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Britische Stahlwerke vor Ende
Grossbritanniens Hochöfen werden kalt

The Tata Steel Port Talbot integrated iron and steel works is pictured in south Wales on February 2, 2024. In the dim light of a pub in the steel producing Welsh town of Port Talbot, Jason Wyatt sips his beer, his voice laden with worry. Last month Tata Steel announced that it would close its last two blast furnaces to make way for a less polluting electric arc furnace that uses recycled scrap and requires far less labour. (Photo by Justin TALLIS / AFP) / TO GO WITH AFP STORY by Veronique DUPONT
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Nach dem spektakulären Ende der Kohleindustrie in Grossbritannien vor vierzig Jahren gerät nun auch die Stahlproduktion der Insel ins Wanken. Der letzte der beiden mächtigen Hochöfen im walisischen Port Talbot soll in zwei Wochen stillgelegt werden. Der erste stellte den Betrieb schon im Juli ein.

Mindestens 2500 Beschäftigte werden dadurch in Kürze arbeitslos – obwohl dem indischen Stahlwerk-Eigner Tata von der britischen Regierung eine halbe Milliarde Pfund an Subventionen ausgezahlt wird. Zur gleichen Zeit müssen ebenso viele Arbeiter im nordenglischen Scunthorpe und ihre Familien fürchten, dass die dortige Stahlproduktion noch vor Ende des Jahres eingestellt wird.

Die Werke in Scunthorpe und in Port Talbot waren bis heute die Pfeiler der traditionellen Stahlgewinnung in Grossbritannien. Nach der Schliessung ihrer Hochöfen wäre das Vereinigte Königreich die einzige unter den G-20-Nationen, die keinen Primärstahl mehr produzieren kann.

Eine jahrhundertealte Industrie nähert sich ihrem Ende

Für das Ursprungsland der industriellen Revolution, das einst Weltgeltung für sich beanspruchte, ist das erneut ein harter Schlag. Zu retten sucht man in Port Talbot wenigstens noch einen Teil der Stahlproduktion für die nächsten Jahre. Eine elektrisch betriebene Anlage, die mit geringerem CO2-Ausstoss «grünen» Anforderungen eher entspricht, soll von 500 Arbeitern betrieben werden von Ende 2027 an.

In einer Vereinbarung zwischen Port Talbots indischer Eigner-Firma Tata und der britischen Regierung ist eine Fortsetzung der Produktion in dieser neuen Form jetzt beschlossen worden. Tata will in den Bau der «Lichtbogenöfen» 750 Millionen Pfund investieren. Die Regierung schiesst 500 Millionen zu. Dieselbe Summe steht angeblich für Scunthorpe bereit.

Im Gegenzug hat sich Tata bereit erklärt, mehr als ursprünglich geplant an Abfindungen zu bezahlen und die Ausbildung für eine gewisse Anzahl neuer Jobs zu finanzieren. Mehr habe er leider nicht herausschlagen können, erklärte dazu Jonathan Reynolds, der Wirtschaftsminister der Labour-Regierung, die im Juli ins Amt gekommen ist.

Britain's Business, Energy and Industrial Strategy Secretary Jonathan Reynolds arrives at 10 Downing Street in London on September 9, 2024, to attend a Cabinet meeting. (Photo by HENRY NICHOLLS / AFP)

Zweifellos bleibe das hinter den Erwartungen zurück, räumt Reynolds ein. Andererseits habe er kaum Zeit gehabt in seinem neuen Amt, um einen besseren Deal auszuhandeln. Immerhin habe man mit Tata vereinbaren können, dass der Konzern die Entwicklung neuer Technologien bei der Stahlproduktion «wohlwollend prüfen» werde. Weiter geht das Versprechen des indischen Unternehmens freilich nicht.

Eignet sich Stahl aus Alteisen für die Waffenherstellung?

Zweifel herrschen auch daran, ob der neuartige Stahl, auf der Basis wiederaufbereiteten Altmaterials, über ausreichende Qualität verfügen würde, um etwa im Militärbereich die Waffenproduktion weiter zu gewährleisten. Auch dürften die Produktionskosten erheblich steigen, weil der Strompreis in Grossbritannien zum Beispiel um die Hälfte über dem in Deutschland oder Frankreich liegt.

Schon in der Vergangenheit haben Tata und British Steel, das mit seinem Scunthorpe-Werk dem chinesischen Konzern Jingye gehört, geklagt, dass sie bei der Stahlproduktion in Grossbritannien jeweils eine Million Pfund am Tag verlören. Relativ schwache Nachfrage und ein immer höherer Anteil an Importen trugen dazu bei, dass die Stahlproduktion im Vorjahr einen neuen Tiefstand seit der Grossen Depression der 1930er-Jahre erreicht hat.

Insgesamt steht offenbar nach der Kohleindustrie nun auch die Stahlindustrie auf der Kippe, nachdem sie in den letzten 50 Jahren kontinuierlich geschrumpft ist. 1970 produzierte das Vereinigte Königreich noch 28,3 Millionen Tonnen Stahl und beschäftigte 320’000 Arbeiterinnen und Arbeiter. Damals war Grossbritannien fünftgrösster Stahlproduzent der Welt.

Zuerst wurde die Branche privatisiert, jetzt blutet sie aus

Voriges Jahr waren es gerade mal noch 5,6 Millionen Tonnen und 33’500 Beschäftigte. Und im internationalen Vergleich waren die Briten auf Platz 26 abgerutscht. Wenn nun ausser in Port Talbot auch in Scunthorpe die Hochöfen abgeschaltet würden, meinte am Donnerstag Londons «Financial Times» skeptisch, habe das Land «einen historischen Wendepunkt» erreicht. Ob Stahlproduktion in Britannien überhaupt in irgendeiner Form eine Zukunft habe, sei «noch nicht gesagt».

Spöttisch äusserte sich bereits der konservative Schatten-Wirtschaftsminister Greg Smith zu der – seit längerem absehbaren – Entwicklung: «Ist das wirklich der neue Labour-Plan? Schrott-Jobs? Eine Schrott-Produktion? Abhängigkeit von Importen aus Ländern, die auf viel schmutzigere Weise produzieren? Entkarbonisierung nenne ich das nicht.»

Und die immer populärere englische Rechts-Partei Reform UK will von «Lichtbogenöfen» schon gar nichts hören. In Wirklichkeit habe der Verlust der alten Hochöfen «mit der Besessenheit beider grossen Parteien mit Net Zero», mit der angepeilten Reduktion des CO2-Ausstosses auf null zu tun, meint sie.

Wirtschaftsexperten wie Professor Nigel Driffield von der Universität Warwick sehen das Problem unterdessen ganz woanders: «Wenn andere Länder ihre Stahlindustrie subventionieren, müssen wir hier das Gleiche tun – oder sie in öffentliches Eigentum übernehmen. Der Zeitpunkt, an dem wir uns entschieden, das nicht zu tun, sondern sie zu privatisieren und an ausländische Unternehmen zu verkaufen, markiert den Beginn der Entwicklung, vor der wir uns jetzt sehen.»