Sportpsychologie im EishockeyWie eine Mentaltrainerin den Zugang zum argwöhnischen Rudel fand
Sarah Eriksson arbeitet seit dieser Saison beim Hockeyclub Frölunda in einer Männerdomäne. Davon lasse sie sich nicht beirren. «Ihre Ideen sind wichtiger als ihr Geschlecht», sagt auch Spieler Carl Klingberg.
Der Zugang zu einer Eishockeymannschaft ist nicht immer einfach, das ist bei Frölunda nicht anders. Cheftrainer Roger Rönnberg vergleicht die Spieler in einem Team mit einem Wolfsrudel: «Will jemand, der fremd ist, sich Zugang verschaffen, ist er zunächst einmal ein Feind – das ist im Hockey einfach so.» Carl Klingberg, der Stürmer aus Göteborg kehrte letzten Sommer nach sieben Jahren beim EV Zug zu seinem Jugendverein zurück, bestätigt dies so: «Der Zugang ist nicht einfach, viele Spieler haben halt ihre Routinen.»
Dies war also die erste Aufgabe Sarah Erikssons vor dieser Saison: sich das Vertrauen des Rudels erarbeiten. Denn ohne dieses würde die 45-Jährige keinen Zugang erhalten und folglich ihren Job nicht machen können. Auch Mentalcoachs werden nicht immer mit offenen Armen empfangen, beim SC Bern wurde ein derartiges Experiment 2021 nach nur wenigen Monaten und mitten in der Saison abgebrochen.
Vollwertiges Teammitglied – ein Novum
Vor Eriksson hatten bereits verschiedene Teampsychologen bei Frölunda gearbeitet, nicht alle kamen bei den Athleten gut an. Rönnberg erwähnt einen, der «fachlich zwar hervorragend war, es aber auf der menschlichen Ebene nicht immer klappte mit den Spielern. Wir wollten diesmal also jemanden, der diesbezüglich passt und Teil des Rudels sein kann.» Die Wahl fiel auf Eriksson, nachdem sie sich in der Vorsaison in einer Testphase bereits mit drei Spielern versuchen durfte.
Die studierte Psychologin und kognitive Neurowissenschaftlerin hatte bereits Erfahrung in der Arbeit mit einzelnen Eishockeyspielern und mit einem unterklassigen Team gehabt, war vor Frölunda aber noch nie in einer Profimannschaft angestellt gewesen. «Vollwertiges Teammitglied und auch bei vielen Spielen vor Ort zu sein – das ist schon etwas anderes», sagt Eriksson.
Manche Spieler seien grundsätzlich misstrauisch gegenüber Mentalcoachs, sagt Trainer Rönnberg. Stürmer Klingberg gehört nicht dazu. Als Teenager sei zwar auch er überzeugt gewesen, alles zu wissen, perfekt zu sein. Nachdem er aber in der U-18-Nationalmannschaft Schwedens erstmals mit einem Mentalcoach zusammenarbeitete, sei er positiv überrascht gewesen: «Es geht gar nicht darum, perfekt zu sein. Sondern sich selbst als Mensch besser kennen zu lernen. Ich fand das etwas Cooles.»
In der Folge arbeitete Klingberg regelmässig mit Mentaltrainern. War in seinen Teams keiner vorhanden, und das war meistens der Fall, dann suchte er auf privater Basis Hilfe. Er vertraute sich sowohl Männern wie auch Frauen an, darum war es für ihn nichts Besonderes, als Frölunda Eriksson anstellte. «Ich sehe auch, dass Eishockey ein von Männern dominiertes Business ist», sagt Klingberg, «aber sie hat Ideen, die ich noch nicht kannte. Das ist für mich wichtiger bei der Beurteilung ihrer Arbeit als das Geschlecht.»
Sie hätte es verstanden, wenn Spieler Probleme gehabt hätten, dass sie als Frau zu einem Männerteam stösst, sagt Eriksson. «Ich sagte mir aber: Darum geht es nicht. Ich bin ein Profi, ich mache meinen Job.» Sie ist Mutter von zwei Söhnen im Teenageralter, die Eishockey spielen. «Also überlegte ich mir: Wie würde ich es wollen, wenn eine Person mit ihnen in dieser Situation umgeht? Die Spieler sind nicht zuletzt auch einfach Jungs.»
