Suche nach Generalsekretär Jetzt streitet die Nato offen über die Stoltenberg-Nachfolge
Die USA und Deutschland haben sich für Mark Rutte ausgesprochen. Doch Viktor Orban schlägt quer und aus Osteuropa kommt immer stärkere Opposition. Bleibt Stoltenberg am Ende im Amt?
Einer für alle, alle für einen», lautet das Bündnisversprechen der Nato. Wie brüchig die viel beschworene Einigkeit zuweilen ist, zeigt die Suche nach dem Nachfolger für Generalsekretär Jens Stoltenberg. Nur vier Monate vor dem Nato-Jubiläumsgipfel in Washington zeichnet sich kein Konsens ab. Der rumänische Präsident Klaus Iohannis hat sogar offen seine Kampfkandidatur gegen den Niederländer Mark Rutte erklärt.
Eigentlich war die Nato-Planung klar: US-Präsident Joe Biden wollte auf dem Gipfel in Washington ab dem 9. Juli Stoltenbergs Nachfolger präsentieren und damit die Geschlossenheit der Allianz unterstreichen, gut 75 Jahre nach Unterzeichnung des Nordatlantik-Vertrags am 4. April 1949.
Wer ihr Wunschkandidat ist, haben die USA, Deutschland, Frankreich und Grossbritannien bereits kundgetan: Der langjährige niederländische Regierungschef Rutte, der nach seiner Niederlage bei den Parlamentswahlen gegen den Rechtspopulisten Geert Wilders im November einen neuen Posten sucht. Der 57-Jährige sei ein «exzellenter» Bewerber, liess Biden im Februar erklären.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bekannte sich ebenfalls zu Rutte. «Mit seiner immensen Erfahrung, seiner grossen sicherheitspolitischen Expertise und seinem ausgeprägten diplomatischen Geschick ist Mark Rutte ein herausragender Kandidat», liess er verkünden.
Orban will Biden düpieren
Traditionell gilt in der Nato jeder als verbrannt, dessen Name öffentlich kursiert. Mit ihrer deshalb ungewöhnlichen Erklärung wollten die vier grossen Nato-Länder Druck auf alle Verbündeten machen, sich endlich mit der nötigen Einstimmigkeit festzulegen. Den Widerstand gegen Rutte hätten sie dabei unterschätzt, heisst es in Brüssel.
An der Spitze der Gegner des liberal-konservativen Niederländers steht Ungarn. Der rechtspopulistische Regierungschef Viktor Orban hält nichts von Rutte, weil sich dieser auf EU-Ebene mehrfach kritisch zu Rechtsstaatsmängeln in Ungarn geäussert hat. Das Veto aus Budapest stehe weiter, heisst es von Diplomaten.
Daneben legt es Orban offensichtlich darauf an, Biden zu düpieren. Der US-Präsident hatte dem Ungarn kürzlich wenig diplomatisch vorgeworfen, er strebe nach einer «Diktatur». Budapest bezichtigte Biden daraufhin der «Lügen» und bestellte den US-Botschafter ein. Orban zeigte sich darüber hinaus in Florida mit seinem «guten Freund» Donald Trump, er unterstützt den Ex-Präsidenten im US-Wahlkampf.
Ein gewisser Autoritätsverfall Bidens ist aber auch anderswo im Bündnis spürbar. Rumänien hatte wiederholt über diplomatische Kanäle in der Nato verbreitet, es habe mit seinem 64-jährigen Präsidenten Iohannis einen guten Kandidaten – auch weil dieser perfekt Englisch und Deutsch spricht.
Ist Kaja Kallas zu stark involviert?
Dass Iohannis seine Kandidatur nun gegen Bidens erklärten Willen öffentlich macht, verdeutlicht eine breitere Unzufriedenheit bei den Osteuropäern: Die seit 1999 schrittweise beigetretenen Staaten der früheren Sowjetunion haben durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine stark an Stellung und Selbstbewusstsein gewonnen. Sie haben jedoch noch nie den Nato-Generalsekretär gestellt.
Iohannis hat laut Diplomaten keine nennenswerte Unterstützung im Bündnis. Als Favoritin bei den Osteuropäern gilt vielmehr die estnische Regierungschefin Kaja Kallas, zumal sie die erste Frau an der Spitze des Bündnisses wäre. Auch Lettlands Aussenminister Krisjanis Karins bewirbt sich. Gegen beide spricht aus Sicht westlicher Staaten, dass sie zu eng in den Konflikt mit Russland involviert sind.
Der russische Angriffskrieg hat auch den Posten des Nato-Generalsekretärs aufgewertet. Er ist das «Gesicht» der Allianz und soll für alle Mitgliedstaaten sprechen. Zudem ist er mehr denn je als Vermittler gefragt, wie Stoltenberg im Beitrittsstreit zwischen Schweden und der Türkei.
Die Nachfolge-Saga könnte damit auf eine ebenso bekannte wie geschätzte Persönlichkeit zulaufen: Stoltenberg selbst. Diplomaten wollen nicht ausschliessen, dass der seit fast zehn Jahren amtierende Norweger um ein weiteres Jahr gebeten wird.
Schon nach Beginn des Ukraine-Kriegs liess sich Stoltenberg im Frühjahr 2022 zum Weitermachen beknien und verzichtete auf den prestigereichen Posten des norwegischen Zentralbankchefs. Diesmal müsste Biden seine ganze Überredungskunst einsetzen, um den 64-Jährigen noch einmal zu gewinnen. Stoltenbergs Amtszeit endet regulär Anfang Oktober.
AFP/nlu
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