Romain Bardets letzte TourEr erfüllt sich seinen Traum, weil er nicht mehr kalkuliert
Beim Start der Tour de France trägt Romain Bardet erstmals das Maillot jaune – wenn auch nur für einen Tag. Und den Franzosen gelingt in Italien, was sie 63 Jahre vergeblich versuchten.
Jubelbilder im Radsport sind oftmals austauschbar. Einer fährt als Erster über die Linie, streckt mal eine, mal beide Hände in den Himmel, je nach Tempo und Vorsprung auf die Konkurrenz.
Romain Bardet findet am Samstag beim Italien-Grand-Départ der Tour de France in Rimini eine rare Jubelausnahme: Statt nach vorne in all die Kameras zu blicken, dreht er sich nach hinten und zeigt mit beiden Händen auf seinen Teamkollegen Frank van den Broek, der knapp hinter ihm über die Ziellinie fährt. Dahinter braust das jagende Peloton heran.
Bardet gewinnt die Auftaktetappe und ist damit erster Tour-Leader. Er weiss, dass er diesen grössten Moment seiner Karriere ohne den 23-jährigen Kollegen und Tour-Debütanten nicht erreicht hätte.
So fahren sonst Pogacar oder Evenepoel
Es ist das kitschige Ende einer ausserordentlichen Leistung. 52 Kilometer vor dem Ziel hat Bardet aus der Favoritengruppe heraus angegriffen, am vorletzten Anstieg des Tages. Erfolgreiche Vorausfahrten von diesem Kaliber sind im heutigen Radsport den grössten Namen vorbehalten, Tadej Pogacar etwa oder Remco Evenepoel. Aber nicht einem 33-jährigen Franzosen, der seine Abschieds-Tour fährt und es im direkten Duell nicht mit den Favoriten aufzunehmen braucht.
Darum lassen diese Bardet auch fahren, ohne mit der Wade zu zucken. Doch sie machen die Rechnung ohne Bardets Willen – und ohne dessen Teamkollegen Van den Broek, der als Teil der Fluchtgruppe bereits vor dem Peloton fährt. Rasch schliesst Bardet zur Spitze auf, gemeinsam führen die zwei Fahrer des niederländischen Teams DSM-Firmenich-PostNL ein brillantes Duett auf, das ihnen kaum jemand zugetraut hätte.
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Im Nachhinein wirkt das wie ein von langer Hand geplanter Coup. Doch das ist es nicht. Vielmehr spürt Bardet den Moment in der toskanischen Hitze, 36 Grad werden gemessen. «Ich merkte, wie alle litten unter der Hitze», sagt er. Bevor er antritt, bittet er deshalb einen Kollegen, ihm im Teamauto eine mit Eis gefüllte Socke für den Nacken und einen frischen Bidon zu holen. Dann greift er an. «Ich bin so Velo gefahren, wie ich es liebe», beschreibt Bardet danach seine Fahrt.
Es ist die Emotionalität, die der sonst kühl-kalkulierend agierende Athlet während seiner Karriere meist hat vermissen lassen. Darum fieberte Frankreich im Juli jeweils primär mit dem zaudernden Thibaut Pinot und dem wilden Julian Alaphilippe mit.
Ein wenig schmeichelhafter Übername
Pinot gab letztes Jahr seine Abschiedsvorstellung – ohne Chance auf einen Etappensieg. Alaphilippe wurde heuer nicht einmal aufgeboten. Bardet ist damit der Verbliebene dieser abtretenden Generation französischer Fahrer, die ganz sachte vom Tour-Sieg träumen konnten. Keiner mehr als Bardet, der das Rennen als Zweiter (2016) und Dritter (2017) beendete, dabei drei Etappen gewann. Aber eben niemals das gelbe Trikot trug.
Er schaffte die Tour-Podien, weil er eben nicht so Velo fuhr, wie er es liebt. Indem er fast nie in die Offensive ging, sondern einfach Tag für Tag versuchte, mit den Allerbesten mitzuhalten, sich von diesen nicht abhängen zu lassen. Bardet schaffte das, weil er ein akribischer Arbeiter war, bei seinem langjährigen Team AG2R hatte er den nicht schmeichelhaft gemeinten Übernamen «toujours plus» – «immer mehr» – erhalten, weil er mit immer neuen Ideen ankam.
Dieses Denken liess er 2021 mit seinem Wechsel zu DSM-Firmenich-PostNL zurück. Nach und nach fand er seinen Instinkt wieder. «Es ist mein Glück, dass ich jetzt die Möglichkeit habe, mich frei zu bewegen», sagt Bardet, der nächsten Juni sein letztes Rennen fahren wird.
Letztmals gab es das vor 63 Jahren
Dass Bardet das Maillot jaune tags darauf bereits wieder abgeben muss, passt zu seiner Geschichte. Sechs Sekunden zu viel verliert er am steilen Anstieg zum Santuario della Madonna di San Luca von Bologna, mit Pogacar übernimmt bereits der Topfavorit die Gesamtführung.
Es ändert nichts an Bardets perfektem Abschied von der Tour. Das gelbe Trikot fehlte ihm noch, das gelbe Trikot trug er nun.
Nicht nur deshalb muss dieser italienische Tour-Start fern der Heimat für Frankreich wie ein Fiebertraum wirken. Nicht wegen der Gluthitze. Sondern weil mit Kévin Vauquelin ein anderer Franzose die zweite Etappe aus der Fluchtgruppe heraus gewinnt. Zwei französische Sieger nach zwei Etappen, das gab es letztmals 1961. Das war vor 63 Jahren.
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