Stadt Zürich kauft Land in WitikonÜberraschende Wende: Stadt kauft grosses Stück Land einem privaten Investor ab
Für 211 Millionen Franken erwirbt der Stadtrat 30’000 Quadratmeter unbebautes Land im Kreis 7. Links-grüner Widerstand im Parlament machte den Kauf möglich. Die Gegner sprechen von «Erpressung» und «Machtmissbrauch».
Ein Jahr später sieht plötzlich alles ganz anders aus.
An einer Finanztagung im April 2023 präsentiert die Swisscanto ihre «Projektpipeline an guten Lagen in den Schweizer Wirtschaftszentren». Sieben Immobilienprojekte sind darin aufgelistet. Das grösste: Ein 320-Millionen-Projekt in Zürich-Witikon. Nun, etwas weniger als 12 Monate später, ist klar: Die Swisscanto, eine Anlagestiftung der Zürcher Kantonalbank, wird auf dem Areal Harsplen nie bauen. Dafür die Stadt Zürich.
Der Stadtrat hat am Mittwoch bekannt gegeben, dass er das 30’000 Quadratmeter grosse unbebaute Areal zwischen der Katzenschwanz- und der Witikonerstrasse inklusive des Bauprojekts für 211,28 Millionen Franken gekauft hat.
Links-grüner Widerstand verschreckte Swisscanto
Die überraschende Wende wurde erst durch ein politisches Powerplay möglich. Um das Projekt mit rund 370 neuen Wohnungen zu realisieren, hätte Swisscanto 130 Quadratmeter Land zwischen der Wohn- und der Erholungszone abtauschen lassen müssen. Der Landabtausch war durch André Odermatts (SP) Hochbaudepartement vorgespurt und vom Stadtrat abgesegnet worden. Auch SVP, FDP, GLP und EVP/Mitte stellten sich hinter die Umzonung. Doch die rot-grüne Mehrheit im Parlament signalisierte: Sie würde die Zonenänderung verweigern, wenn die Bauherrin keine gemeinnützigen Wohnungen auf dem Areal plane.
Die links-grüne Drohung zeigte Wirkung. Allerdings war die Folge nicht mehr gemeinnützige Wohnungen, sondern der Stopp des Harsplen-Projekts durch die Swisscanto. Die Anlagestiftung wolle «Alternativen» prüfen, schrieb die Stadt im Dezember.
«Die linke Dominanz wird zunehmend zum Planungsrisiko und verhindert oder verzögert zumindest dringend benötigten Wohnraum in dieser Stadt», wetterten die Grünliberalen, als der Rückzug bekannt wurde.
Erste städtische Siedlung in Witikon
Nun ist klar, was eine dieser Alternativen war: der Verkauf an die Stadt Zürich.
«Witikon ist eines der wenigen Quartiere ohne städtische Siedlung», schreibt der Stadtrat in seiner Mitteilung vom Mittwoch. Zudem würden die 370 Wohnungen einen Beitrag zur Erreichung des Drittel-Ziels leisten. Dieses sieht vor, den gemeinnützigen Teil der Mietwohnungen in Zürich bis 2050 auf ein Drittel zu heben.
Die Linke jubelt, die Rechte ist sauer
Die Freisinnigen sind fassungslos. In einer Medienmitteilung schreibt die FDP von «dreistem Machtmissbrauch der rot-grünen Mehrheit». «Das ist unserem politischen System nicht würdig», heisst es weiter. So dürfe in Zürich nur noch bauen, wer der rot-grünen Mehrheit genehm sei. Die FDP wolle eine umfassende Aufarbeitung «dieses dubiosen Grundstücksgeschäfts, nötigenfalls auch durch Aufsichtsbehörden und Justiz», schreibt die Partei.
Auch die Grünliberalen kritisieren den Kauf scharf. Das Vorgehen gegenüber der privaten Bauherrschaft sei an Dreistigkeit kaum zu überbieten. «Es kann nicht sein, dass der Gemeinderat aktiv private Bauvorhaben blockiert und die Bauherrschaften auf diese Weise erpressen», schreibt die Partei. Mit ihrem Powerplay habe die Stadt – sekundiert durch die linken Parteien – ein Forfait der Immobilieneigentümerschaft erzwungen.
Die Stadt weist diese Vorwürfe vehement zurück. Swisscanto habe die Stadt bereits vor der Beratung der Vorlage im Gemeinderat kontaktiert und hätte das Projekt unter bestimmten Anpassungen auch ohne Zustimmung aus dem Gemeinderat realisieren können, schreibt ein Sprecher von Liegenschaften Stadt Zürich. «Die konkreten Gründe für den Verkauf kennt die Stadt Zürich aber nicht.»
Ganz anders ist die Gemütslage bei den linken Parteien. Sie jubeln.
Die AL ist «hocherfreut». Der Harsplen-Kauf sei eine strategisch kluge Akquisition. Die Partei habe schon früh gemeinnützige Wohnungen für das Projekt gefordert. Die Grünen nennen es eine «sehr gute Wendung». Es seien gute Nachrichten für ein Quartier, das weniger als 9 Prozent gemeinnützige Wohnungen habe.
Auch die SP begrüsst den Kauf. «Bürgerliche behaupten immer wieder, dass die SP angeblich Wohnungen verhindere, weil sie sich nicht auf jede unverschämte Forderung renditeorientierter Immobiliengesellschaften einlässt», heisst es in der Mitteilung. Diese Vorwürfe wurden beim Harsplen-Areal erhoben. Nun würden auf dem Areal 100 Prozent bezahlbare Wohnungen entstehen – statt teurer Renditewohnungen.
Die neuen Wohnungen dürften trotz Kostenmiete wohl nicht günstig sein, da der Kaufpreis hoch ist. Die AL fordert bereits, dass für mindestens ein Drittel subventioniertes Wohnen ermöglicht werden solle.
Zürich kauft fleissig Grundstücke
Der Harsplen-Kauf reiht sich in eine Serie von diversen städtischen Immobiliendeals ein. Seit 2021 hat sich die Summe für Grundstückkäufe durch die Stadt Zürich verzehnfacht. 2023 waren es 358 Millionen Franken. Im laufenden Jahr hat das Finanzdepartement bereits drei Liegenschaften in der Nähe der Schule Altweg in Albisrieden für 182 Millionen erworben. Für das gesamte Jahr budgetiert der Stadtrat 500 Millionen Franken.
Die Stadt steigerte ihre Käufe unter politischem Druck. Die links-grüne Mehrheit wollte mehr solche Bodenkäufe. Sie gab dem Stadtrat die alleinige Kaufkompetenz und stellte ihm Kaufexperten zur Seite.
Als das Harsplen-Grundstück im März 2019 an die Swisscanto verkauft wurde, bemühte sich die Stadt noch nicht um das Areal. Wieso das so war, wollten linke Parteien im Gemeinderat schon 2022 wissen. Die Stadt stellte sich auf den Standpunkt, «keine Kenntnis der Handänderung der betreffenden Grundstücke» gehabt zu haben. Die AL schreibt in ihrer Mitteilung, die Swisscanto habe damals noch 155,6 Millionen Franken bezahlt.
Update vom 20. März 2024, 16.57 Uhr: Der Artikel wurde um eine Stellungnahme der Stadt Zürich zu den Vorwürfen der Parteien ergänzt.
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