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Interview zu US-Präsidentschaftswahlen
«Trump wird seine Partei in den Abgrund reissen»

Er will zurück ins Weisse Haus: Donald Trump bei der Ankündigung seiner Präsidentschaftskandidatur in Mar-a-Lago, Palm Beach.
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Frau Navidi, Donald Trump will erneut US-Präsident werden. Auch Ron DeSantis werden Präsidentschaftsambitionen nachgesagt. Wer wird sich als Kandidat der Republikaner durchsetzen?

Vor den Kongress- und Gouverneurswahlen schien es, als habe Trump die republikanische Partei voll im Griff. Und dass nur Kandidatinnen und Kandidaten, die seine Wahllüge vertreten, eine Chance hätten. Tatsächlich ist Trump der grosse Verlierer der Midterms. Nicht nur haben fast alle Trumpisten im ganzen Land verloren, auch hat DeSantis die Gouverneurswahlen in Florida haushoch gewonnen. Für Trump ist es deutlich schwieriger geworden, Präsidentschaftskandidat zu werden.

DeSantis vertritt ähnliche Positionen wie Trump, er ist nicht weniger autoritär, illiberal und antidemokratisch. Der Unterschied liegt vor allem in der Persönlichkeit, De Santis gilt als «Trump mit Gehirn». Wie beurteilen Sie dieses Duell?

Für die Trumpisten ist DeSantis nur eine schlechte Kopie des Originals. Tatsächlich fehlt ihm Trumps Charisma und Charme. Er ist weder witzig noch schlagfertig. Wenn er nicht gerade für die Kamera strahlt, wirkt er eher muffelig und agiert schroff. Auf Trumps Provokationen und Drohungen reagierte er bisher nicht. Sollte es im Vorwahlkampf zu Debatten kommen, wird DeSantis rhetorisch wahrscheinlich nicht mit Trump mithalten können.

«Trump wird versuchen, mit Lügen, Drohungen und Polemiken seine Basis gegen das republikanische Establishment zu mobilisieren.»

Wie gross ist der Rückhalt von DeSantis in seiner Partei?

Die Vertreter des republikanischen Establishments stellen sich hinter DeSantis. Trump hat einfach zu viele Verluste bei den Wahlen letzte Woche eingefahren. Ausserdem wollen sie den querulanten Trump schon seit langem loswerden, und DeSantis’ Sieg hat ihnen in die Karten gespielt. Das einflussreiche Medienimperium von Rupert Murdoch positioniert sich mittlerweile – mittels Fox News, «New York Post» und «Wall Street Journal» – klar gegen Trump. Allerdings zeigt die Geschichte, dass ein Erfolg als Gouverneur nicht notwendigerweise eine erfolgreiche Präsidentschaftskandidatur bedeutet.

Wie wird Trump auf Widerstände aus den eigenen Reihen reagieren?

Er versucht nun, mit unglaublichen Lügen, Drohungen und Polemiken seine Basis gegen das republikanische Establishment zu mobilisieren. Als Folge davon wird die Partei der Republikaner auf absehbare Zeit mit Selbstzerfleischungskämpfen beschäftigt sein. Trump wird seine Partei in den Abgrund reissen, wenn sie nicht nach seiner Pfeife tanzt.

Als Strategieberaterin und Finanzexpertin in New York verkehren Sie seit vielen Jahren auch in der dortigen High Society. Hatten Sie die Gelegenheit, Trump persönlich kennen zu lernen?

Vor seiner Präsidentschaft habe ich ihn mehrmals getroffen. Trump gab sich höflich und charmant. Er will den Leuten gefallen und diese für sich einnehmen. Er spielt sich auch gerne auf und protzt. Das machen wirklich reiche Menschen nicht. In New York wurde Trump weniger als erfolgreicher Unternehmer, sondern eher als Entertainer wahrgenommen. Als Politiker liess er rasch die Maske fallen. Trump ist eine Gefahr für die Demokratie.

Sie sind auch Rechtsanwältin. Können Sie erklären, warum Trump trotz unzähliger Straf- und Zivilverfahren immer wieder davonkommt?

Intellektuell ist Trump zwar nicht der Schlaueste, aber er ist brillant darin, das Rechtssystem mit dessen eigenen Mitteln zu schlagen. Er kann sehr gut auf Zeit spielen und seine Kontrahenten auflaufen lassen, er kauft sich frei und erpresst andere. Und er tut Dinge jenseits aller Normen.

Zum Beispiel?

Trump hat die schwarze New Yorker Staatsanwältin verklagt, die gegen sein Unternehmen ein Strafverfahren führt. Sie sei eine Rassistin, weil sie gegen ihn als Weissen ermittle. Wer ausser Trump kommt auf solch abstruse Gedanken? Mit seinem Gebaren bringt er das Rechtssystem an seine Grenzen. In vielen Verfahren jedoch ist die Beweislage gegen ihn überwältigend. Allein schon wegen seiner juristischen Probleme muss er für die Präsidentschaft kandidieren. Dazu kommt seine unstillbare Eitelkeit.