Sie habe sich mit offenen Armen empfangen gefühlt. «Auch, weil mit Roger der Cheftrainer sofort voll hinter meiner Arbeit stand», sagt Eriksson. Sie weiss, dass ohne diese Unterstützung sie wohl von Anfang an auf verlorenem Posten gestanden hätte.
Gleiches gelte auch, wenn sie das Vertrauen der Spieler missbrauchen würde. «Die anderen Coachs erfahren nichts, worüber die Spieler mit mir reden», sagt Eriksson. Sie arbeitet einerseits wöchentlich in Gruppen mit den Spielern. Gleichzeitig können diese jederzeit Einzelgespräche mit ihr führen. Die Initiative dafür muss vom Spieler kommen, sie sei aber jederzeit offen für kurze oder längere Diskussionen. «Und es bin immer ich, die sich den Bedürfnissen der Spieler anpasst.»
Hin und wieder reiche es, einfach nur zuzuhören, sagt Eriksson, weil auch das guttun könne: «Jemand, der dich beachtet oder freundlich zu dir ist.» Headcoach Rönnberg aber schätzt an Eriksson, dass sie es normalerweise nicht dabei belässt: «Wenn die Spieler sie nur dafür benutzen würden, um Selbstmitleid nach schlechten Leistungen zu haben, würde das ihnen nicht helfen.»
Eriksson würde die Spieler aber auch herausfordern, Lösungsansätze zur Verbesserung der Situation verlangen, «also wortwörtlich coachen». Für sie ist das der selbstverständliche Ansatz: «Die Spieler haben die Lösung in sich, man muss ihnen Wege zeigen, diese zu finden.»
Tests im mentalen Bereich für die Jungen
Frölunda ist einer der besten Nachwuchsförderer im europäischen Eishockey, seit 2014 wurden 27 Spieler des Göteborger Clubs in der NHL gedraftet, fünf davon in der ersten Runde. Der Weg in die erste Mannschaft ist für die Junioren dennoch nicht selbstverständlich. Um nur schon mittrainieren zu können, müssen sie die je zehn Punkte des Teamprofils im Off- und On-Ice-Bereich erfüllen.
Mittlerweile hat Rönnberg eine dritte Kategorie erstellt, die Spieler werden auch im mentalen Bereich getestet. «Nicht alle fanden das toll», sagt Rönnberg, «schliesslich sind ja alle Menschen anders.» Er aber sagt: «Jeder braucht für seinen Alltag auch eine Struktur im mentalen Bereich.»
Auch in Schweden arbeiten nicht alle Clubs mit fest angestellten Mentalcoachs. Eriksson sieht diesbezüglich noch grosses Potenzial im Eishockey. Mit Klingberg arbeitete sie diese Saison auch, weil er in ein für seine Karriere beispielloses Tief geriet und mittlerweile seit 23 Spielen kein Tor mehr erzielte. Eine typische Situation, die sie jeweils angeht, indem sie mit den Athleten darüber redet, wie sie sich jeweils fühlen, wenn sie ihr bestes Eishockey spielen, also den Fokus vom Negativen wegnehmen will.
«Das Eishockey würde profitieren, wenn im mentalen Bereich bereits dann mehr gearbeitet würde, wenn es sportlich noch gut läuft», sagt Eriksson. Gerade zu Saisonbeginn, wenn vieles noch rosig sei, liessen sich eher gute Beziehungen aufbauen, von denen später Spieler und Mentalcoach profitieren könnten. Die Beziehungen und das Vertrauen – dies seien die wichtigsten Faktoren in ihrem Job, sagt Eriksson. Und die schönsten? «Dieser Job ist ein Privileg, ich liebe ihn. Auch, weil du schon schnell merkst: Spieler sind einfach Menschen, es geht also am Ende einfach um Menschen in meiner Arbeit.»
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