Cure-Album «Songs of a Lost World»Rückkehr der Verdammten
Nach 16 Jahren ein neues Album: «Songs of a Lost World» bringt die Düsternis-Prediger von The Cure zurück. Bietet es mehr als Fanservice?

- «Songs of a Lost World» zielt auf grosse Bühnen wie den Madison Square Garden.
- Kritik gibt es wegen fehlender Überraschungsmomente.
- Der Song «I Can Never Say Goodbye» beklagt den Tod von Robert Smiths Bruder.
Es geschah zu einer Zeit, in der die wenigsten so richtig wussten, was eigentlich Depressionen sind. Damals durfte man sich die nach wie vor heilige The-Cure-LP «Pornography» nur dann ausleihen, wenn man ihrem einzigen Besitzer den Eid schwor, sie nie bei elektrischem Licht abzuspielen, nur bei Kerzenschein.
Es war die Zeit des Rotweins, der absichtlich auf Dorffriedhöfen eingenommen wurde. Die imperiale Phase der freiwillig Verdammten, lost in a forest, all alone. Alle allein, trotzdem zur Schicksalsgemeinschaft zusammengerückt. Obwohl jeder Ausweg offenstand.
Das ist jetzt die grosse Frage, wenn die noch grössere Band The Cure im Herbst 2024 ein neues Musikalbum veröffentlicht, zum ersten Mal seit 16 Jahren, erst recht für die, die damals selbst erst 16 waren: Ist «Songs of a Lost World» etwa dann gut, wenn es wie früher klingt? Und klingt etwas wirklich wie damals, wenn es aus heutiger Sicht wie damals klingt? Oder ist uns in der Zwischenzeit ein dichtes Gestrüpp im Ohr gewachsen, das die Dinge bis zur Unkenntlichkeit verzerrt? Was und wie auch immer, es könnte eine Täuschung sein.
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Und dann kommt der erste Song, und im ersten Moment klingt er in der Tat wie von 1989, und er heisst auch noch «Alone». Dicker Baskerville-Nebel zieht durchs Bild, die Trommeln klöppeln, die Pizzicato-Klänge eines Geisterorchesters rieseln als Schneeregen dazwischen. «Die Vögel fallen vom Himmel, die Wörter gehen uns verloren», singt Robert Smith, unser lieber, alter Schwarzmichel, dessen Stimme noch immer wirkt, als stünde ihm das Wasser bis zum Adamsapfel und als wäre er trotzdem prima gelaunt. «Die Welt ist nur ein Traum», gibt er bekannt, frei nach Shakespeares «Der Sturm», es ist wunderbar. Und trotzdem: Irgendetwas stimmt nicht ganz.
Das Alleinstellungsmerkmal – da ist sie wieder, die Einsamkeit
Die Definition dieser masslos bedeutsamen Band war ja immer, dass sie alles Mögliche machen und lassen konnte. «Boys Don’t Cry», der erste Hit aus der Phase, in der The Cure noch drei rotzige Post-Punk-Spargel aus Sussex waren, ist im Kern ein Fünfzigerjahre-Schlager. «The Love Cats» von 1983 – das Smith im Rückblick so schön zusammenfasste: «Im Vollsuff komponiert, Video im Vollsuff gefilmt, Promotion im Vollsuff absolviert» – ist samtiger Gangster-Jazz-Manierismus. Selbst auf ihren berühmten, extradunklen Epos-Alben finden sich Garagenpop-Liebeslieder und asiatisch angehauchte Tiefsee-Shanties.
Das Alleinstellungsmerkmal – da ist sie wieder, die Einsamkeit – erlangten sie jedoch mit ihren grossen Zwielicht-Meditationen. Mit Stücken ohne Anfang und Ende, die sich aus langen Instrumental-Intros und Basslinien heraus aufbauen. Auch vom Punk abgeleitet, aber auf Transzendenz abzielend, nicht auf die Unmittelbarkeit des schmerzenden Menschenkörpers. Im berühmten, fast sechsminütigen «A Forest» wird der Erzähler am Ende eins mit der Natur, erfährt, löst sich die irdische Angst im Nebel und in den Schatten auf. In eine Art von Trost.
