Sölden-Siegerin Lara Gut-Behrami«Ich habe meine Tage, es geht mir katastrophal»
Sie schläft vor dem Rennen und zwischen den Läufen, weil sie die Menstruation plagt: Und doch gewinnt die Tessinerin den Ski-Auftakt. Im Interview redet sie darüber.
Als Lara Gut-Behrami nach diesem aufreibenden Rennsamstag ans Tischchen mit den Journalisten steht, bittet sie um kurzes Warten. Sie mischt sich einen Proteindrink, schüttelt ihn, nimmt einen Schluck. Dann redet sie über ihren grossen Triumph im Riesenslalom von Sölden zum Auftakt des Skiwinters.
Lara Gut-Behrami, wird dieses Rennen auf dem hohen Gletscher von Jahr zu Jahr anstrengender?
Ich habe meine Tage, es geht mir katastrophal. Ich habe gerade noch mit Petra Vlhova darüber geredet, und es ist so: Jede reagiert anders, wenn sie ihre Periode hat. Seit den letzten zwei Jahren ist es so, dass ich nicht mehr wirklich dagegenhalten kann. Daraus resultierte auch der Fehler heute im ersten Lauf, ich konnte nicht wirklich zentral über den Ski stehen. Im zweiten Lauf konnte ich die Ski laufen lassen. Aber ich habe weniger Energie an einem solchen Tag, ich schlief vor dem Rennen, zwischen den Läufen. Es geht mir nicht miserabel, aber doch nimmt es mir zehn Prozent an Energie, um dagegen zu kämpfen. Es braucht die Mischung: Wenn der Körper nicht mitmacht, brauche ich den Kopf, der mir hilft.
Wo legten Sie sich hin?
In der Team-Hospitality. Der Vorteil, wenn man in der ersten Gruppe startet, ist, dass bei mir der erste Lauf schon um zehn nach zehn vorbei war. Ich hatte zwei Stunden bis zur Besichtigung. Ich schlafe oft, das mache ich eigentlich seit mehr als zehn Jahren. Und ich bin nicht die Einzige, schlafen hilft, um sich abzulenken, nichts zu denken, sich zu erholen.
Dann können Sie einfach den Schalter umlegen?
Früher schloss ich einfach die Augen, hörte Musik. Heute hätte mich Musik extrem gestört. Am Ende des Tages fahren wir 2:18 Minuten Ski – und dafür stehe ich um fünf auf. Das verbrennt so viel Energie. Wenn ich dann noch die ganze Zeit an den Lauf denke und ihn visualisiere, geht es nicht. Man redet immer von mentaler Stärke, dabei geht es darum, zu lernen, mit dem Kopf umzugehen und mit dem Kopf zu spielen, damit ich abschalten kann.
«Der Körper entwickelt sich, ich bin auch viel empfindlicher, habe Rückenweh, spüre die Müdigkeit.»
Mikaela Shiffrin redete im vergangenen Winter auch über Menstruation. Geschieht das noch zu wenig, weil der Skizirkus von Männern dominiert ist?
Auch als Frau ist vieles schwer zu verstehen. In den ersten Jahren meiner Karriere fühlte ich mich immer dann am besten, wenn ich die Menstruation hatte, dann waren die Leistungen am stärksten. Im letzten Jahr dagegen musste ich zweimal ein Training abbrechen, weil ich mich eben so fühlte wie heute Samstag. Da riskiere ich sicher nicht ein Training. Der Körper entwickelt sich, ich bin auch viel empfindlicher, habe Rückenschmerzen, spüre die Müdigkeit. Darüber zu reden, würde sicher helfen. Ich hoffe, dass die nächste Generation davon profitiert und allenfalls etwas gefunden wird, um besser damit umzugehen. Seit letztem Jahr habe ich das, dass es mir dann jeweils ein bis zwei Tage nicht so gut läuft. Bei Olympia 2022 in Peking kam die Menstruation am Morgen des Riesenslaloms – und ich holte eine Medaille.
Das Omen scheint also nicht allzu schlecht zu sein.
Nein, heute lief es auch ganz gut. (lacht)
Wie wichtig und wertvoll ist ein solcher Start in die Saison?
Sicher cool. Normalerweise bin ich eher locker unterwegs, nun habe ich mich zwar über Startnummer 1 gefreut, spürte aber auch Druck, die Saison eröffnen zu müssen. Ich zeigte den schlechtesten Lauf des ganzen Sommers und Herbsts. Ich war zu zurückhaltend, im zweiten Lauf riskierte ich mehr und spürte die Ski besser.
Mit Ihrem «schlechtesten Lauf» wurden Sie Vierte.
Stimmt, ich unterschreibe sofort.
Sie starteten gleichzeitig mit Federica Brignone in Ihre Weltcupkarriere. Sie wurde hinter Ihnen Zweite. Was bedeutet Ihnen das?
Ich bewundere und schätze das. Ich weiss, wie schwer es ist, nach so vielen Jahren noch da zu sein. Es ist nicht leicht, so lange Spitzensport zu betreiben, ich bewundere Athletinnen, die das schaffen. Mit 20 hatte ich Spass, konnte ich um die Welt reisen und Ski fahren. Mit 32 ist der Spass auch noch da, aber es ist schwieriger geworden. Wir sind immer noch unterwegs mit Koffern, ich schätze Fahrerinnen wie Brignone, die immer noch Erfolg haben nach so vielen Jahren.
Schon nach dem ersten Lauf wurde Ragnhild Mowinckel wegen zu hoher Fluor-Werte am Ski disqualifiziert. Machte Sie das nervös?
Ich erfuhr davon erst nach dem zweiten Lauf. Meine Ski sind ohne Fluor gewachst, und ich hoffe, dass die Messungen stimmen. Wir sollten uns nicht unter Druck fühlen und Angst haben. Alle sagen, es ist wichtig, dass Fluor verboten wurde wegen Umweltbedenken. Aber den Prozess müssen wir hinterfragen, wir Athletinnen, die Skifirmen. Es wird gesagt, dass viel getestet wurde vor dem Verbot – doch eine Abfahrt etwa ist noch nie gefahren worden mit einem fluorhaltigen Wachs. Man weiss also nicht, was während des Laufs passiert und wie viel Fluor am Ende noch am Ski ist, wenn jemand die Ski trotz des Verbots mit Fluor präpariert. Vielleicht waren vor dem Start von Ragnhild Rutscher auf der Strecke mit Fluor an den Ski. Die Ungewissheit muss weg.
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