80 Meter mitgeschleiftNach Tramunfall wegen Einklemmschutz: So reagieren die VBZ
Vor einem Jahr wurde ein 31-jähriger Mann in Schwamendingen von einem Tram mitgeschleift und schwer verletzt. Nun zeigt ein Bericht auf, wie es zum Unfall kam. Die VBZ prüfen Verbesserungen.

Es ist die Horrorvorstellung aller ÖV-Benutzerinnen und -Benutzer in Zürich: Ein Tram droht einem vor der Nase wegzufahren. Um es doch noch zu erwischen, hält man rasch seinen Fuss in die sich schliessenden Türflügel. Doch dann schliesst sich die Tür vollständig, der Fuss bleibt stecken, das Tram fährt los und schleift einen mit.
Dieses Schreckensszenario widerfuhr vor einem Jahr einem 31-jährigen Mann an der Tramhaltestelle Luchswiesen in Schwamendingen. Sein Fuss wurde in der hintersten Tür des 9er-Trams eingeklemmt. Das abfahrende Fahrzeug schleifte ihn rund 80 Meter weit mit. Der 31-jährige wurde schwer verletzt, überlebte aber.
Bericht zeigt Fehlfunktion
Die Schweizerische Sicherheitsuntersuchungsstelle (Sust) hat die Ursache des schweren Tramunfalls ermittelt. Demnach kam es dazu, «weil konstruktionsbedingt die Kontaktleiste für den Einklemmschutz im untersten Bereich der Tür nicht zuverlässig funktionierte», wie es in dem am Dienstag veröffentlichten Schlussbericht der Sust heisst.
Normalerweise leuchtet bei geöffneter Tür eines Trams im Führerraum eine Kontrolllampe, und es ist eine Fahrsperre aktiv, die die Abfahrt des Trams mit geöffneten Türen verhindert, wie die Sust schreibt. Erst wenn alle Türen geschlossen sind, erlischt die Kontrolllampe und die Fahrsperre wird aufgehoben; das Fahrzeug ist bereit für die Abfahrt.
Doch im Tram 2000, das an diesem Morgen an der Haltestelle Luchswiesen abfuhr, versagte der Einklemmschutz der hintersten Tür. Trotz des eingeklemmten Fusses zeigten die Kontrolllampen im Cockpit an, dass alle Türen geschlossen seien. Der Trampilot, der den Vorgang am Schluss des Trams nicht erkannte, fuhr los – mit schlimmen Folgen.
Fahrzeugflotte wird ausgemustert
Sicherheitsempfehlungen gibt der Bericht nach dem Unfall keine ab. Allerdings nahmen die Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ) nach dem Unfall eine Risikoanalyse vor und führten mehrere Tests mit den Türen des Trams 2000 durch. Der motorisierte Anhänger, mit dem sich der Unfall ereignete, stand seit 1992 in Betrieb.

Die VBZ kamen zum Schluss, «dass die Gefährdung und das Eintreten weiterer derartiger Ereignisse als gering einzuschätzen seien», heisst es im Sust-Bericht. Unter Berücksichtigung der Restlebensdauer dieses Fahrzeugtyps hätten die VBZ entschieden, dass «keine grösseren Umbaumassnahmen umgesetzt werden». Die ersten beiden Serien des Trams 2000, das seit 1978 in Zürich verkehrt, werden bis Ende 2025 ausgemustert. Die dritte Serie soll bis Ende 2029 durch neue Fahrzeuge ersetzt werden.
«Redundante Sicherheit»
«Alle Türen unserer Kursfahrzeuge sind mit einem Einklemmschutzsystem ausgerüstet», sagt VBZ-Sprecher Leo Herrmann auf Anfrage. Dieses System sei mehrstufig aufgebaut und biete eine «redundante Sicherheit». Bei den neueren Trammodellen Cobra und Flexity sei das Sicherheitssystem noch umfassender als bei der Tram-2000-Flotte. So verfügten die neueren Modelle über einen noch umfangreicheren Einklemmschutz, und für die Überwachung des Einstiegsbereichs gebe es neben der bei allen Tram-Generationen vorhandenen Lichtschranke zusätzlich ein sogenanntes Lichtgitter, das für noch mehr Sicherheit sorge.
Bei der bestehenden Tram-2000-Flotte prüfen die VBZ aktuell, ob und inwieweit die Sensibilität des Einklemmschutzes erhöht und die Auslösekraft für die Türnotentriegelung reduziert werden kann, bis die Ausmusterung der Fahrzeuge abgeschlossen ist. Beim Unfall-Tram hatten sich auch Schwächen bei der Türnotöffnung gezeigt. Diese liess sich laut dem Sust-Bericht nur «mit erheblichem Kraftaufwand» betätigen.
Kein Einzelfall
Die Sust listet in ihrem Bericht drei ähnliche Ereignisse auf, bei denen Passagiere von einem losfahrenden Zug mitgeschleift wurden, weil der Einklemmschutz der Türen nicht korrekt funktionierte. So im Bahnhof Bern, wo im März 2020 die Hand einer Person in der Zugtür eingeklemmt wurde. Die Person lief darauf rund 45 Meter neben dem abfahrenden Zug her, bis sie sich aus eigener Kraft befreien konnte; sie wurde leicht verletzt.
Tragisch endete ein Unfall im Bahnhof Baden im August 2019. Der Zugchef eines Interregio wurde während des Türschliessvorganges in einer Tür eingeklemmt, mitgeschleift und tödlich verletzt. An der Haltestelle Schweighof in Zürich wurde im Januar 2016 eine Frau wegen einer veralteten Zugtür vom Fahrzeug mitgeschleift und schwer verletzt.
ÖV-Branche prüft Infokampagne
Laut der Sust bestehen bei Fahrzeugen im ÖV weiterhin Türschliesssysteme, deren Einklemmschutz nicht zuverlässig funktioniert. Die Transportunternehmen hätten zwar Massnahmen eingeleitet, die jedoch noch nicht eine nachhaltige Wirkung erzielt hätten. Ebenso zeige der Unfall in Zürich-Schwamendingen, dass Passagiere die Gefahr unterschätzten, wenn sie eine sich schliessende Tür nicht mit dem dafür vorgesehenen Knopf öffneten.
Die ÖV-Branche prüft derzeit auch Sensibilisierungskampagnen. Die Umsetzung der eingeleiteten Massnahmen benötige Zeit, schreibt die Sust. «Bis dahin bleiben bekannte Risiken weiterhin bestehen.»
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