Störmanöver am G-20-GipfelSie will, dass die Welt ihren Verlobten nicht vergisst
Saudiarabien will nach dem brutalen Mord an Jamal Khashoggi auf die Weltbühne zurückkehren. Aber Hatice Cengiz hat da ein paar unangenehme Fragen.
Am 2. Oktober 2018 stand Hatice Cengiz vor dem Konsulat Saudiarabiens in Istanbul. Stundenlang. Ihr Verlobter, der Publizist Jamal Khashoggi, hatte die Vertretung seines Heimatlands um 13.14 Uhr betreten. Khashoggi wollte nur ein Dokument abholen, das für seine Eheschliessung mit Cengiz fehlte. Gegen 16 Uhr erkundigte diese sich, wie lange das Konsulat geöffnet habe. Sie erfuhr, dass angeblich bereits alle das Gebäude verlassen hätten.
Nach den Erkenntnissen türkischer Ermittler und westlicher Geheimdienste wurde Khashoggi kurz nach seiner Ankunft ermordet. Heute, zwei Jahre später, wartet Cengiz immer noch – auf Gerechtigkeit.
Dieses Wochenende versucht der Mann, den Cengiz für den Mord an ihrem Verlobten verantwortlich macht und den sie im Oktober vor einem US-Gericht verklagt hat, sein Comeback auf der Weltbühne. Eine Zeit lang hatten Spitzenpolitiker Muhammad bin Salman nach der Khashoggi-Affäre gemieden, wollten nicht mit dem saudischen Kronprinzen in Verbindung gebracht werden.
Mit dem G-20-Gipfel sollte nun jedoch nach Wunsch des Königshofs die Rehabilitation des Mannes abgeschlossen werden, der die Politik in Saudiarabien bestimmt: Fotos und Händeschütteln mit dem Gastgeber kann kein Teilnehmer ablehnen.
Hatice Cengiz will diese Normalisierung im Umgang mit bin Salman verhindern, kämpft gegen das Vergessen. Gäbe es einen für sie erreichbaren Tagungsort, stünde sie zweifelsohne davor, wenn sich die 20 grössten Industrienationen nun treffen. Die erwünschten Bilder im Kreis der Wichtigsten der Welt wird der Kronprinz nicht bekommen, wegen der Pandemie findet der Gipfel nur virtuell statt.
Doch Cengiz ruft dazu auf, dass die Staatschefs den Gastgeber zumindest im Videochat mit peinlichen Wahrheiten konfrontieren. «Die internationale Gemeinschaft kann nicht so tun, als sei nichts geschehen», sagt sie.
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Um diese Botschaft loszuwerden, ist die heute 38 Jahre alte Frau viel unterwegs. Sie redete vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen, im US-Kongress, im Europaparlament und vor wenigen Tagen vor britischen Abgeordneten. Zudem drehte sie mit dem Oscargewinner Bryan Fogel einen Dokumentarfilm und gab ungezählte Interviews, auch im Rahmen des Filmfestivals in Zürich. Cengiz fällt das nicht leicht, sie spricht leise und stockend, lispelt leicht. Sie habe nie eine öffentliche Person sein wollen, sagt sie. «Aber wenn ich nicht für Jamal spreche, tut es ja keiner.»
Den Kolumnisten hatte sie im Mai 2018 nach ihrem Uniabschluss auf einer Konferenz kennen gelernt. Cengiz bat Khashoggi um ein Interview, bald sprachen die beiden von Heirat. Khashoggi kaufte eine Wohnung in Istanbul. Sie freute sich auf das Leben mit dem damals schon fast 60-Jährigen – ihre einzige Sorge sei es gewesen, dass nicht all ihre Bücher in die neue Wohnung passen würden.
Nach dem Mord habe sie zu vergessen versucht, erzählt Cengiz. 2019 zog sie nach London. Doch das Weglaufen habe nicht funktioniert. Heute arbeitet sie an einer Doktorarbeit, an ihrem Englisch und auch daran, dass die vielen Akteure der Zivilgesellschaft nicht vergessen werden, die Muhammad bin Salman willkürlich verhaften liess. Damit führe sie, so ist sich Cengiz sicher, «ein Leben für Jamal, aber ohne Jamal».
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