Berlins TechnotempelDie Wissenschaft weiss jetzt, wieso nicht jeder ins Berghain kommt
Seit über 20 Jahren stehen Menschen aus aller Welt Schlange für den berühmt-berüchtigten Club in Berlin. Weshalb viele vergeblich anstehen, zeigt eine neue Studie.

Tiefe Bässe, tagelange Partys ohne Unterbruch, Sex im Darkroom und eine knallharte Türpolitik: Unzählige Menschen haben es schon versucht und nur die wenigsten haben es ins Berghain geschafft. Der Berliner Technoclub ist bekannt für sein mysteriöses Innenleben und seine strengen Türsteher. Bis heute gibt es kein konkretes Bild des Clubs für die Aussenwelt. Und so soll es gemäss Betreiber auch bleiben.
«Diese Geheimhaltung wird als Marketingstrategie genutzt», erklärt Kulturwissenschaftler Guillaume Robin gegenüber SRF. «In einer Zeit der Hypervisibilität, in der nahezu jeder in den sozialen Netzwerken präsent ist, bietet das Berghain einen Raum, der dieser Sichtbarkeit entzogen ist.»
Sven Marquardt sorgt für Exklusivität durch Selektion
Die Privatsphäre der Gäste wird durch eine «No photo»-Kultur im Club und eine distanzierte Haltung gegenüber den Medien gewährleistet. «Dieser Kult des Geheimnisses ermöglicht eine unmittelbare Immersion in das Cluberlebnis, wie es nur wenige andere Clubs in Berlin bieten», sagt Robin. Konkret heisst das: Um zu wissen, wie es ist, eine Nacht im Berghain zu verbringen, muss man es mit eigenen Augen gesehen haben.
Der Einlass wird jedoch durch die strenge Türpolitik erschwert und untermalt die Exklusivität der Lokalität. Türsteher wie der weltberühmte Sven Marquardt selektieren erbarmungslos das Publikum. Auch bekannte Persönlichkeiten wie Britney Spears und Macklemore wurden schon abgewiesen.

Aber nicht nur das Berghain zeichnet sich durch eine strenge Einlasspolitik aus, auch andere Clubs der deutschen Hauptstadt sind sehr wählerisch, wenn es um ihr Publikum geht. Das Ausmass der Selektion variiert von Club zu Club.
Einlass ins Berghain folgt einem Paradoxon
Ein Forscherteam der Technischen Universität Berlin und weiterer Hochschulen ist nun diesem Phänomen auf den Grund gegangen und hat untersucht, wer in die Berliner Technoclubs darf und wer draussen bleiben muss.
Das Fazit: Entscheidend ist nicht nur der Kleidungsstil, sondern vielmehr die Ausgewogenheit «zwischen Anpassung und Individualität». Nach diesem Kriterium entscheiden die Selekteure unter anderem, ob man in die verborgene Welt des Berliner Techno eintauchen darf oder eben nicht.
Die Forschenden führten im Rahmen der Studie 38 Interviews mit Türstehern sowie Clubbesitzern, Veranstaltern, Sicherheitskräften, Gästen und DJs. Weiter analysierten sie Presse- und Archivmaterial und erfassten, wie in etwa 500 Fällen Gäste eines der renommiertesten Clubs in Berlin ausgewählt wurden.
Sicherer Raum im Technoclub für marginalisierte Gruppen
Die Auswertung zeigt, dass der Einlass einem Paradoxon folgt. Ein potenzieller Gast muss sich einfügen, aber gleichzeitig auch herausstechen. Neben der Kleidung und den Kenntnissen der Technoszene sind wichtige Faktoren dabei, wie sich jemand in der Warteschlange mit anderen unterhält – also etwa das Charisma und die Ausstrahlung.
Ob ein Mensch heraussticht oder nicht, wird demnach auch gemessen, ob sie oder er zur Diversität des Publikums an diesem Abend beiträgt. Es soll ein sicherer Raum für marginalisierte Gruppen mit der bewussten Auswahl der Gäste geschaffen werden. Klare Ausschlussgründe seien hingegen übermässiger Alkoholkonsum, unsoziales Verhalten und Aggression.
Neben der Technischen Universität Berlin waren auch die englische University of Bath und das King’s College London sowie die Karlstad University in Schweden an der Clubstudie beteiligt.

Die Auserwählten, die letztlich die Selekteure von sich überzeugen können, dürfen Clubs wie das Berghain betreten, das sich durch seine verwinkelten Gänge auszeichnet. Die 18 Meter hohen Säulen des Haupt-Technofloors erinnern an das ehemalige Heizkraftwerk.
Raverinnen und Raver passieren die sogenannten Darkrooms, wo sexuellen Praktiken keine Grenzen gesetzt sind. Die Bässe dringen in den Körper ein. Viele vergleichen den fensterlosen Raum mit einem Tempel.
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