Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen
Meinung

Pro und Kontra
Soll man sich den «Barbie»-Film anschauen?

Eine Figur mit Vergangenheit: Margot Robbie als Barbie.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Ja, denn dieser Film ist kluge Unterhaltung!

Tina Huber

Selbstverständlich sollen Sie sich «Barbie» anschauen. Nur schon deshalb, weil dieses moderne Märchen in Pink kollektives Gesprächsthema ist. Seit wir alle nur noch zu Hause netflixen, anstatt Kinoblockbuster und Samstagabendshows im Fernsehen zu schauen, sind geteilte Medienerfahrungen selten geworden. Mit «Barbie» haben wir endlich wieder einen dieser Filme, die man gesehen haben muss, wenn man mitreden will.

Das ist nicht übertrieben: Trotz Ferien und Sommerhitze haben einzelne Schweizer Kinos am letzten Wochenende Rekordzahlen vermeldet, und in den USA sorgte «Barbie» für den erfolgreichsten Filmstart des Jahres. Für den kulturell interessierten Menschen gehört ein Ausflug ins «Barbieland» in diesen Tagen deshalb zur Allgemeinbildung. Am besten gemeinsam mit dem Nachwuchs, denn – auch das gehört zu seiner Stärke – der Film funktioniert für Kinder und Jugendliche ebenso wie für Erwachsene. Viele Eltern nutzten das, wie sich im Kinofoyer zeigte, als Anlass zu einer gemeinsamen Unternehmung mit ihren Teenagerkindern (solche Aktivitäten werden ab einem gewissen Alter bekanntlich rar). 

«Aber Barbie ist doch Kommerz!», werden einige nun rufen. Klar, der Film ist das, was Kritiker «Kapitalismusporno» nennen: aggressive Vermarktung und unverhohlene Werbung für den Spielzeughersteller (und Mitproduzenten) Mattel. Ist das schlimm? Es ist jedenfalls konsequent. Hollywood ist dazu da, Geld zu verdienen. Ausserdem scheinen filmische Werke über Marken und Produkte bei vielen einen Nostalgie-Nerv zu treffen – ein Beispiel ist der Animationsfilm zum Trickfilm «Super Mario», der kürzlich zum Überraschungshit wurde. In der Schweiz entsteht gerade eine Filmbiografie zu Betty Bossi. 

«Von der Indie-Regisseurin Greta Gerwig hätten wir anderes erwartet als einen 120-Millionen-Dollar-Blockbuster!», schnöden andere. Dabei hat sie das Kunststück geschafft, einen herrlich spassigen Film abzuliefern, der nie unpolitisch wird. Darf Feminismus nicht auch mal grell und fröhlich auf pinken Rollschuhen daherkommen? Muss er stets todernst und mit bebender Unterlippe auftreten, wie er das in letzter Zeit leider zu oft tut?

Muss er nicht, wie «Barbie» beweist. Der Film ist eine Mischung aus Gesellschaftssatire, Komödie und Patriarchatskritik. Zugegeben, nicht alle Witze sind gelungen, aber immer wieder liefert er überraschende Spitzen. Etwa wenn ein Mattel-Mitarbeiter sagt: «Das mit dem Patriarchat machen wir immer noch gut, wir verstecken es jetzt nur besser.» Oder wenn Barbie auf das Foto der Teilnehmerinnen eines Schönheits­wettbewerbes schaut und sagt: «Schau, die Mitglieder des Nobelpreiskomitees!» – weil sie selbstverständlich davon ausgeht, dass auch schöne Frauen gescheit sind.

Wann, wenn nicht jetzt kommen 114 Minuten massentauglicher, unverkrampfter Feminismus gerade recht?

Nein, denn dieser Film ist nicht Kino, sondern die reinste Werbung!

Michael Marti

Zugegeben, selbst auf der grossen Leinwand macht Barbie eine vorzügliche Figur. Margot Robbie verkörpert die prominenteste aller Puppen als witzige und warmherzige Blondine, und Ryan Gosling gibt Ken, den Schönling an ihrer Seite, geradezu brillant. Das ist gut gemacht. Solide Unterhaltung. Man könnte beinahe vergessen, dass die Vorlage für diesen Film eine Welt aus purem Plastik ist. 

Aber wollen wir vergessen, dass Barbie, dieser neue Kinostar, eine Frau mit schwieriger Vergangenheit ist? Kürzlich noch warnten britische Entwicklungs­psychologen, das ultraschlanke Fantasiegeschöpf sei für Mädchen im schlimmsten Fall eine Begleiterin in die Magersucht, Barbie vermittle ein fatal falsches Körperbild. Und in Berlin nagelten Feministinnen eine Original-Barbiepuppe ans Holzkreuz, um sie dann vor Publikum anzuzünden; der Protest galt einer Ausstellung zur Geschichte des Mädchenspielzeugs. Die im Feuer dahingeschmolzene Figur, so erklärten die Demonstrantinnen, sei die Verkörperung einer toxischen Ideologie, die Mädchen und Frauen auf ihren Körper reduziere.

Doch jetzt reden die Medien von der «Barbie-Mania», und die Menschen, Erwachsene ebenso wie Kinder, gehen ganz in Pink gekleidet ins Kino. Auf Spotify ist der Soundtrack zum Film binnen drei Tagen 50 Millionen Mal gestreamt worden. Und die Filmkritik jubiliert: Der Barbie-Film sei eine «bonbonfarbene feministische Fabel» («Guardian»), eine «feministische Satire, die Geschlechterrollen infrage stellt» («Stern»). Feministisch? Mit Verlaub, die Welt beklatscht gerade einen dreisten Marketingcoup.

Vor ein paar Jahren sah es aus, als wäre Barbie am Ende. Die Verkaufszahlen fielen in den Keller. Die Super-Puppe schien aus der Zeit gefallen – ein neues Image musste her. Barbie machte sich an den Zeitgeist ran, sie wurde divers, erschien neu in fünf Körpertypen, darunter auch «curvy». Ja selbst eine Transgender-Barbie präsentierte sich dem Markt.

Die Strategie ging auf: 2021 bescherte die neu positionierte Kinderzimmer-Königin Mattel 1,5 Milliarden Dollar Umsatz, ein Rekordergebnis. Man muss aber wissen: Die dicklichen und die dunklen Barbie-Varianten machen einen kleinen Teil der Verkäufe aus, sie sind, wie im Film, Statisten. In der Hauptrolle, ob im Kino oder in den Verkaufsregalen, sehen wir diejenige Barbie, die wir seit je kennen: das weisshäutige, perlblonde Model-Mädchen. Kein Wunder, werfen Kritiker dem Mattel-Konzern «diversity washing» vor, also die bunte Vielfalt nicht aus Überzeugung zu propagieren, sondern bloss des Geschäftes wegen.

Was sicher ist: Der Barbie-Film, so unterhaltsam er auch sein mag, ist eine kolossale Werbekampagne, um mit der Figur, deren Wahlspruch «Alles ist möglich» heisst, in neue Märkte zu marschieren.

Wollen wir uns im Kino Werbung ansehen? Wollen wir dafür obendrein Eintritt zahlen? Nein.