes.

Der Komiker Jan Böhmermann kann diese ganze Attitüde sehr gut imitieren. Genau wie den restlichen, leiernden Rap-Sing-Sang und das Vokabular von Haftbefehl, das die Art, wie Teile dieses Landes sprechen, verändert hat, und spätestens wenn die besonders schlauen Bubis einen nachäffen, hat man es als Künstler ja geschafft. Ein Ton, Unverkennbarkeit. Pop-Olymp, irgendwo in Offenbach. Hätte vor ein paar Jahren auch keiner gedacht.

Drogenplattitüden

«Aaahh!»: Im Grunde steckt die ganze Kunstfigur Haftbefehl in diesem zackig gedehnten Laut. Der Rapper war immer beides – vom Leben verwundet und rotzarrogant. Das war der eine grosse Unterschied zum deutschen Rap-Rest: Irgendwo hinter dem ganzen Bling-Bling-Gewedel, den Drogenplattitüden und dem Gepose mit Grosskalibrigem lag immer auch ein kindlicher, großäugiger Schmerz, der aus dem stockdunklen Inneren ins Licht blinzelte.

Der Schmerz ist auch auf dem neuen Album von Aykut Anhan, wie Haftbefehl eigentlich heisst, noch da. «Das Weisse Album» hat er es übrigens getauft, womit wir die Überheblichkeit auch gleich hätten. Der Titel ist wahlweise Referenz entweder an das «White Album» der Beatles – oder an Jay-Z und sein «The Black Album». Was in etwa dieselbe Flughöhe hat.

Eine kalte Welt

Die Welt, von der Anhan auf den neuen Songs erzählt, fühlt sich noch immer kalt und bedrückend an. «Ich steh' mit Rücken an der Wand / Hand an mei'm Schwanz / Andere am Ballermann / Ganzer Körper angespannt», brüllt er in «RADW» gegen ein übersteuertes, wie mit starker Säure gebeiztes Playback an. Und auch sonst gibt es wieder jede Menge Befreiungslyrik über beklemmenden Beats.

Ein Anschreien gegen eine Gesellschaft, in der die Räume eng sind und immer noch weiter zusammenschrumpfen. Gegen eine Realität, in der die Seelen mehr als nur Lackschäden haben und die Sprache brutal ist. Die Väter tot oder abgehauen. Und die Mütter überfordert. «069 die Vorwahl, jetzt wird's brutal / Hau' dich Totalschaden, ohne Grund, ohne Moral / Ich bin jung, ich bin wild, ich bin asozial / Scheiss mal auf Arnold – ich bin Conan der Barbar.» So geht das da.

Das kann man unschön finden. Andererseits: Ein System, das so notwendig Verlierer produziert wie - zum Beispiel - der Kapitalismus, sollte sich nicht allzu gestelzt wundern, wenn die weniger Erfolgreichen andere auch mal «Totalschaden hauen», um ihren Platz zu markieren.

Zum Gewinner geworden

Leider stockt die ganze Selbstermächtigung des Jungen, den man von Anfang zum Verlieren in der Ecke geparkt hatte, dort, wo der Junge zum Gewinner geworden ist. Ein Song heisst «Für Immer Reich»: «Ihr steht da wie obdachlose Penner, während ich Euros verbrenne / 'Hafti, tolles Hemd von Fendi!', sagen sie, obwohl sie mir nicht gönn'n / Ich riech' Neid / trotz ihr'm Hype / Mit Instagram-Likes kriegst du nicht mal 'n Eis.»

Ein Song heisst «KMDF». Das steht für «Koka macht dich feucht» und geht so: «Aaahh, ich schmeiss' hundert Gramm Schnuff in die Luft im Club und schrei': 'Schlampe, atme ein!' / Ich schick' die Nutten druff und sie tanzen auf Kommando 'Mambo No. 5’».

Herrenmenschengehabe

Die Erlösung vom Leid, sie ist also doch wieder nur die blödeste Form der Kapitalismus-Hörigkeit: aggressiv ausgestellter Erfolg durch Statussymbole. Systemkritik? Herrenmenschgehabe! Mitleid? Herabwürdigung von Armen, Schwachen und Frauen! Man bewegt sich in dieser Welt wie durch knietiefen Schlamm – aber das macht nichts, wenn man dabei die teuersten Schuhe trägt, die Karren tiefergelegt sind und die Weiber aufgespritzt und hörig. «Scheiss mal auf Rolex, Nutte, her mit der Chopard!» So geht das da jetzt. So viel Potenzial – und dann doch wieder nur Uhren, Autos und Koks-Briketts.

Schade. «Das Weisse Album» müsste schliesslich ein kleines Meisterwerk sein – grandiose Beats, irre Attitüde und ein MC, der der aufwühlendste in diesem gleichförmigen Rap-Land sein sollte. Leider begnügt er sich dann aber ein bisschen zu zu oft ein bisschen zu früh mit Phrasen und Überzeugungen, die Shindy oder Fler oder Xatar oder Farid Bang oder Kollegah oder Bushido oder Ufo 361 auch äussern.

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