Social Media an FestivalsDas Openair Frauenfeld halbiert die Zahl der Influencer
Influencerinnen und Influencer sind zum wichtigen Werbefaktor geworden, aber nicht überall gern gesehen. Wie die grössten Schweizer Festivals den Umgang regeln.
Wer kommt zum Posen und Posten, und wer ist für die Musik da?
Tickets für das Coachella-Festival in Kalifornien, das im Mai den Auftakt zur globalen Open-Air-Saison markiert, verkauften sich dieses Jahr auffallend zäh. Eine mögliche Erklärung: Das Festival ist vielen zu kommerziell geworden ist.
Es wird geprägt von Sponsoren, die Hundertschaften von Influencerinnen und Influencer einladen. Die inszenieren sich mit Produkten der Marken, die ihnen die Tickets schenken, teilen Bilder von ihren Outfits, aber interessieren sich kaum für die Konzerte. Sehr zum Frust der Musikfans – von «Influencer Fatigue» war die Rede.
Mindestreichweite von 20’000 Followern
Influencer-Überdruss wird es bei der Schweizer Festivalsaison nicht geben. Die grössten hiesigen Festivals prüfen genau, wie viele und welche Influencerinnen und Influencer sie aufs Gelände lassen – auch wenn Sichtbarkeit auf Social Media für alle Veranstaltenden wichtig ist. Das zeigt eine Umfrage bei den Open Airs in Frauenfeld, St. Gallen und Zürich, dem Paléo, Gurtenfestival und dem Montreux Jazz Festival.
Bei allen der angefragten Festivals können sich die Social-Media-Persönlichkeiten vorab akkreditieren lassen. Eingeladen werden sie, wenn sie «zum Anlass passen». Heisst: Sie kommen aus der Region, in der das Festival stattfindet, oder haben einen klaren Bezug zur Musik.
Und natürlich ist Reichweite erwünscht. Genauer benennt dies einzig das Open Air Frauenfeld. Wer beim grössten Rap-Festival Europas auf die Gästeliste will, muss «auf einem Kanal eine Reichweite von mindestens 20’000 Followerinnen und Followern» vorweisen.
Bezahlt werden die Influencerinnen und Influencer nicht, sie erhalten lediglich Gratiseintritte. Dafür werden ihnen keine Vorgaben gemacht, was und wie häufig sie etwas posten sollen – eine Win-win-Situation, wie es beim Paléo Festival in Nyon heisst. Die Bandbreite ist gross: vom Selfie mit Festival-Logo über Konzertmitschnitte bis zu aufwendigen Aktionen. So hat der Social-Media-Koch Noah Bachofen am Openair St. Gallen 2023 auf dem Gelände für die Musikfans gekocht.
50 Eingeladene in Frauenfeld, 3 in St. Gallen
Der Veranstalter in Frauenfeld zieht vom Vorjahr eine positive Bilanz, man habe eine grosse Reichweite erzielt und unterschiedliche Zielgruppen ansprechen können. Trotzdem wird die Auswahl in diesem Jahr strenger, nachdem es 2023 eine gross angelegte Influencer-Kampagne gegeben hat. «Letztes Jahr haben wir noch 100 Creators mit Begleitung eingeladen. Dieses Jahr freuen wir uns, rund 50 zu begrüssen», heisst es in Frauenfeld. Damit dürfte es das influencerstärkste Festival der Schweiz sein.
In Zürich, St. Gallen und Montreux ist der Ablauf vergleichbar. Die Anfragen der Social-Media-Persönlichkeiten werden vor dem Festival geprüft. Wie viele eingeladen werden, variiert. Beim Openair St. Gallen waren es dieses Jahr nur drei Influencerkanäle, die direkt übers Festival angemeldet waren – bei 110’000 Besuchenden übers ganze Wochenende.
Wichtig sind auch die eigenen Social-Media-Teams der Festivals. Im Sittertobel waren 20 Personen im Einsatz, um die Kanäle des Openair St. Gallen mit Videos und Bildern zu füllen, dazu 15 Fotografinnen und Fotografen.
Beim Gurtenfestival betreibt man etwas mehr Aufwand. Dort werden Influencerinnen und Influencer von den Festivalverantwortlichen direkt rekrutiert, in Zusammenarbeit mit Agenturen, die auf Social-Media-Marketing spezialisiert sind.
«Es ist durchaus ein Aufwand, aber einer, der es wert ist. So wie wir das Programm, die Bühnen und das gesamte Erlebnis am Festival kuratieren wollen, gehört auch das dazu», sagt Lena Fischer von der Festivalleitung. Die Liste der Gäste solle nicht zu lang werden und werde jedes Jahr überprüft. «Es sollen nicht immer die Gleichen zum Zug kommen», sagt Fischer.
Nur, wenn es freie Plätze gibt
Beim ehrwürdigen Montreux Jazz Festival nimmt man sich Zeit für die Content Creators. Vorab werden mögliche Umsetzungen und die wichtigsten Hashtags besprochen, wer eingeladen wird, erhält vor Ort eine Führung übers Gelände.
Dass Social-Media-Stars den Fans Plätze streitig machen, wie das bei der Fussball-EM gerade kritisiert wird, ist nicht zu befürchten. «Wir wollen Qualität, nicht Quantität», sagt Montreux-Sprecher Eduardo Mendez. Wie viele Einlass erhielten, hänge davon ab, ob Plätze verfügbar seien. Das gilt auch beim notorisch ausverkauften Paléo Festival in Nyon.
Verwöhnt werden die Influencerinnen und Influencer nur bedingt. Bei allen angefragten Festivals erhalten sie Eintritt mit Zugang zu den VIP-Bereichen, aber keine weiteren Ermässigungen. Ihre Konsumationen müssen sie selbst bezahlen. Etwas grosszügiger ist einzig das Openair Frauenfeld, das eine begrenzte Anzahl Gutscheine ausstellt – mit dem jungen Publikum sind die Social-Media-Stars für das Hip-Hop-Openair aber auch wichtiger als für andere Festivals.
Deren Status zeigt sich daran, dass in Frauenfeld Influencerinnen und Influencer vereinzelt Zugang zum Backstage erhalten. «Einige benötigen Rückzugsorte, genau wie die Acts, die auf den Bühnen auftreten.»
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