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Neue Kraftwerke in den Alpen
«Suggestivbilder verwendet» – Politiker kritisieren Umfrage zu Solarparks

So könnte die Fotovoltaikanlage Gondosolar in den Walliser Alpen dereinst aussehen.
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Politisiert das Parlament an der Bevölkerung vorbei? Im Herbst haben National- und Ständerat im Eiltempo ein Solargesetz verabschiedet, das den Bau von grossen Solaranlagen im alpinen Raum ermöglicht. Ziel ist es, bis Ende 2025 zwei zusätzliche Terawattstunden Winterstrom zu erzeugen. 

Nun aber zeigt eine repräsentative Umfrage: Die Bevölkerung will keine Anlagen für erneuerbare Energien in nahezu oder ganz unberührten Alpenlandschaften. Durchgeführt hat die Befragung die Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) im Oktober. Die Forscher wiederholten damit eine Umfrage aus dem Jahr 2018. Sie wollten so herausfinden, ob die laufende Debatte über Strommangel und kalte Wohnungen oder der Ukraine-Krieg die Einstellung in dieser Frage verändert hat.

Mehr als 1000 Personen beurteilten wieder Bilder von typischen Schweizer Landschaften mit Darstellungen von Windrädern, Solaranlagen oder Hochspannungsleitungen in verschiedener Anzahl. Das Ergebnis: «Die Bevölkerung lehnt Energieanlagen in unberührten Berggebieten weiterhin deutlich ab», sagt Landschaftsforscher Boris Salak von der WSL. Gemessen haben die Forscher sogenannte Präferenzen, aus denen sich Werte zwischen –1 und +1 ergaben. Minus steht für Ablehnung, Plus für Zuspruch. Unberührte alpine Landschaften erhielten von den Befragten eine Präferenz von –0,89, die Ablehnung ist damit sogar leicht stärker als 2018 (–0,83). 

Brisant: Just die zwei derzeit wohl bekanntesten Solarprojekte sind in solchen Landschaften geplant: in Gondo und Grengiols im Kanton Wallis. Gegen letzteres Projekt hat sich lokaler Widerstand formiert. Produzieren alpine Solaranlagen bis spätestens Ende 2025 Strom und dazu noch mehr davon im Winter als im Sommer, kommen sie in den Genuss von Fördergeldern und vereinfachten Bewilligungsverfahren. Die Folge: Die Zahl der Projektideen wächst schnell, mittlerweile sind es gegen 40, wie Experten schätzen. Viele davon lagern aber noch in den Schubladen von Gemeinden und Stromkonzernen. Der politische Druck, mehr Winterstrom mit alpinen Solaranlagen zu erzeugen, ist gross.

«Man kann die Fragen immer so wählen, dass man die passende Antwort erhält.»

Ruedi Noser, Ständerat FDP

Gross ist nun auch der Wirbel, den die neue Umfrage auslöst. Ständerat Ruedi Noser, einer der Architekten des Solargesetzes, zweifelt an deren «Objektivität». «Man kann die Fragen immer so wählen, dass man die passende Antwort erhält», sagt der FDP-Politiker. Hätten die Forscher etwa gefragt, ob man für die Winterstromversorgung ein Gaskraftwerk in Birr einer Solaranlage wie in Gondo oder Grengiols vorzöge, hätten sich die Befragten sicher für die Solaranlage entschieden, sagt Noser. 

WSL-Projektleiter Marcel Hunziker entgegnet, sie hätten die Teilnehmer thematisch nicht isoliert befragt. «Sie sind selbst dann gegen Energieanlagen in unberührten Alpenlandschaften, wenn sie sich von einer Erhöhung der Strompreise existenziell bedroht fühlen und der Meinung sind, dass es den Ausbau der Erneuerbaren braucht, um globale Umweltprobleme zu lösen oder unsere Stromversorgung zu sichern.»

​Kritik übt auch Nationalrat Roger Nordmann (SP). Er wirft den Forschern vor, mit «Suggestivbildern» zu arbeiten. Wenn man eine Berglandschaft mit oder ohne Solaranlage zeige, würden die Leute wenig überraschend die intakte Landschaft bevorzugen. Für diese Erkenntnis brauche es keine wissenschaftliche Studie. Die entscheidende Frage ist laut Nordmann eine andere: Wie sichert die Schweiz die Stromversorgung im Winter – und mit welcher Art von Energie: erneuerbarer oder fossiler? 

Sind wilde Landschaften als Standort für Windanlagen und Solarpanels geeignet? Und wie viele Energieanlagen verträgt eine Landschaft?

Auch diese Kritik weist Hunziker zurück. «Es ging nicht um die Frage ‹Energieanlagen ja oder nein›, sondern darum, in welchen Landschaften sie am ehesten akzeptiert werden.» Es handle sich um Visualisierungen von real möglichen Standorten für Wind- oder Solaranlagen, die 2018 gemeinsam mit der ETH modelliert worden seien. Die Darstellungen würden vergleichsweise moderat ausfallen und seien in keiner Weise mit den derzeit verbreiteten Visualisierungen wie etwa in Grengiols oder Gondo vergleichbar. «Wir vermuten, dass die Beurteilungen sonst noch deutlich negativer ausgefallen wären.» 

Aus der Politik ertönen aber auch andere Stimmen. «Ich verstehe die Bedenken der Bevölkerung», sagt Nationalrat Bastien Girod (Grüne), der an der Aussagekraft der Umfrage offenbar nicht zweifelt. Seine Partei trage die Solaroffensive in den Alpen zwar mit. Solarenergie sollte aber vor allem auf bestehenden Infrastrukturen konsequenter gefördert werden, so Girod. Die Grünen fordern eine Ausweitung der Solarpflicht auch auf bestehende Bauten, bislang jedoch vergebens. 

«Rücksichtslose Projekte wie Grengiols oder Gondosolar sollten nicht gebaut werden.»

Kurt Fluri, Nationalrat FDP

Landschaftsschützern liefert die Umfrage jedenfalls neue Argumente. FDP-Nationalrat Kurt Fluri, Präsident der Stiftung Landschaftsschutz, lehnt das Solarexpress-Gesetz ab, anders als sein Parteikollege Noser. «Die Befragung der WSL zeigt, dass die Politik in dieser Frage die Bodenhaftung verloren hat.» Das Parlament habe sich als Planungs- und Baubehörde aufgespielt und dabei prompt danebengegriffen. «Rücksichtslose Projekte wie Grengiols oder Gondosolar sollten nicht gebaut werden.» Gegen die Bevölkerung seien sie ohnehin kaum realisierbar. Es böten sich andere Hänge und Lagen an, die bereits mit technischer Infrastruktur wie Lawinenverbauungen oder Sportanlagen versehen seien. 

Just diesen Ansatz scheint die Bevölkerung zu präferieren: Gemäss WSL-Umfrage unterscheidet sie klar zwischen unberührten Alpenlandschaften und solchen mit touristischer Prägung. Hier liegt laut den WSL-Forschern die grösste Veränderung zur Umfrage 2018: Dort, wo in den Alpen bereits Infrastruktur steht, goutiert die Bevölkerung Energieanlagen – und zwar mittlerweile gleich ausgeprägt wie in den Siedlungsgebieten des Mittellands.