Grüner Dreisternekoch im Interview«Kohl ist das Produkt der Zukunft»
Die Haute Cuisine tut sich oft schwer mit Nachhaltigkeit. Simon Rogan ist eine Ausnahme: Der weltweit erfolgreiche Brite serviert unter anderem Gemüse von seiner Farm in Nordengland.
Herr Rogan, Ihr Restaurant in Hongkong heisst Roganic. Das kann kein Zufall sein, oder?
Natürlich nicht. Es ist ein Anagramm. Organic – bio – ist für uns oberste Priorität. Die Presse hat uns für diesen Gag übrigens verrissen, er sei billig, hiess es.
Das ist es ja auch ein wenig. «Bio» schreiben sich mittlerweile viele auf die Fahne. Was machen Sie anders?
In Cumbria, wo unser Hauptrestaurant steht, betreiben wir eine Farm, die nur fünf Minuten von der Küche entfernt ist. Unser ganzes Arbeitsleben dreht sich um diesen Bauernhof mit biodynamischem Obst, Gemüse, Kräutern und Blumen. Es ist ein riesiges Kreislaufsystem. Wir verschwenden nichts.
Wie ist das möglich?
Unter anderem dank unseren Heisskomposten. Das ist eine Art des Kompostierens für Fleischreste, Fisch, Gräte, Rüstabfälle. So geben wir dem Boden alles zurück.
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Das klingt schon fast ein bisschen esoterisch – und nach Bilderbuchbetrieb.
Tatsächlich geht es mir bei der Nachhaltigkeit nicht nur um die Natur und unseren Umgang mit den Ressourcen. Es geht auch darum, wie wir bei der Arbeit miteinander umgehen. Auf der Farm läuft nicht immer alles nach Plan: Wir leben im äussersten Nordwesten Englands. Das Klima kann sehr unberechenbar sein – an einem Tag ist es sehr heiss, dann wieder sehr kalt. Die Sommer können wochenlang nass und dann plötzlich wieder sehr trocken sein.
Ein konkretes Beispiel für einen Misserfolg?
Na ja, wenn der Küchenchef ein Menü auf Karotten aufbaut, die super wachsen und wunderschön aussehen – bis sie von der Karottenfliege befallen werden! Dann landet alles in der Komposthitze. Aber man kanns ja positiv sehen: Das Gemüse endet zwar nicht auf dem Teller, ergibt aber schönen Kompost.
Kochen Sie kompliziert?
Nein. Je besser unsere Produkte werden, also je mehr unser Betrieb meinem ursprünglichen Traum nahekommt, desto simpler werden meine Gerichte. Ich glaube, damit ist auch der Erfolg der letzten Jahre zu erklären – wir spielen weniger herum, versuchen nicht mehr, Produkte künstlich zur Geltung zu bringen. Geschmack ist das oberste Gebot – es ist erstaunlich, wie viele Köche das vergessen.
Wir treffen Sie hier in St. Moritz – fernab von Ihrem Garten. Wie passt das mit Ihren Idealen zusammen?
Wir haben fast alles mitgebracht, ausser die frischen Sachen wie Jakobsmuscheln, die kommen aus Frankreich. Obst, Gemüse, Kräuter und Blumen stammen hundertprozentig von unserem Hof.
Im Februar?
Wir bereiten jeweils vieles in den warmen Monaten vor. So haben wir jetzt Pickles, viel Fermentiertes, Getrocknetes. Wurzelgemüse legen wir in feuchten Sand und bedecken sie mit Heu, so bleiben sie haltbar. Ich finde sogar, Karotten, Randen oder Sellerie werden so süsser, der Geschmack ist fast besser, und wir können noch einmal Sprossen ernten. Im Sommer müssen wir auf Hochtouren arbeiten – die englischen Sommer sind kurz und die Winter kalt und dunkel.
Sie haben einmal gesagt, Sie seien kurz davor, mit «zero waste» zu arbeiten, also ohne jeglichen Abfall. Wie steht es damit?
Bestens. In den englischen Restaurants haben wir so gut wie keinen Abfall mehr. Das Problem waren lange die Fischlieferungen aus Cornwall – die kamen oft in Styroporverpackungen. Nun fährt ein Lieferwagen mit Frischware hoch zu uns – und zu anderen Hotels und Restaurants in unserer Gegend, wir haben uns zusammengeschlossen. Wir sind dran, die Lieferanten davon zu überzeugen, endlich ein elektrisches Fahrzeug zu kaufen.
Woher kommt dieses Bewusstsein für Verschwendung?
Vielleicht aus meiner Jugend? Ich bin in Southampton aufgewachsen. Mein Vater war Obst- und Gemüseverkäufer in einem Grossmarkt. Jeden Freitag brachte er einen Kartoffelsack voller Produkte nach Hause, mit damals exotischen Früchten wie zum Beispiel Papaya. Niemand wusste, was man damit machen sollte, ich aber wollte schon damals nichts kaputtgehen lassen und begann zu experimentieren.
Gehen Sie heute noch – wie in Ihren Anfängen – Pilze und Wildkräuter sammeln?
Ja. Wir leben, um nur ein Beispiel zu nennen, im «Süssdoldenland». Es gibt massenhaft von diesem Kraut, und man kann alles brauchen, Stängel, Blätter, Blüten. Es schmeckt intensiv nach Anis.
Was ist das Produkt der Zukunft?
Für uns in England ist es sicher unter anderem Kohl, das Terroir ist perfekt dafür. Ich liebe Broccoli, Kohlrabi, Grünkohl oder Wirsing, und ich liebe es, damit zu kochen.
Kochen Sie Fleisch?
Ja, bei uns gibt es, glaube ich, mehr Schafe als Menschen. Die einheimische Rasse heisst Herdwick. Das Fleisch schmeckt grandios.
Was tun Sie, wenn Sie freihaben?
Ich gehe im Meer schwimmen. Das ganze Jahr über. Oder auf einen Spaziergang mit meiner Frau. Jetzt, da ich all den Schnee hier sehe, würde ich gern wieder einmal Ski fahren, es ist 35 Jahre her. Aber der Geschäftsführer meiner Restaurants hat es mir verboten – er hat Angst, dass ich verunfalle. Ich muss zu viele Termine wahrnehmen in den nächsten Monaten.
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