SNB-Präsident widerspricht Negativzins-Kritikern
Soll die Nationalbank den Pensionskassen Minuszinsen erlassen oder die Erträge zurückgeben? Thomas Jordan wagte sich zu seinen Kritikern – und gab Antwort.
In einer Rede von heute Nachmittag verteidigte der Präsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB), Thomas Jordan, entschieden den negativen Leitzins seiner Institution. Wegen dieser Massnahme gerät die SNB immer stärker in die Kritik. Nirgendwo sonst liegt der Leitzins so tief im Minus wie in der Schweiz mit minus 0,75 Prozent. Der härteste Wind bläst der SNB momentan vonseiten der Banken entgegen. So wird in einer neuen Studie der Bankiervereinigung behauptet, der Schaden der Negativzinsen sei mittlerweile grösser als ihr Nutzen, weshalb sie aufgehoben werden müssten.
Jordan wendet sich mit seiner Rede allerdings nicht an die Banken, sondern an die Pensionskassen. Konkret erklärt er sich an einer Tagung des Pensionskassennetzes in Bern. Dabei handelt es sich um eine Plattform zu Fragen der zweiten Säule, an der 17 Arbeitnehmerverbände beteiligt sind, die insgesamt 600'000 Mitglieder repräsentieren. Die schädliche Wirkung der Negativzinsen auf die Erträge der Pensionskassen verschafft der Kritik an dieser Geldpolitik besondere Schlagkraft.
In seinem Vortrag bestreitet Jordan die schädlichen Nebenwirkungen der Negativzinsen nicht. Aber anders als die Bankiervereinigung und andere Kritiker der SNB-Politik kommt er zum Schluss, dass der Nutzen dieser Massnahme deren Kosten noch immer übersteige. Diese Abwägung würde bei der SNB besonders gründlich geprüft. Die jüngste Lagebeurteilung im September habe ergeben, «dass der Negativzins und die Bereitschaft, bei Bedarf am Devisenmarkt zu intervenieren, weiterhin unentbehrlich sind, um dem Druck auf den Franken entgegenzuwirken und dadurch die Preisentwicklung zu stabilisieren und die Wirtschaftsaktivität zu unterstützen», erklärte Jordan gemäss Redetext.
«Keine Verbesserung bei den Kassen zu erwarten»
An die Pensionskassen gewandt, erklärte Jordan, die Einflussmöglichkeiten der SNB auf das Gedeihen der Pensionskassen seien beschränkt, und das gehöre auch nicht zu den Aufgaben der Notenbank: «Die Schweizerische Nationalbank ist für die Geld- und Währungspolitik unseres Landes zuständig und nicht für die Sozialpolitik und damit ebenso wenig für die Vorsorgewerke.» Dabei stellte er deren Bedeutung nicht infrage: «Eine gesunde Vorsorge ist ein Kernelement für einen guten sozialen Zusammenhalt und ein Baustein des Erfolgsmodells Schweiz», betonte er.
Die Pensionskassen würden von der SNB-Politik profitieren, wenn die SNB ihren eigentlichen Auftrag erfüllt, die Preisstabilität zu gewährleisten. Sonst würde die Kaufkraft des angesparten Pensionskapitals sinken. Die Pensionskassen hätten zudem wenig davon, wenn die Nationalbank die Zinsen im aktuellen Umfeld wieder in den positiven Bereich anheben würde. Laut Jordan wäre sogar das Gegenteil der Fall: Die Folge wären eine weitere Aufwertung des Frankens, eine dadurch ausgebremste Wirtschaft und eine deutliche Zunahme der Arbeitslosigkeit. Das würde zu geringeren Einzahlungen in die Kassen führen.
Weil eine solche wirtschaftliche Krise auch Druck auf die (langfristigen) Zinsen und die Aktienmärkte erzeugen würde, sei keine Verbesserung der Ertragslage bei den Kassen zu erwarten. Zusammenfassend meinte Jordan dazu: «Eine Aufhebung des Negativzinses zum heutigen Zeitpunkt läge somit nicht im Interesse der Pensionskassen.» Die Kritiker des Negativzinses stellen allerdings einige der von Jordan vertretenen Kausalzusammenhänge infrage: etwa, ob die Negativzinsen tatsächlich eine Aufwertung verhindern oder ob eine mässige weitere Verteuerung des Frankens die Wirtschaft tatsächlich in eine Krise stürzen würde.
Jordan ging in seinem Vortrag auch auf zwei Forderungen ein, die zur Entlastung der Pensionskassen bereits erhoben wurden: zum einen, dass Pensionskassen mit einem Konto bei der SNB von den Negativzinsen befreit werden; zum anderen, dass die Einnahmen aus dem Negativzins den Kassen überlassen werden könnten. Beiden Anliegen erteilte der SNB-Präsident eine klare Absage.
Eine Befreiung der Pensionskassen würde gemäss Jordan den Effekt der Negativzinsen «empfindlich schmälern». Denn damit diese Zinspolitik die gewünschte Wirkung entfalte, müsse der Negativzins möglichst flächendeckend auf den Girokonten bei der SNB erhoben werden. Eine Auszahlung der Einnahmen aus den Negativzinsen würde zu Zielkonflikten zwischen einer nicht der SNB obliegenden sozialpolitischen Aufgabe mit ihrer Geldpolitik führen. Ausserdem würde das die Auszahlung an Bund und Kantone mindern, «letztlich wäre das ein Nullsummenspiel», meinte Jordan.
In den letzten Jahren beliefen sich die Einnahmen aus den Negativzinsen auf rund 2 Milliarden Franken. In den ersten neun Monaten dieses Jahres waren es 1,7 Milliarden, wie die SNB gestern bekannt gab. Künftig wird es aber nicht mehr viel mehr als eine Milliarde Franken pro Jahr sein, weil die SNB die Beträge für die Giroeinlagen der Banken erhöht hat, die von den Negativzinsen befreit bleiben.
Der fehlende Königsweg
Schliesslich erklärte Jordan, die Pensionskassen seien auch ganz unabhängig von der Notenbankpolitik stark gefordert und zu Anpassungen in ihrem Geschäftsmodell gezwungen. Zum einen seien die Zinsen schon länger aus strukturellen Gründen weltweit im Sinken begriffen. Gedrückt würden sie vor allem durch die höhere Ersparnisbildung für eine längere Lebenserwartung, aber auch durch geringere Investitionen und eine sinkende Produktivität der Wirtschaft. Im Kontrast zu den dadurch sinkenden Erträgen auf dem Sparkapital erhöht die längere Lebenserwartung aber die Verpflichtungen der Pensionskassen gegenüber den Rentnern.
Um die Lage zu verbessern, hätten Pensionskassen immerhin bereits Massnahmen ergriffen, etwa indem sie mehr in Aktien oder Immobilien und im Ausland investierten, um höhere Erträge zu generieren als bei Investitionen in Staatsanleihen. Doch mit diesen Massnahmen könnten die Probleme für die Kassen durch die längeren Lebenserwartung nicht bewältigt werden. Ausserdem seien mit solchen Anlagen höhere Risiken beziehungsweise Schwankungen in den Erträgen verbunden.
Als mögliche langfristige Lösung für das Dilemma der Pensionskassen bringt Jordan höhere Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern ins Spiel, eine Reduktion der Leistungen oder der Bezugsdauer für diese. Ein Königsweg existiere leider nicht. Es ist nicht anzunehmen, dass diese Botschaft bei den Arbeitsnehmervertretern im Publikum besonders gut ankommt.
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