«Die Republikaner haben einen ausgeprägten Machtwillen. Sie können Macht und haben den nötigen Killerinstinkt dafür.»

Trumps Anhängerschaft macht viel Lärm, plappert die Lüge des Wahlbetrugs nach und fällt durch Gewaltbereitschaft auf. Was lässt sich ansonsten – auch mit Blick auf den Ausgang der Midterms – über die Wählerinnen und Wähler der Republikaner sagen?

Es gibt durchaus konservative Wechselwähler und republikanische Wähler, die gemässigt sind. Nachdem sie Trump und seine Trumpisten in Aktion gesehen haben, sind sie zu der Auffassung gelangt, dass sie doch lieber seriösere und solidere Politiker hätten, insbesondere in diesen ungewissen Zeiten. Was ihnen vor allem übel aufgestossen ist, ist die Abschaffung des Grundrechts auf Abtreibung und damit die Einmischung des Staates in das Selbstbestimmungsrecht der Frauen. Das hat selbst in den Reihen der republikanischen Partei zahlreiche Frauen mobilisiert. Die unterlegenen Trump-Kandidaten haben sich vor allem durch aggressive Angriffe und Polemik ausgezeichnet, ohne Lösungen anzubieten.

In Ihrem neuesten Buch («Die DNA der USA: Wie tickt Amerika?») schauen Sie pessimistisch auf Ihre Wahlheimat. Weshalb sollte die US-Demokratie kein weiteres Mal einen Stresstest bestehen können?

Ich würde nicht sagen, dass das Buch pessimistisch ist. Ich zeige zwar Missstände und Schwachstellen auf, ende aber mit einer hoffnungsvollen Note. Besorgniserregend ist aber in der Tat, dass extremistische und religiös fanatische republikanische Abgeordnete immer selbstverständlicher Lügen und faschistische Methoden propagieren. Leider sind viele Menschen in den USA anfällig für Desinformationen und Propaganda. Zahlreiche Politiker ziehen mit, auch aus Opportunismus und Machtstreben. Die Trumpisten und andere Teile der Republikaner machen gemeinsame Sache mit radikalen Gruppierungen.

Das erinnert an den Capitol-Sturm.

Diese Leute arbeiten an ihrem nächsten Putschversuch. Im Vergleich zu den Demokraten, die sich an Spielregeln halten und teilweise übermässig vergeistigt sind, haben die Republikaner einen ausgeprägten Machtwillen. Sie können Macht und haben den nötigen Killerinstinkt dafür. In den USA läuft längst ein Putsch in Zeitlupe und auf verschiedenen Ebenen.

Sie verehren ihn wie einen Popstar: Trump-Anhänger vor der Residenz des Ex-Präsidenten in Palm Beach.

Putschversuch? Das müssen Sie erklären.

Die Republikaner wissen, dass sie aufgrund des demografischen Wandels bald keine Wahl mehr mit fairen Mitteln gewinnen können. Deshalb setzen sie auf die Manipulation demokratischer Mechanismen zu ihren Gunsten. Die Republikaner haben gelernt aus dem Putschversuch nach der Präsidentenwahl 2020. Sie gehen strategischer und effizienter vor, um eine eigentlich verlorene Präsidentenwahl in einen Sieg umzuwandeln. Dabei verfolgen sie verschiedene Ansätze: juristisch, wahltechnisch, politisch und gewaltsam, wenn es nicht anders geht.

Können Sie erläutern, worum es beim Wahlrecht geht?

Auf juristischer Ebene versuchen die Republikaner mithilfe des Obersten US-Gerichts, Schlupflöcher in Gesetzen zu zementieren, um so Wahlergebnisse kippen zu können. Republikanische Juristen haben die «Doktrin der unabhängigen Bundesstaatsparlamente» («Independent State Legislature Doctrine») erfunden. Sie hat das Potenzial, die Demokratie und die Gewaltentrennung ausser Kraft zu setzen.

Und wie soll das funktionieren?

Gemäss dieser Doktrin sollen es die Parlamente der Bundesstaaten sein, welche die Wahlregeln bestimmen. Gleichzeitig hätten die Gouverneure und bundesstaatlichen Gerichte keine Kontrollfunktion mehr. Das bedeutet auch, dass Bundesparlamente Wahlmänner für Präsidentenwahlen nach parteipolitischem Gutdünken selbst aussuchen könnten. Eine solche Änderung des Wahlrechts würde den Republikanern sehr passen, weil sie in zahlreichen Parlamenten zementierte Mehrheiten haben.

