Digitale Tagebücher im TestWas habe ich heute vor drei Jahren getan? Das Smartphone verräts
Apple lanciert im Herbst eine neue App, um Erinnerungen festzuhalten. Doch es gibt bereits jetzt gute Anwendungen. Unsere Empfehlungen für Journal-Apps.
Nur geklaut? Apple Journal
Im Herbst wird es eine neue App von Apple geben: Journal. In der sollen wir «besondere Momente und Erinnerungen festhalten», wie es in der Vorankündigung heisst. Diese App wird im nächsten Update fürs iPhone (iOS 17) enthalten sein, mutmasslich im September erscheinen und für ein Revival des Tagebuchs sorgen – vielleicht.
Allerdings unterscheidet sich Journal frappant von einem Tagebuch im herkömmlichen Sinn. Die App greift auf vielerlei Informationen zurück, die auf dem Smartphone so anfallen: auf Fotos, Fitnessdaten und die Musik-Wiedergabeliste. Sie weiss daher einiges über unsere Aktivitäten und schlägt von sich aus Ereignisse vor, die sich als Tagebucheintrag eignen. Das vereinfacht das Festhalten dieser Erinnerungen und macht sie multimedial und damit lebendiger.
Es gibt aber auch ein Risiko für geschmacklose Missgriffe: Denn bekanntlich trifft die künstliche Intelligenz nicht immer den richtigen Ton. Einen solchen Fall schildert eine Journalistin des Onlinemagazins «The Verge»: Ihr iPhone hat automatisch zwei Fotorückblicke von der Beerdigung ihrer Mutter erstellt, unterlegt mit fröhlicher Popmusik. Bilder des offenen Sargs erschienen daraufhin automatisch vor ihrem Geburtstag und zum einjährigen Todestag: «Wenn meine Eltern noch am Leben wären, würden sie sagen, dass es dem iPhone an Nunchi fehlt.» Das koreanische Wort bedeutet so viel wie Augenmass.
Es gibt weitere Kritik an Journal. Mit der neuen App konkurrenziert Apple direkt die diversen Tagebuch-Apps im App-Store, die unabhängige Entwickler seit Jahren pflegen. Paul Mayne beklagte sich «Im Wall Street Journal» bitter über die Journal-App: «Es ist das Schlimmste, wenn man hören muss, dass man kurz davor ist, gesherlockt zu werden.» «To sherlock» ist ein stehender Begriff für Apples Neigung, Ideen aus seiner Entwicklergemeinschaft in eigene Produkte einzubauen. Er geht auf die Suchfunktion Sherlock zurück, die Apple 1997 nach dem Vorbild des Shareware-Programms namens Watson entwickelt hat.
Das multimediale Tagebuch: Day one
Mayne ist der Erfinder der App Day One, einer der populärsten Tagebuch-Apps. Es gibt sie fürs iPhone, für Android und den Mac. Ich habe sie bei der Geburt unserer Tochter entdeckt und als frischgebackener Vater fleissig benutzt. Wie das geschieht, erschliesst sich einem sofort: Über das Plus-Symbol wird ein Eintrag angelegt. Nebst Text können auch Fotos und Audio-Aufnahmen hinzugefügt werden.
Es gibt auch die Möglichkeit, Schlagwörter zu vergeben, und die App registriert automatisch den Ort, an dem ein Eintrag erstellt wurde. Auf diese Weise lassen sich ältere Einträge nicht nur chronologisch aufspüren, sondern per Karte und Stichwörter auch geografisch und thematisch.
Besonders gut gefällt «An diesem Tag». Diese Funktion zeigt, was man vor ein, zwei oder mehr Jahren am selben Tag gemacht hat – was Erinnerungen weckt und den Gewohnheitstieren unter uns auf verblüffende Weise die Routinen vor Augen führt. Day One ist in der Basisnutzung kostenlos. Es gibt ein Abo für 38 Franken pro Jahr mit einigen Zusatzfunktionen: Das Tagebuch wird auf mehreren Geräten synchronisiert, Instagram-Fotos lassen sich importieren. Und es ist möglich, Einträge auch einzusprechen, die automatisch transkribiert werden.
Für Leute, die nicht so gern schreiben: Daylio
Es gibt auch Tagebuch-Apps für Leute, die nicht so gern schreiben oder erzählen. Ein Vertreter dieser Gattung ist Daylio (für iPhone und Android, hier ausführlich getestet). Bei der erfassen Nutzerinnen und Nutzer Aktivitäten anhand einer Auswahl von Icons, die es für Freizeitaktivitäten wie Sport, Reisen oder auch für die Familie, die Arbeit oder Hausarbeiten gibt. Es gibt einen Mood-Tracker, der die Verfassung dokumentiert. Diese strukturierte Form des Tagebuchs eröffnet entsprechende Auswertungsmöglichkeiten: Das «Jahr in Pixeln» zeigt anhand von Farbpunkten die guten und die schlechten Tage.
Von Schlaf bis zu den Essensgewohnheiten: Moleskine Journey
Moleskine Journey treibt diese Idee noch weiter. Die App des Mailänder Notizbuchherstellers (iPhone, iPad und Mac sowie für Android, ausführlich hier getestet) hält nebst dem klassischen Erfassen von Texteinträgen eine üppige Auswahl an Spezialtagebüchern bereit: Die gibt es zur Dokumentation von Schlaf, Ernährung, Stimmung, Ausgaben, Gewicht, aber auch für Aktivitäten, Ziele und Gewohnheiten – und natürlich schwingt auch die Idee der persönlichen Weiterentwicklung mit.
Wer beispielsweise überprüfen will, wie oft er seine guten Vorsätze in die Tat umsetzt, kann das hervorragend tun und sich an den Auswertungen von Journey messen lassen. Ob einem das zusagt oder nicht, ist natürlich eine persönliche Sache – aber es gibt Anzeichen dafür, dass das Führen eines Tagebuchs sich positiv auf die psychische Verfassung auswirkt.
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