Strassenmagazin «Surprise»Ein Franken mehr Lohn pro Heft
«Surprise»-Verkäufer Teklit Tekeste bekommt eine Lohnerhöhung – aber nicht nur er, das bekannte Strassenmagazin ist teurer geworden.
Dieser Text erschien erstmals am 18. Oktober 2023.
Es ist Blumen- und Gemüsemarkt auf dem Helvetiaplatz. Eine Frau mit vollem Korb auf dem Gepäckträger huscht an «Surprise»-Verkäufer Teklit Tekeste vorbei.
«Ist das schon das neue Heft?»
«Nein, das hier hast du schon.»
«Dann bis nächste Woche!»
Die Frau läuft weiter Richtung frisches Brot. Tekeste winkt ihr lächelnd hinterher. Nicht mal zehn Sekunden dauert die Konversation, die trotz ihrer Knappheit spürbar herzlich ist. So verdichtet können wohl nur vertraute Stammkunden und Stammverkäufer miteinander reden, ohne dass es seltsam ist.
Und Tekeste hat einige treue Stammkundinnen und -kunden am Helvetiaplatz, jeden Freitag und Dienstag steht er hier mit seinen «Surprise»-Heften, immer wieder «tschaut» ihm jemand im Vorbeigehen zu oder streckt ihm die Faust zum kollegialen Faustgruss entgegen. Die meisten Käuferinnen und Käufer schätzen seine «sympathische Art», sein «freundliches Lachen», sagen sie. «Er ist halt ein Strahlemann», sagt eine Frau von einem Blumenstand und drückt ihm für das Zeitungsfoto eine kleine Rose in die Hand.
Die rosa Blume passt zu seinem Tenü. Denn unter dem roten «Surprise»-Gilet und der blauen Herbstjacke blitzen bunte Farben von einem traditionellen afrikanischen Gewand hervor. Teklit Tekeste ist Eritreer und vor 15 Jahren über den Sudan, Libyen und Italien in die Schweiz geflüchtet. 2014 kam seine Frau nach. Heute hat das Paar drei kleine Kinder von sieben, fünf und zwei Jahren. Für «Surprise» verkauft er seit 12 Jahren Magazine.
Von sechs auf acht Franken
In Eritrea arbeitete Tekeste im Gartenbau, auf Bauernhöfen und im Service. In der Schweiz vermutet er, dass er in diesen Branchen keine Stelle finden würde, da er etwas humpelt, weil ihn sein rechtes Knie plagt. Im Winter mehr als im Sommer. Er wurde als Kind von einem Auto angefahren, seitdem bereitet es ihm Probleme. Auch neun Operationen, zwei davon in der Schweiz, konnten seine Kniebeschwerden nicht beheben.
Tekeste arbeitet aber gerne als «Surprise»-Verkäufer, denn er liebt die Stadt Zürich: «Mir gefällt es hier wahnsinnig gut, und meine Kinder können draussen spielen, das ist schön.» Ausserdem erlaube ihm sein Einkommen ein gutes Leben: «Mit dem Lohn vom ‹Surprise› und der zusätzlichen Hilfe der Stadt können wir in einer schönen Wohnung leben und haben alles, was wir brauchen», sagt er. Pro Monat verdient er mit dem «Surprise» zwischen 2000 und 2500 Franken.
Bald bekommt er eine kleine Lohnerhöhung. Denn das Magazin ist seit Anfang September zwei Franken teurer geworden. Das heisst: Das Strassenmagazin kostet heute acht Franken anstatt wie bisher sechs, vier davon gehen direkt auf das Konto von Tekeste – ein Franken mehr pro Heft als bisher.
Letzter Preisanstieg vor 14 Jahren
Das letzte Mal, als der «Suprise»-Preis von fünf auf sechs Franken gestiegen ist, war vor 14 Jahren. Seitdem sind die Lebenskosten durch die Inflation, höhere Energiepreise, höhere Krankenkassenprämien und höhere Mietkosten gestiegen, und «Menschen in prekären Verhältnissen leiden besonders unter steigenden Preisen», sagt Co-Geschäftsleiterin vom «Surprise», Jannice Vierkötter. «Deshalb haben wir uns entschieden, dass wir ihre Einkommenssituation verbessern wollen.»
Dass das Heft gleich zwei Franken teurer wurde und nicht wie bei der letzten Preiserhöhung nur einer, sei, «weil wir einen deutlichen Lohnunterschied zu vorher erreichen wollen», sagt Vierkötter. Ausserdem seien auch die Produktions- und Transportkosten für das Heft gestiegen.
Neuer Preis, weniger Verkäufe?
Allerdings sind die Lebenskosten auch für die Kundschaft gestiegen. Verkauft sich das «Surprise» für acht Franken genau so gut wie das für sechs? Die Co-Geschäftsleiterin kann nach dem ersten Monat mit dem neuen Preis noch keine Bilanz ziehen, weil der Heftverkauf monatlichen Verkaufsschwankungen unterliege. So wurden beispielsweise im August 2022 rund 32’500 Hefte verkauft, im Dezember 2022 waren es mit rund 71’000 mehr als doppelt so viele.
Eine erste Evaluation mit dem neuen Preis sei im November geplant. Generell kann Vierkötter aber bestätigen, dass im Jahr 2023 ein leichter Rückgang des Heftverkaufs zu verzeichnen sei. «Gut möglich, dass sich Kundinnen und Kunden wegen der Teuerung eher zweimal überlegen, ob sie das Heft kaufen wollen.»
Tekestes Kunden sind treu
Teklit Tekestes x-ter Kunde auf dem Helvetiaplatz bleibt dem «Surprise» treu: «Ich kaufe es ehrlich gesagt nicht wegen seiner Inhalte, sondern um die Menschen zu unterstützen», sagt der Mann, rollt sein Heft zusammen, steckt es in die Jackentasche und verabschiedet sich mit einem Händedruck von Teklit Tekeste. Diese bestätigt: «Ja, die meisten meiner Kunden haben Verständnis dafür, dass der Preis gestiegen ist.» Nur selten müsse er erklären, warum das Heft jetzt teurer geworden sei.
Er persönlich habe im ersten Monat auch etwas weniger Hefte verkauft. «Zwischen 480 und 500 Exemplare», sagt er und wippt mit der Handfläche hin und her. Normalerweise verkauft er bis zu 700. Aber Tekeste ist überzeugt, in einem halben Jahr habe sich auch der neue Preis durchgesetzt. Er bleibe jedenfalls weiterhin bei seiner bewährten Verkaufsstrategie: Lächeln. Lächeln. Lächeln.
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