«Eine höchstrichterliche Anerkennung der Bundesstaatsparlamente-Doktrin könnte den Republikanern im Jahr 2024 zu einem Sieg verhelfen.»

Über diese Doktrin wird das Oberste Gericht der USA entscheiden.

Ja, und weil der Supreme Court über eine erzkonservative, republikanische Mehrheit verfügt, kann man sich vorstellen, was er beschliessen wird. Eine Entscheidung zu dieser Doktrin ist bereits anhängig beim Supreme Court. Dabei geht es um einen Fall aus dem Bundesstaat North Carolina. Mindestens vier der neun Obersten Richter haben signalisiert, dieser Doktrin offen gegenüberzustehen. Das Urteil soll bis Sommer 2023 fallen.

Was würde das für die kommenden Präsidentenwahlen bedeuten?

Eine höchstrichterliche Anerkennung der Bundesstaatsparlamente-Doktrin könnte der republikanischen Partei im Jahr 2024 zu einem Sieg verhelfen, selbst in hart umkämpften Bundesstaaten, die jeweils über den Ausgang einer Präsidentschaftswahl entscheiden. Diese Doktrin ist ein Angriff auf die US-Demokratie, aber nicht der einzige.

Was kritisieren Sie weiter an den Republikanern?

In den von ihnen dominierten Bundesstaaten treiben sie Verschärfungen des Wahlrechts zum Nachteil der Wählerinnen und Wähler der Demokraten voran. Ausserdem versuchen die Republikaner, die Organisation von Wahlen auf allen Ebenen mit Loyalisten zu besetzen, um im Zweifel die Wahlen zu manipulieren. Anlässlich der Midterms gab es in zahlreichen Bundesstaaten auch Wahlen von Gouverneuren, Staatssekretären sowie Wahlaufsehern. Dabei verloren praktisch alle Trump-Kandidaten.

Für die Demokraten kein idealer Präsidentschaftskandidat für 2024: Joe Biden, hier am G-20-Gipfel in Bali.

Die Demokraten versuchen doch auch, die politischen Spielregeln für ihre Zwecke zu nutzen. Warum ist es so schlimm, wenn dies die Republikaner tun?

Weil es ihnen darum geht, die demokratische Teilhabe einzuschränken – und zwar nur hinsichtlich von Bevölkerungsgruppen, die tendenziell für die Demokraten stimmen. Aufgrund des Gerrymanderings, also der Einteilung von Wahlkreisen, haben die Wählerstimmen bereits unterschiedliches Gewicht.

Sie haben auch die Möglichkeit eines gewaltsamen Putsches angesprochen.

Durch ihre Allianz mit radikalen Gruppen und Milizen sowie dank des praktisch uneingeschränkten Waffenrechts halten sich Teile der Republikaner die Option offen, gewalttätige Aufstände loszutreten, falls die Präsidentschaftswahlen nicht nach ihren Wünschen ablaufen sollten. Das Szenario eines gewaltsamen Putsches mag vielleicht übertrieben erscheinen, ausgeschlossen ist es aber nicht. Frühere Generäle der US-Armee haben bereits vor einer solchen Entwicklung gewarnt.

«Amerika befindet sich in einem Existenzkampf um seine Seele und seine Zukunft.»

Was erwarten Sie für die nächsten Präsidentschaftswahlen? Wird Joe Biden, der demnächst 80 Jahre alt wird, nochmals kandidieren?

Bei den Demokraten bestehen intern ernste Bedenken bezüglich einer erneuten Kandidatur von Biden, sie werden sich aber vorerst nicht offen dagegenstellen. Denn Biden ist auch parteiintern als Sieger aus den Midterms hervorgegangen aufgrund der historisch guten Resultate der Demokraten. Unabhängig davon, wer für die Demokraten kandidiert, werden sie die Mehrheit der Stimmen aus der Bevölkerung erhalten, wie schon in den letzten 30 Jahren mit Ausnahme der Wiederwahl von George W. Bush nach 9/11. Es ist auch sekundär, ob der Republikanerkandidat DeSantis heisst oder Trump. Entscheidend sind ja die Wahlmännerstimmen. Und da stellt sich die Frage, inwiefern es den Republikanern bis dann gelungen sein wird, das politische System juristisch so umzubauen, dass sie selbst eine Niederlage bei den Wahlmännerstimmen in einen Sieg umkehren können.

Welche Bedeutung messen Sie den Präsidentschaftswahlen 2024 zu?

Sie werden entscheiden, ob die USA eine Demokratie bleiben oder in Richtung Autokratie abdriften. Die Midterms-Resultate sind ein ermutigendes Zeichen für die US-Demokratie. Aber der Kampf ist noch lange nicht gewonnen. Amerika befindet sich in einem Existenzkampf um seine Seele und seine Zukunft.  

«Alles klar, Amerika?» – der USA-Podcast von Tamedia
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