Es gibt dazu die herrliche Geschichte, wie The Cure 1981 bei einem Festival in Belgien auftraten. Und mitten im Set von den Technikern angeraunzt wurden, sie sollten nach dem nächsten Song bitte endlich verschwinden und die Bühne für den Superstar Robert Palmer frei machen. Also spielte die Band «A Forest», dehnte das Lied extra auf neun Minuten aus. «Fuck Robert Palmer», rief Bassist Simon Gallup zum Abschied ins Mikro, «fuck Rock ’n’ Roll!»
Dieses Album zielt auf die grossen Bühnen, und das ist nicht gut
Gallup ist heute noch (beziehungsweise wieder) dabei, und Rock ’n’ Roll im engen Sinn sind The Cure nie geworden. Allerdings etwas, das knapp danebenliegt. Sie sind seit den Neunzigern selbst Headliner, eine Stadionband, die nur bei Nacht auftritt. Ein seit vielen Jahren fahrender, freundlicher Zirkus der Düsternis, der wohl auch deshalb seit 2008 keine neuen Songs aufnehmen musste, weil die alten sich noch so hervorragend drehen. Man muss es vielleicht betonen: Nichts daran ist schlecht, solange The Cure noch gut sind. Und den Mitschnitten und Berichten nach sind sie es meistens.
Auch einige der Stücke von «Songs of a Lost World» hat die Band schon lange vor der Veröffentlichung in ihren Konzerten gespielt, und hier könnte der Ansatz für das Problem liegen, an dem dieses neue Werk leidet. Es ist das erste Album von The Cure, das für die grosse Bühne konzipiert zu sein scheint. Dessen Songs sich anhören, als ob bei ihrer Kreation schon mitgedacht wurde, dass man mit ihnen auch das Primavera Sound Festival und den hintersten Winkel des Madison Square Garden beschallen können sollte. Das akustische Pendant zu dem, was eine Geisterbahn von einem echten Spukhaus unterscheidet.
Es hat viel mit dem Klang zu tun. Während The Cure früher eine Band der grossen Dynamiken war, deren Musik sich nach und nach zu burghohen Gebilden auftürmte und dabei trotzdem luftdurchlässig blieb, ist auf «Songs of a Lost World» die meiste Zeit alles irrsinnig laut.
Bei «And Nothing Is Forever» zum Beispiel, einem im Nukleus zarten, zweifelnden Lied, konkurrieren die penetrant nach Achtziger-Keyboards klingenden Synthiestreicher, das Operettenklavier und die knallende Snare-Drum um die Oberhand. Dazu die Bratpfannengitarre des 2012 dazugekommenen Reeves Gabrels, der vielen als Virtuose gilt. Obwohl er mit seiner rechten Rockhand auch schon die Karriere von David Bowie für einige Zeit tief in die Schlacke zog.
Einen Schritt neben die Nostalgie treten, bitte!
Zugegeben, es ist eine Klage auf hohem Niveau. Ebenso gut könnte man sagen: The Cure leisten auf diesem Album besten Fanservice. Es gibt die berühmten langen Intros, die Bassläufe, die sich wie raucherhustenkranke Raupen durch die Gewitterlandschaft winden. Das ganze Heulen und Fliegen.
Wenn man dann aber kurz einen Schritt neben die eigene Nostalgie tritt, fällt einem auf: In besten Zeiten war es gerade die Stärke von The Cure, eben nicht nur die Erwartungen zu erfüllen. Sondern auch auf den dunkelsten, endlosesten Wald- und Wallfahrten immer ein paar Lieder dabeizuhaben, die sich mit überraschenden Wendungen und Melodien gleich tief ins Herz setzten. Auf dieser soliden Kollektion ist keines dabei.
Als schönster, anrührendster Moment wird «I Can Never Say Goodbye» bleiben. Eine pianogetragene Elegie, in der Robert Smith den Tod seines älteren Bruders beklagt. «Wenn der Blitz den Himmel spaltet, flüstere ich seinen Namen», singt er da. «Er soll wieder aufwachen.» Hier geht es nicht mehr um schwarze, wuschlige Romantik, sondern ums tatsächliche Sterben, um die näher rückenden Einschläge. Ums buchstäbliche Ende der Dinge. Dass die Poesie da manchmal versagt, ist wohl ganz natürlich.
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