Zukunft der LandwirtschaftTut der Bundesrat genug fürs Tierwohl?
Im September stimmt die Schweiz über die Massentierhaltung ab. Was passiert bei einem Nein? Der Bundesrat hat nun Anhaltspunkte geliefert. Tierschützer sind unzufrieden.
In drei Monaten entscheidet das Volk über die Initiative «Keine Massentierhaltung in der Schweiz». Das Begehren will das Tierwohl stärken. Die Zahl gehaltener Tiere, Unterbringung, Auslauf, Schlachtung: All dies soll in Zukunft mindestens den Anforderungen der Bio-Suisse-Richtlinien 2018 entsprechen. Dieser Standard soll auch für den Import tierischer Produkte gelten.
So weit, so klar. Nur: Was geschieht, wenn Volk und Stände die Initiative am 25. September verwerfen? Was tut der Bund fürs Tierwohl? Neue Hinweise gibt der Bericht «Zukünftige Ausrichtung der Agrarpolitik».
Darin schreibt der Bundesrat, die Tierschutzgesetze der Schweiz würden zu den weltweit strengsten gehören. Das Tierwohl in der Nutztierhaltung werde über Direktzahlungen gefördert.
«Aufgrund gesellschaftlicher Erwartungen» sieht der Bundesrat gleichwohl «Anpassungsbedarf»: «Fortschritte beim Tierwohl müssen insbesondere in den Bereichen Unterbringung, Pflege und regelmässiger Auslauf der Nutztiere erzielt werden.» Zudem gelte es, in der Nutztierhaltung die Antibiotika weiter zu reduzieren.
Zur Einordnung: Der Verkauf von Antibiotika für Tiere hat sich gemäss dem Bericht in den letzten zehn Jahren halbiert. Zudem hatten gemäss dem Bericht vor zwei Jahren bereits fast acht von zehn Nutztieren regelmässigen Auslauf im Freien (Tierwohlprogramm Raus). Sechs von zehn Nutztieren wurden in besonders tierfreundlichen Ställen gehalten (Tierwohlprogramm BTS). Der Bundesrat wollte Raus und BTS für faktisch obligatorisch erklären, dies im Rahmen eines direkten Gegenvorschlags zur Tierwohlinitiative. Das Parlament lehnte das ab.
«Die Tierwohlprogramme des Bundes werden regelmässig verbessert, um noch mehr Betriebe zur Teilnahme zu motivieren.»
Aber: Wie der Bundesrat das Tierwohl im Detail stärken will, bleibt nach Lektüre des Berichts unklar. Alles nur schöne Worte?
Das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) widerspricht. «Die Tierwohlprogramme des Bundes werden regelmässig verbessert, um noch mehr Betriebe zur Teilnahme zu motivieren», sagt Sprecherin Florie Marion. Das BLW verweist auf zwei Massnahmen, die 2023 in Kraft treten. Zum einen fördert der Bund mit einem neuen «Weidebeitrag» den Auslauf und die Haltung im Freien. Zum anderen hat er das Tierwohlprogramm Raus so modifiziert, dass auch Betriebe mit begrenzten stallnahen Weideflächen daran teilnehmen und «somit mehr Tiere davon profitieren können».
Tierschützer beanstanden aber, das seien bereits beschlossene Massnahmen. «Der Bundesrat hat es verpasst, mit neuen Impulsen die Transformation hin zu nachhaltigen und tierwohlorientierten Ernährungssystemen anzupacken», sagt Stefan Flückiger vom Schweizer Tierschutz (STS). Es bestehe nun die Gefahr, dass bei einer Ablehnung der Massentierhaltungsinitiative keine Konzepte zur weiteren Tierwohlförderung vorhanden seien. Der STS unterstützt das Volksbegehren, hatte aber anfangs einen indirekten Gegenentwurf lanciert, «um mit einem pragmatischen Kompromissvorschlag den offensichtlichen Handlungsbedarf anzugehen». Doch der Nationalrat war dagegen.
Keine Beiträge für Tiergesundheit
Stellvertretend für das bundesrätliche Versäumnis steht aus Sicht der Tierschützer der Umgang mit dem Anreizprogramm «Tiergesundheit». Damit liessen sich innovative Projekte fördern, zum Beispiel das Konzept «Freiluftkalb»: Der Antibiotikaeinsatz in der Kälbermast lässt sich mit einfachen Massnahmen reduzieren, etwa indem die Tiere die ersten Wochen der Mast im Freien verbringen. 2020 hatte der Bundesrat noch vorgeschlagen, eine Gesetzesgrundlage zur Stärkung der Tiergesundheit zu schaffen. Im nun vorliegenden Bericht steht davon nichts.
An der Pressekonferenz des Bundesrats war das Tierwohl nur am Rand ein Thema. Agrarminister Guy Parmelin (SVP) ging erst darauf ein, als er von Journalisten darauf angesprochen wurde. Demnach will der Bundesrat ein Kompetenzzentrum für Tiergesundheit schaffen. Auf die Einführung von Tiergesundheitsbeiträgen dagegen verzichtet er. Der Grund: Das System der Direktzahlungen sei ohnehin schon sehr komplex. Aber in drei bis vier Jahren will der Bundesrat das Vorhaben erneut prüfen. Ein Forschungsprojekt soll bis dahin Erkenntnisse zur möglichen Umsetzung liefern.
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