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Autismus als Stärke
Bis vier sprach er kein Wort, mit dem Tennisschläger drückt er sich aus

Jenson Brooksby aus den USA beim Schlag während der ersten Runde des Australian Open 2025 in Melbourne Park.
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In Kürze:
  • Jenson Brooksby verpasste wegen einer Sperre und Verletzungen fast zwei Jahre.
  • Er machte im Dezember öffentlich, dass er seit früher Kindheit Autismus hat.
  • Sein Outing inspiriert Familien betroffener Kinder und enttabuisiert Autismus im Tennis.
  • Das grosse Schweizer Talent Flynn Thomas ist auch Autist.

Jenson Brooksby hatte in den letzten zwei Jahren viel Zeit zum Nachdenken. Wegen einer 13-monatigen Sperre nach drei verpassten Dopingtests und mehrerer Verletzungen fehlte er in den Saisons 2023 und 2024 fast komplett. Seine letzten offiziellen Matchs bestritt er am Australian Open 2023, wo er die damalige Weltnummer 3 Casper Ruud schlug. Kurz vor seiner Rückkehr Anfang 2025 in Australien beschloss er, seine ergreifende Lebensgeschichte endlich öffentlich zu machen. Es war für ihn eine Befreiung.

Brooksby war vor seiner langen Zwangspause eine der aufstrebenden US-Hoffnungen gewesen, spielte sich 2022 mit 21 Jahren bereits nach vorn auf Rang 33 und bezwang Topspieler wie Ruud, Taylor Fritz, Stefanos Tsitsipas oder Kevin Anderson. Das ist umso bemerkenswerter angesichts seines Outings im vergangenen Dezember: Er hat Autismus, eine Entwicklungsstörung, die soziale Interaktion und Kommunikation beeinträchtigt. Man spricht im Fachjargon von einer Autismus-Spektrum-Störung, weil die Ausprägungen stark variieren.

Brooksby war 40 Stunden pro Woche in Therapie

Brooksby wurde Autismus diagnostiziert, als er zweieinhalb war. Gegenüber Howard Fendrich, dem Tennisreporter der Associated Press (AP), dem er sich anvertraute, sagte er, dass er kein Wort gesprochen habe, bis er vier Jahre alt gewesen sei. «Als Kind verbrachte ich rund 40 Stunden pro Woche mit Therapeutinnen. Zuerst, um zu lernen, überhaupt zu reden. Dann, um mich in der Kommunikation und in sozialen Situationen zu verbessern.» 

Die Verhaltenstherapeutin Michelle Wagner, die in der frühkindlichen Phase mit Brooksby arbeitete und ihm auch alltägliche Dinge beibrachte, wie sich selber anzuziehen oder seinen Schulthek zu packen, bezeichnet seine markanten Fortschritte gegenüber AP als «ungewöhnlich, ja einzigartig». Heute tendiere er zu einer milderen Form des Autismus. Neben dem Tennis spielt Brooksby auch leidenschaftlich gern Klavier.

In einem Instagram-Post nach Erscheinen der Story über ihn, die er verlinkt hat, bedankte sich Brooksby bei seiner Mutter: «Sie gab nie auf und unternahm alles, um mir zu helfen. Ohne sie wäre ich nie dort, wo ich heute stehe. Ich hatte das Glück, Eltern zu haben, die sich weigerten aufzugeben.»

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Brooksby ging an die Öffentlichkeit, um Familien mit Kindern mit ähnlichen Problemen dazu zu inspirieren, immer dranzubleiben. Und auch, um von den Leuten besser verstanden zu werden: «Es ist ein sehr persönliches Thema, über das man selbst mit Menschen, mit denen man sich wohlfühlt, nicht einfach so spricht», sagte der Kalifornier. «Aber es beschäftigte mich stets, und irgendwann wollte ich einfach darüber reden.»

Er selbst sieht seinen Autismus auch als Stärke für sein Tennis. So könne er sich unter Druck über längere Zeit hinweg sehr gut auf zwei, drei spezifische Details konzentrieren. Sein Coach Eric Nunez sagt: «Er kennt im Wettkampf nur einen Gang: Vollgas.»

Die Kehrseite ist: Wenn die Dinge aber nicht so laufen, wie er sich das vorstellt, kann er sich masslos ärgern. Sein Athletiktrainer Paul Kinney kennt inzwischen die Vorboten seiner Wutausbrüche – wenn er an der Kleidung oder seinen Haaren zupft oder sich mit den Händen auf die Knie stützt – und versucht dann, jeweils beruhigend auf ihn einzuwirken.

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Das alles klingt in verblüffender Weise ähnlich wie bei Flynn Thomas, dem hochtalentierten Schweizer, der nun erstmals am Juniorenturnier des Australian Open antritt und weltweit die Nummer 2 seines Jahrgangs ist. Der 16-Jährige besuchte wegen seines Autismus nie länger eine Schule und verschrieb sich ganz dem Tennis.

Wenn er auf dem Court ist, ist er von der ersten Sekunde an voll da. Ihn muss niemand antreiben. Mit seinen Ausrastern eckte er in der Schweizer Szene aber des Öfteren an. Zuletzt machte er in diesem Bereich grosse Fortschritte. Wenn es ihm gelingt, seine Energien zu kanalisieren, kann er gemäss Tennisinsidern eine grosse Karriere machen.

Tennis ist eine spezielle Herausforderung für Autisten

Gerade Tennis stelle an Autisten, die gern die Kontrolle haben, besondere Anforderungen, sagt der Psychiater Andor Simon, früher ein nationaler Spitzenspieler und heute ein Spezialist für Autismus: «Beim Tennis kann man vieles nicht kontrollieren. Vielleicht nervt einen der Gegner, weil er sich zu viel Zeit nimmt zwischen den Ballwechseln. Vielleicht beginnt es zu regnen. Man verpasst einen Satzball. Oder es gibt einen umstrittenen Entscheid des Schiedsrichters. Damit muss man umgehen können.»

Schweizer Tennistalent sitzt mit einem Tennisschläger und Hund in einem Wohnzimmer am Zürcher Klusplatz.

Der Weg von Brooksby, der es schon Anfang 20 in die erweiterte Weltspitze schaffte, kann Flynn Thomas, seiner Mutter Sandra und seinen Coachs Roman Vögeli und Robin Roshardt Zuversicht geben. Zudem sorgte der Amerikaner mit seinem Outing dafür, dieses Thema im internationalen Tennis zu enttabuisieren. Viele Kollegen gratulierten ihm zu seiner Offenheit und begrüssten ihn am Australian Open zurück auf der Tour.

Geschenkt wurde ihm deswegen aber nichts. Gleich zum Auftakt traf er in Melbourne auf US-Open-Finalist Taylor Fritz und gewann lediglich fünf Games. Der Weg zurück wird für Brooksby ein steiniger. Aber er ist froh, endlich wieder seiner grossen Leidenschaft nachgehen zu dürfen.