Streit unter US-RepublikanernStatt Nächstenliebe gibts jetzt Seitenhiebe
Mike Pence greift Donald Trump scharf an. Doch der konservative Christ behindert auch die juristische Aufarbeitung der Missetaten seines früheren Verbündeten.
Mike Pence legt Wert auf neutestamentliche Nächstenliebe. Darin fand der Vizepräsident Trost, nachdem ihn Anhänger seines Chefs durch das Capitol gejagt hatten. «Hängt Pence» hatte Donald Trumps Mob am 6. Januar 2021 skandiert. Im Brief von Jakobus las Pence bei seiner täglichen Andacht, ein Christ müsse schnell zuhören, aber nur langsam antworten und nur langsam wütend werden.
Jetzt ist die Zeit reif für seine Wut. «Die Geschichte wird über Donald Trump richten», sagte er am Samstag vor dem Gridiron Club. Es war ein ungewohnt bissiger Kommentar für das alljährliche Dinner der exklusivsten Vereinigung von Journalisten in Washington, an dem ein scherzhafter Ton gepflegt wird.
Pence aber schlug eine ernste Note an. «Was an jenem Tag geschah, war eine Schande», sagte der 63-Jährige über den Capitol-Sturm. «Es ist unanständig, ihn anders darzustellen.» Erst gerade hatte der republikanische Speaker des Abgeordnetenhauses, Kevin McCarthy, dem Fernsehsender Fox News exklusiven Zugang zu den Rohdaten der Überwachungskameras im Capitol gewährt. Moderator Tucker Carlson liess daraus ein Video zuschneiden, das den Mob als «Touristen» porträtierte.
«Touristen verletzen nicht 140 Polizisten»
Die Verharmlosung hat System; Trump und seine Getreuen nennen die Demonstranten Patrioten und politische Gefangene. Pence antwortete nun mit Fakten von jenem Tag: «Touristen verletzen nicht 140 Polizisten.» Die Rede war seine schärfste Kritik am früheren Chef, den er schon bei früherer Gelegenheit gescholten hatte.
Es wäre wohl übertrieben, die Bemerkungen als Sünde der Selbstgerechtigkeit zu werten. Der Mann hat immerhin Rückgrat bewiesen, als Trump mit fadenscheinigen juristischen Argumenten forderte, er solle das Wahlresultat in der Funktion als Senatsvorsitzender einfach nicht bestätigen. «Donald Trump lag falsch. Ich hatte kein Recht, die Wahl umzustossen», wiederholte Pence am Samstag.
Frei von Pharisäertum ist Pence’ Gebaren indes nicht. Vier Amtsjahre und zwei Wahlkämpfe lang hielt er Trump die Stange, der nie ein Ausbund christlicher Tugend war. Jetzt, da weltliche Instanzen Trumps Verhalten durchleuchten, verweigert Pence seine Mitarbeit: Er wehrt sich vor Gericht dagegen, auszusagen vor Sonderermittler Jack Smith, der im Auftrag des Justizministeriums mehrere Untersuchungen gegen Trump führt.
Alles andere als Zufall waren auch Ort und Zeitpunkt von Pence’ Äusserungen. Als früherer Radiomoderator weiss er genau über die Funktionsweise der Medien Bescheid. Für die Kritik an Trump wählte er nun einen Anlass, zu dem ausschliesslich Journalisten in Chefpositionen, aber keine Kameras zugelassen waren. Pence’ Worte können damit in Redaktionsstuben Wirkung entfalten, ohne dass er Videoclips mit Gegenreaktionen von Trump-Fans in den sozialen Medien befürchten muss.
Nie mit einer fremden Frau allein
Das Vorgehen passt zum Aussenseiter, der nach der republikanischen Nomination greift. Als früherer Kongressabgeordneter, Gouverneur von Indiana und Vizepräsident erfüllt Pence alle Voraussetzungen für einen Präsidentschaftskandidaten. Er gab sich jedoch bisher als derart rechtschaffener Christ, dass er nie mit einer fremden Frau allein gelassen werden wollte. Das lässt selbst in den puritanischen USA an seiner Mehrheitsfähigkeit zweifeln.
Bisher hat Pence seine Kandidatur nicht angekündigt. Das haben neben Trump nur Nikki Haley, frühere Gouverneurin von South Carolina, sowie Techunternehmer Vivek Ramaswamy getan. Aber wie mehrere andere hat Pence alles vorbereitet. Er sei nahbarer als sein Ruf, sagte nun einer seiner Berater zu «Politico», ein Seitenhieb gegen Favorit Ron DeSantis. Auch der bemüht sich gerade verbissen darum, volkstümlich und locker zu wirken auf der Tournee mit seiner Autobiografie.
Genau wie Mike Pence, dessen Buch «So wahr mir Gott helfe» heisst. Seine nächsten Lesestopps sind die Staaten mit den frühesten Vorwahlterminen. Die Bürgerversammlungen im christlich-konservativen Iowa könnten Pence an die Spitze des Kandidatenfelds katapultieren, so das Kalkül. Genau wie 2016 Ted Cruz. Bevor dieser Trump dann doch unterlag.
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