Provokationen gegen SüdkoreaSo umfangreich hat Nordkorea noch nie um sich geschossen
Nordkoreas Regime feuert mindestens 23 Raketen ab, Südkorea antwortet. Im Konflikt der Bruderstaaten fliegen die Raketen jetzt hin und her. Experten sind alarmiert.
Der Tag des Feuers in Korea begann in der Früh um 6.51 Uhr. So berichtete es später am Mittwoch der Generalstab des südkoreanischen Militärs, die Joint Chiefs of Staff. Die erste Salve des nordkoreanischen Regimes habe aus vier ballistischen Kurzstreckenraketen bestanden, die von der Provinz Nord-Pyongan aus ins Gelbe Meer geflogen seien. Die zweite sei zwei Stunden später zu beobachten gewesen: drei weitere ballistische Kurzstreckenraketen, diesmal in der östlichen Küstenstadt Wonsan Richtung Ostmeer abgefeuert. Eine davon tauchte nahe den südkoreanischen Hoheitsgewässern in die See, 26 Kilometer südlich der sogenannten Northern Limit Line, der blauen Grenze im Meer zwischen Nord- und Südkorea. Sie löste einen Fliegeralarm für die etwa 9000 Menschen auf der Insel Ulleung aus.
«Sehr selten und nicht zu tolerieren»
Am Ende zählte der Generalstab mindestens 23 Raketen und über 100 Artilleriegranaten, mit denen Nordkoreas Armee ihre Wehrhaftigkeit gezeigt hatte. So umfangreich hat Nordkorea noch nie um sich geschossen. Und die Generäle in Seoul erklärten in ihrer Pressemitteilung: «Die nordkoreanische Rakete, die zum ersten Mal seit der Teilung der Halbinsel in der Nähe unserer Hoheitsgewässer südlich der Northern Limit Line gelandet ist, ist sehr selten und nicht zu tolerieren.»
Pyongyangs Waffenschau vom Mittwoch war eine Provokation der neuen Art. Zumal sie sich nur wenige Tage nach der tödlichen Massenpanik im Seouler Partyviertel Itaewon ereignete, bei der am Samstag mindestens 156 junge Halloween-Feiernde ums Leben gekommen waren. Offiziell herrschte noch Staatstrauer in Südkorea. Fahnen standen auf halbmast, Beamte trugen Trauerflor, Menschen beteten an öffentlichen Altären. Vor allem die Familien der Opfer hätten eine Pause vom Koreakonflikt verdient. Aber so viel Rücksichtnahme ist in Zeiten der verhärteten Fronten anscheinend nicht möglich. Auf beiden Seiten nicht.
Denn trotz Staatstrauer hatten die Bündnispartner USA und Südkorea am Montag wie geplant mit ihrer Fliegerübung Vigilant Storm begonnen. Bis Freitag soll die Übung dauern. 240 Flugzeuge und Tausende Soldatinnen und Soldaten sind beteiligt. 1600 Einsätze sind insgesamt geplant, so viele wie noch nie im Rahmen einer solchen Übung. Die US-Armee sagt, Vigilant Storm sei «von Natur aus defensiv», aber natürlich gab es wütende Beschwerden aus Pyongyang. Marschall Pak Jong-chon, Präsidiumsmitglied im Politbüro der Arbeiterpartei, forderte Amerikaner und Südkoreaner auf, mit dieser «aggressiven Provokation» aufzuhören.
Und am Mittwoch folgte dann jene Serie von Raketenabschüssen, die manchen Experten durchaus alarmiert. «Die südkoreanisch-amerikanische Fliegerübung gilt als stärkste Abschreckung gegen die nordkoreanischen Bedrohungen», sagte Park Won-gon, Professor für Nordkorea-Studien an der Ewha-Frauen-Universität, in der «Korea Times»: «Wenn der Norden während einer solchen Übung mit Raketen feuert, muss er grosses Vertrauen in seine nuklearen Fähigkeiten haben.»
Atomwaffentest geplant
In diesem Jahr hat Nordkorea so viele Raketentests absolviert wie noch nie zuvor. Amerikaner und Südkoreaner gehen ausserdem davon aus, dass Nordkorea demnächst seinen siebten unterirdischen Atomwaffentest ausführt. Die Partner haben mit ihren Übungen zuletzt selbst militärische Zeichen setzen wollen. Und Südkoreas Präsident Yoon Suk-yeol machte am Mittwoch deutlich, dass er sein Prinzip «Frieden durch Stärke» tatkräftig umsetzen will.
In einer Notfallsitzung des Nationalen Sicherheitsrats bezeichnete Yoon Nordkoreas Aktion im Ostmeer als «eine Verletzung unseres Territoriums durch eine Rakete». So teilte es jedenfalls das Präsidialamt mit. Später gab der Generalstab bekannt, südkoreanische F-15K- und KF-16-Kampfjets hätten präzisionsgelenkte Raketen in die internationalen Gewässer nördlich der blauen Grenze im Ostmeer gefeuert. Sie seien in ähnlicher Entfernung zur Seegrenze niedergegangen wie zuvor Nordkoreas Rakete, die südlich der Grenze ins Wasser gefallen war. Im Konflikt der Bruderstaaten fliegen die Raketen jetzt also hin und her. Beunruhigend.
Fehler gefunden?Jetzt melden.