Spionage via Kamera und Mülltonne
Houston soll auf dem Weg zum Titel 2017 geschummelt haben. Die MLB kämpft mit Bussen und Sperren um ihren Ruf.
Mitte Januar ist in der Major League Baseball (MLB) für gewöhnlich eine ruhige Zeit. Die Trainingscamps beginnen erst in rund vier Wochen. Die Spieler und Trainer sind noch daheim oder in den Ferien, und die Ballparks vor allem im nördlichen Teil der USA gefroren oder von Schnee bedeckt.
Dennoch ist die MLB seit vergangener Woche in Amerika ein mindestens ebenso grosses Thema, wie es die Halbfinals der National Football League am Sonntag gewesen sind. Es geht um Regelverstösse. Um Spionage. Und um die Integrität der stärksten Baseball-Liga der Welt. Die «Sports Illustrated» sieht die MLB in einer «moralischen Krise» und forderte: «Räumt euren Laden auf!»
Liga-Commissioner Rob Manfred hat einen Anfang gemacht und zu Wochenbeginn den ganz grossen Besen rausgeholt. Er präsentierte auf neun Seiten die Ergebnisse einer dreimonatigen Untersuchung der Houston Astros – und setzte damit eine Lawine durch die Liga in Gang.
Zehntausende SMS geprüft
Nach Hinweisen des ehemaligen Astros-Werfers Mike Fiers, der im November gegenüber Journalisten von einer «Spionagekultur in Houston» gesprochen hatte, schickte Manfred seine Ermittler ins Feld. Sie interviewten seit November 68 Leute, ein Drittel davon aktuelle oder ehemalige Spieler des Vereins. Es wurden zudem Zehntausende Textnachrichten, E-Mails, Videoclips und Fotos ausgewertet. Ergebnis: Die Texaner haben in ihrer Meistersaison 2017 verbotene Mittel eingesetzt, um die Handzeichen auszuspionieren, die der gegnerische Fänger seinem Werfer macht. Manfreds Konsequenz: Er sperrte Trainer A. J. Hinch und Manager Jeff Luhnow für die kommende Saison und sanktionierte den Verein mit der Maximalstrafe von fünf Millionen Dollar. Die Astros entliessen daraufhin umgehend Hinch und Luhnow.
Mittlerweile haben sich auch die Boston Red Sox und New York Mets von ihren Trainern Alex Cora und Carlos Beltran getrennt. Cora war 2017 in Houston Assistenzcoach und laut Manfred «aktiver Beteiligter» der Spionage. Beltran wird im MLB-Bericht als einziger Spieler erwähnt. Der damalige Outfielder habe sich «mit einer Gruppe von Spielern getroffen, um darüber zu diskutieren, wie das Ausspähen der Zeichen verbessert werden» könne.
Extra eine Kamera installiert
Das sogenannte Sign-Stealing ist in der MLB zwar erlaubt – aber nur mit dem menschlichen Auge. Wenn zum Beispiel ein Spieler auf dem zweiten Base – und somit direkt hinter dem gegnerischen Werfer – steht, kann er sehen, welche Zeichen der Fänger seinem Pitcher gibt, und dies seinem eigenen Mitspieler auf dem Schlagmal mitteilen. Allerdings bleibt ihm dafür kaum Zeit. Einfacher und schneller ist deshalb das – illegale – Ausspähen mittels elektronischer Medien.
Die Astros hatten unter Coras Führung eigens dafür im Aussenfeld ihrer Arena eine Kamera positioniert. Die Bilder wurden zu einem Monitor auf Houstons Bank übertragen. Sobald die Spieler sie entschlüsselt hatten, gaben sie die Informationen an ihren Schlagmann auf dem Feld weiter. Dazu wurde eine Mülltonne neben dem Dugout genutzt. Ein oder zwei Schläge auf den Abfalleimer bedeuteten, dass mit einem Wurf zu rechnen sei, bei dem sich der Ball kurz vor dem Schläger wegdreht. Blieb das Trommeln aus, war ein mit Maximalgeschwindigkeit geworfener Fastball zu erwarten. Diese Infos sind für den sogenannten Batter im Duell mit dem Pitcher ein grosser Vorteil – vergleichbar mit einem Fussballgoalie, der weiss, in welche Ecke der Penalty geschossen wird.
Es ist nicht zwar nicht eindeutig nachweisbar, welchen Einfluss diese Spionage auf den Ausgang der Endspielserie 2017 hatte. Aber es gibt Indikatoren. Astros-Catcher Brian McCann zum Beispiel hatte in den drei Heimspielen gegen die Los Angeles Dodgers einen Schlagdurchschnitt von 30 Prozent. In den vier Auswärtspartien hingegen traf er nur 3,7 Prozent der Würfe. Bei Second Baseman José Altuve waren es sogar 47,2 Prozent – darunter sechs Homeruns – im heimischen Ballpark, aber lediglich 14,3 Prozent sowie ein Homerun in Los Angeles.
«Ich stehe lieber jemandem gegenüber, der gedopt hat, als einem, der weiss, welcher Wurf kommt», sagte Alex Wood. Er gehörte 2017 und 2018 zu den Werfern der Los Angeles Dodgers. Die Kalifornier fühlen sich nicht nur von Houston um den Titel betrogen, sondern auch um die Meisterschaft 2018. Diese verloren sie gegen die Boston Red Sox mit Cheftrainer Alex Cora. Die MLB prüft derzeit Hinweise, wonach auch die Red Sox ihre Gegner ausspioniert haben könnten. «Das ruiniert komplett die Integrität unseres Spiels», meint Dodgers-Profi Cody Bellinger.
LA rückwirkend Champion?
In Los Angeles fragen sie sich mittlerweile: Was wäre, wenn? Hätten die Dodgers die World Series 2017 auch verloren, wenn Houston nicht spionierte hätte? Und 2018 gegen Boston? Der Stadtrat geht in die Offensive und will über einen Beschluss abstimmen, ob man die MLB dazu dränge, die Meisterschaften 2017 und 2018 den Dodgers zuzusprechen. Das ist natürlich reiner Aktionismus und wird in der Liga kein Gehör finden. Aber vielleicht könnte die MLB zumindest hinter den Titelgewinn der Astros – und falls erwiesen auch der Red Sox – einen Vermerk setzen: mit illegalen Mitteln errungen.
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