Pro und KontraIst es sinnvoll, die Siegerehrung abzuschaffen?
Am Sihltaler Frühlingslauf vom 1. Mai gibt es bei den Kleinsten weder Podest noch Rangliste. Dafür eine Medaille für alle. Darüber lässt sich streiten.
Ja
Seit der Antike werden Helden des Sports gefeiert. Auf dem Siegerpodest präsentieren sie sich, lassen sich bejubeln. Im Sihltal wird dieser jahrtausendealten Tradition nun ein Ende gesetzt, zumindest bei den Kindern. Und das ist gut so.
Das OK des Sihltaler Frühlingslaufs hat entschieden, bei den Kategorien Mini und Midi auf die Siegerehrung zu verzichten. Die gelaufenen Zeiten werden zwar erfasst und veröffentlicht. Aber eine Rangierung gibt es nicht. Die Verantwortlichen wollen damit erreichen, dass der Frühlingslauf für alle – statt nur für wenige – Kids ein Erfolgserlebnis ist.
«Auch das noch», mögen Kritiker rufen, «jetzt werden Kinder sogar im Sport pädagogisch verweichlicht.» Zugegeben, im Sport geht es oft um Leistung und immer um Emotionen. In diesem Fall sollte man die Sache aber nüchtern betrachten: Betroffen von der Neuerung am Frühlingslauf sind nur die bis zu zehn Jahre alten Kinder. Lob und Anfeuerungsrufe ihrer Eltern dürften für sie wichtiger sein als die Aussicht auf einen Podestplatz.
Kommt hinzu, dass es für die Kompetitiven unter ihnen genügend andere Gelegenheiten gibt. Zum Beispiel an Leichtathletikwettkämpfen. Auf der Rundbahn geht es schon im jüngsten Alter zuweilen ruppig zu und her, wie ich als ehemaliger Mittelstreckenläufer weiss.
Wem das nichts ausmacht, ist dort gut aufgehoben. Das ändert aber nichts an einem zentralen Grundsatz: Die Leidenschaft für die Bewegung ist die Basis allen sportlichen Erfolgs. Diese Leidenschaft gilt es zuerst zu fördern. Der Ehrgeiz kommt an zweiter Stelle – und meist von selbst.
Wer es bis an die (inter)nationale Spitze schaffen will, wird ohnehin noch genügend lange auf den Ehrgeiz angewiesen sein. Es sind ausgerechnet zwei Sihltaler, die das beweisen: 5000-Meter-Spezialist Jonas Raess und 400-Meter-Läufer Lionel Spitz. Die beiden jungen Männer gehören in ihren Disziplinen zu den Besten in Europa.
Nein
Es war nach dem zweiten Skirennen der Skiferien. Unser Sohn, damals zehn Jahre alt, war beim ersten Rennen auf der vereisten Piste zu aggressiv gefahren – und ausgeschieden. Beim zweiten wollte er es besser machen, fuhr sicher, aber mit angezogener Handbremse – und wurde Vierter. Innert Wochenfrist zwei Siegerehrungen, bei denen er nur Zuschauer war: Es war hart für ihn und hart für uns Eltern, ihn dabei zu sehen.
Da immer nur drei auf dem Siegerpodest stehen können, geht es den allermeisten, die an Sportwettkämpfen teilnehmen, genau wie ihm. Ist es darum pädagogisch sinnvoll, ihnen allen eine Medaille zu geben?
Die Antwort lautet: nein. Auf jene zu fokussieren, die es nicht aufs Podest schaffen, ist falsch. Es sagt aus, dass etwas gut zu können gar nichts Besonderes ist. Und es ist eine Illusion zu glauben, dass Kinder sich und ihre Leistung nicht vergleichen, nur weil es keine Siegerehrung gibt. Das ist auch gar nicht falsch. Kinder lernen durch Nachahmen. Das bedingt, dass sie anderen zuschauen – und vergleichen.
Genau dies scheinen heute viele, allen voran die Lehrkräfte, den Kindern austreiben zu wollen. Ständig halten sie ihnen vor, sich und vor allem ihre Noten (oder Farben) nicht zu vergleichen.
Häufig bewirkt dies genau das Gegenteil. So geschehen, als unser Sohn in der ersten Klasse war und die Kinder ihre ersten Zeugnisse bekamen. Die Lehrerin hatte ihnen eingeschärft, den Briefumschlag mit dem Zeugnis erst zu Hause zu öffnen. Die Kinder hatten das Schulgelände noch nicht verlassen, da wussten bereits praktisch alle die Noten von allen.
Die Schule und sportliche Veranstaltungen sind dazu da, die Kinder aufs Leben vorzubereiten. Dieses hält Höhen und Tiefen, Siege und Niederlagen bereit. Es ist kontraproduktiv, den Kindern zu vermitteln, sie seien alle Sieger. Je später man lernt, mit Niederlagen umzugehen, desto schwieriger wird es.
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