Berner Obergericht«Die Tat war heimtückisch und brutal»: Mutter des toten Mädchens vom Könizbergwald zu 18 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt
Auch die zweite Instanz spricht die Frau schuldig wegen des Mordes an ihrer 8-jährigen Tochter. Das Obergericht geht aber nicht davon aus, dass die Tat geplant war.

Die Frau sitzt in sich zusammengesunken da, weint leise, während der Oberrichter in nüchternem Ton das Urteil verkündet. Der Saal 22 am Berner Obergericht ist klein, die Zahl jener, die das Urteil hören wollen, gross – rund vierzig Leute sitzen dicht an dicht im Publikum. Zahlreiche Medienschaffende, Angehörige der Beschuldigten, die Stimmung ist angespannt.
Die Frau beteuerte bis zuletzt ihre Unschuld. Sagte, sie habe ihre Tochter geliebt und hätte ihr nie etwas antun können. Doch für Nicolas Wuillemin, Vorsitzender des Obergerichts, ist klar: «Es bestehen keine Zweifel, dass es die Beschuldigte war, die ihre Tochter getötet hat.» Die zweite Instanz verurteilt die Mutter wegen Mordes zu einer Freiheitsstrafe von 18 Jahren. Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig, es kann ans Bundesgericht weitergezogen werden.
Der Fall sorgte für Erschütterung. Am Abend des 1. Februar 2022 wurde das 8-jährige Mädchen in einem Waldstück nahe der Siedlung Papillon in der Berner Vorortsgemeinde Köniz tot aufgefunden. Bereits am Folgetag wurde die Mutter des Kindes festgenommen.
«Sie hat ihre eigenen Bedürfnisse über das Leben ihrer Tochter gestellt», sagt Wuillemin. Das spreche für eine ausserordentliche Geringschätzung des Lebens des Mädchens. «Die Tat war heimtückisch und brutal.»

Über allem schwebt die Frage nach dem Warum. Was kann eine Mutter dazu bewegen, die eigene Tochter zu töten? Eine wirkliche Antwort darauf gibt es nicht, das wird vor Obergericht erneut klar. «Wir können nur Mutmassungen anstellen», so der Oberrichter. Er stützt sich auf das psychiatrische Gutachten. Es sei ihr wohl alles über den Kopf gewachsen. «Sodass sie keinen anderen Weg mehr sah, als sich ihrer Tochter gewaltsam zu entledigen.»
Die heute 33-Jährige soll ihre Tochter als Grund gesehen haben, dass die Beziehung zu ihrem Ex-Freund wenige Wochen vor der Tat in die Brüche ging, wie es in der Anklageschrift heisst. Der Mann war nicht der Vater des Mädchens. «Sie befand sich an einem Tiefpunkt in ihrem Leben», sagt Wuillemin. Auch soll sie hin- und hergerissen gewesen sein zwischen ihrer Mutterrolle, dem Beruf und ihrem Partyleben.
Die Frau wurde Anfang 20 Mutter, war alleinerziehend und arbeitete als Reinigungskraft. Zum Tatzeitpunkt litt sie nicht unter einer schweren Persönlichkeitsstörung, wie der forensische Gutachter in den Gerichtsakten festhielt, die Schuldfähigkeit war also nicht eingeschränkt. Allerdings wurde ihr eine Persönlichkeitsakzentuierung mit unreifen und egozentrischen Zügen attestiert.
Die Tatwaffe: Ein 8 Kilogramm schwerer Stein
Einen Beweis für die Tat gibt es nicht. Sechzehn Indizien zeichnen aber ein Bild, das auch für die zweite Instanz keine Zweifel offenlässt.
Ein wesentlicher Hinweis: ein 8 Kilogramm schwerer Stein, an dem Blut und Haare des Mädchens sowie eine DNA-Mischspur der Mutter gefunden wurden. Für das Obergericht ist klar, dass der Stein als Tatwaffe diente und das Mädchen damit erschlagen wurde.
Auch am Tatort gab es nur Spuren von Mutter und Tochter. Das Mädchen lag neben einer Hütte aus zusammengebundenen Ästen. Die beiden hatten das Baumhaus eine Woche vor dem Tod des Mädchens gebaut. «Niemand sonst hat das Versteck gekannt», so der Oberrichter. Vom Waldweg her sei der Ort nicht sichtbar gewesen.
Die Handyauswertungen und der Zeuge
Während die Mutter in ihren Aussagen stets sagte, sie sei während der fraglichen Zeit zu Hause gewesen und habe «gechillt», zeichnen eine Zeugenaussage sowie Handyauswertungen ein anderes Bild.
So beobachtete ein damals 12-jähriger Junge, wie Mutter und Tochter gegen 17 Uhr Richtung Wald gingen. Dass der Junge zu dieser Zeit mit seinem Hund draussen war, zeigen auch seine Handyauswertungen. Derweil lag das Mobiltelefon der beschuldigten Mutter in ihrer Wohnung. Es lief zwar die ganze Zeit Musik. Das Handy aber wurde während einer Stunde kein einziges Mal entsperrt.
War die Tat geplant?
Das Regionalgericht Bern-Mittelland verurteilte die Frau im Juni 2024 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Dagegen legte die Frau Berufung ein – so kam der Fall vor Obergericht.
Und dieses setzt das Strafmass tiefer an als die Vorinstanz. Während bei einer lebenslangen Freiheitsstrafe eine Haftentlassung frühestens nach 15 Jahren möglich ist, könnte sie nun ihre Strafe bereits nach 12 Jahren verbüsst haben. Dann wären zwei Drittel der 18 Jahre dauernden Freiheitsstrafe abgesessen.
Der Grund für die Strafminderung: Anders als das Regionalgericht geht das Obergericht nicht davon aus, dass die Tat geplant war. Die Frau habe gemerkt, dass der Junge sie gesehen habe. Habe noch seinen Hund gestreichelt. Wäre die Tat geplant gewesen, hätte sie womöglich einen Bogen um den Jungen gemacht.
Dann schliesst der Oberrichter sein Urteil, wünscht der Frau alles Gute. Sie verlässt den Raum sichtlich geknickt, mit von Tränen gerötetem Gesicht, flankiert von einer Polizistin und einem Polizisten. Die Angehörigen bleiben noch kurz wie erstarrt sitzen.
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