Hoffen auf SchnelltestsSpitäler müssen nicht dringende Eingriffe wieder verschieben
Was die Gesundheitsdirektoren der Kantone am Donnerstag beschlossen haben, geht Wissenschaftlern zu wenig weit. Doch Bund und Kantone blockieren sich gegenseitig.
Ein neues Hüftgelenk einsetzen oder die Prostata entfernen lassen: Solche nicht dringliche medizinische Eingriffe müssen die Schweizer Spitäler jetzt rasch zurückfahren, um genug Personal und Platz für Covid-Patienten bereitzuhalten. Das haben die Gesundheitsdirektoren der Kantone am Donnerstag in Bern beschlossen. Sie stützten sich dabei auf Einschätzungen der Wissenschaftler-Taskforce des Bundes, die davor warnt, ohne weitere Massnahmen könnten die Spitäler Mitte November an den Anschlag kommen (lesen Sie, wie die Taskforce das Virus zurückdrängen will).
«Die Lage ist sehr ernst», sagte Lukas Engelberger, Präsident der Konferenz der Gesundheitsdirektoren, an einer Medienkonferenz. In einigen Kantonen gerieten die Intensivstationen bereits an ihre Kapazitätsgrenzen: «Wir müssen handeln.»
Auch die Schweizerische Gesellschaft für Intensivmedizin sprach sich am Donnerstag dafür aus, nicht dringende Eingriffe und Behandlungen zu verschieben. Schon im Frühling bei der ersten Welle der Corona-Pandemie hatte der Bund auf diese Weise das Gesundheitssystem stark auf Covid-Fälle ausgerichtet.
Harte Diskussionen
Helfen vor einer Überlastung der Spitäler sollen neue Corona-Schnelltests, über die Bundesrat Alain Berset mit den Kantonen diskutierte. Diese sollen demnächst zum Einsatz kommen, jedoch nicht etwa für Reisende an Flughäfen oder in Firmen, wie sich das einige Wirtschaftsvertreter wünschten. Vielmehr sollen sie wie die bisherigen PCR-Tests im Gesundheitswesen dazu dienen, die Ausbreitung des Virus möglichst genau zu überwachen und weitere Ansteckungen zu verhindern.
Auf weitere Schritte konnten sich die Kantone hingegen nicht einigen, schon gar nicht mit dem Bund. Wohl bedankten sich Bundesrat Alain Berset und Kantonsvertreter Lukas Engelberger vor den Medien höflich beieinander. Doch davor sei «hart diskutiert» worden, hiess es nachher hinter den Kulissen – so hart und ausführlich, dass die Sitzung den zeitlichen Rahmen sprengte. Konfliktlinien traten gleich mehrere zutage, sodass sich Bund und Kantone gegenseitig blockieren.
Westschweizer gegen Deutschschweizer
Während die Westschweizer Kantone das öffentliche Leben zunehmend einschränken (zum Überblick über die kantonalen Corona-Massnahmen), sind mehrere Deutschschweizer Kantone nicht davon überzeugt, dass weitere Massnahmen nötig sind. Sie, die von der ersten Welle kaum erfasst wurden, halten die gültige nationale Maskenpflicht und punktuelle kantonale Einschränkungen bei Veranstaltungen für ausreichend. Einige Ostschweizer etwa machen geltend, die Zahl der Spitaleinweisungen sei trotz hoher Ansteckungszahlen niedrig.
Allerdings ist die Situation sehr unterschiedlich: Während Glarus keinen einzigen Spitalpatienten mit Covid ausweist, zählt St. Gallen schon fast gleich viele Patienten wie bei der ersten Welle. Nicht anwesend war bei dieser Diskussion Petra Steimen, Gesundheitsdirektorin des stark betroffenen Kantons Schwyz: Sie befindet sich wegen eines Corona-Falls in der Familie in Quarantäne.
Die zweite Konfliktlinie verläuft zwischen Bund und Kantonen. Gesundheitsminister Alain Berset forderte die kantonalen Behörden erneut dazu auf zu reagieren. Was er erwartet, machte Berset deutlich, indem er mehrfach das Wallis für dessen «drastische Massnahmen» lobte.
Doch der Gesundheitsminister stellte auch weitere Bundesratsbeschlüsse für nächsten Mittwoch in Aussicht. Schneller gehe es nicht, argumentierte Berset – schliesslich befinde man sich nicht im Notrechtsmodus, und dem Bundesrat sei es sehr wichtig, dass die Kantone vor den Entscheidungen auf ordentliche Weise einbezogen würden. Darum hält er vor neuerlichen Bundesratsentscheiden eine Vernehmlassung ab, in der die Kantone ab Freitag Stellung nehmen können.
Berset hält an seinem Kurs fest
Bersets starrer Fahrplan verärgerte wiederum die Kantone – auch solche, die den Bundesrat bei der ersten Welle kritisiert hatten, er gehe zu eigenmächtig vor. Die Westschweizer und einzelne Deutschschweizer forderten den Bund auf, möglichst rasch national strengere Regeln zu erlassen, weil das Virus sich schweizweit schnell ausbreite. Andere Kantone argumentierten, sie könnten nicht in den nächsten Tagen auf die Schnelle Einschränkungen verfügen, wenn der Bundesrat kurz darauf ohnehin eine nationale Regelung beschliessen wolle. Jene Kantone, die darüber hinausgingen, müssten sich dann rechtfertigen – und jene, die weniger weit gingen, müssten noch einmal nachbessern.
Berset habe jedoch nicht mit sich reden lassen, beklagte ein Kantonsvertreter – obwohl auch der Bundesrat vor den Medien darauf hinwies, das Virus halte sich nicht an die Kantonsgrenzen. Doch scheint Berset wenig geneigt, jetzt den Kantonen ohne weiteres die Verantwortung abzunehmen, nachdem diese laut ihre Kompetenzen zurückverlangt, mehrere aber ihre Hausaufgaben nicht erledigt haben.
Der grüne Genfer Nationalrat Nicolas Walder vermutet eine andere Motivation dahinter – «eine zentrale Frage: Wer muss die Entscheidungen auf sich nehmen und darum auch die Entschädigungen?»
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Einen Kompetenzstreit wegen finanzieller Interessen stellten Bundesrat Berset und Kantonsvertreter Engelberger jedoch vehement in Abrede. Zuerst werde über die nötigen Massnahmen zum Schutz des Gesundheitssystems entschieden, erst danach kümmere man sich um die Kosten.
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