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Alicia Keys hat ein neues Album
Sie war gut, ist gut, wird gut sein

Wie ein warmes Milch-Honig-Bad: Alicia Keys kürzlich bei einem Auftritt in Dubai.
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Alicia Keys könnte der langweiligste Popstar auf diesem Planeten sein. Immer gut, immer diszipliniert, immer geliebt. Keine Scheidungskriege, keine Depressionen. Keine Skandal-Songs, nie fiebrige Wut, nie extreme Parolen. Seit 20 Jahren eine Frau am Klavier. Seit 20 Jahren kratzt die ehrliche Soul-Stimme Schlafzimmertüren auf, hinter denen ausser dem Fernseher nicht viel läuft. Und es gelingt ihr, Teufel noch mal, schon wieder.

Ihr neues Album «Keys» (schlüssige Erbfolge nach dem Album «Alicia») wirkt wie ein warmes Milch-Honig-Bad gegen die Schuppen, die uns in zwei Jahren Wegtauchen gewachsen sind. Keys stellt also Kerzen an den Wannenrand, streichelt über den Schopf und singt, worüber sie gern singt: Liebe, Gott, den Fight. Meistens verliert man den ja, aber: At least we try to make it.

Das Album, mit dem sie nach Selbstaussage «zu Hause ankommt», zielt also präzise auf den Schnurr-Reflex. Wie macht sie das? Und: Wenn das Konzept Alicia Keys am Klavier immer noch funktioniert – bleibt Hoffnung in dieser Aufmerksamkeits-versauten Pop-Welt?

Vielleicht muss man ganz vorne beginnen, auch wenn das nicht leicht ist bei einer Künstlerin, die von Anfang an gut war – und dann einfach gut blieb. 2001, Chicago, «Oprah Winfrey Show». Alles leuchtet lila-pink – das Scheinwerferlicht, der Jackettkragen von Alicia Keys und Oprah Winfreys Lidschatten. Keys sagt, sie schreibe Musik, seit sie 14 ist, und bekennt mit gesenkten Lidern und einer Bestimmtheit als sei es ein Gebet: «Ich wusste, das ist mein Weg. Ich musste ihm folgen.»

Dann sitzt sie am Flügel, wiegt den mit Cornrows geflochtenen Kopf gefühlvoll, während sie «Für Elise» von Beethoven spielt. Kein wahnsinnig schweres Stück, aber geeignet fürs Oprah-Winfrey-Publikum, das wahrscheinlich keine Ahnung hat, was die Suzuki-Methode sein soll, mit der Alicia Keys zwölf Jahre Klavier lernte, wie sie in der Show erzählt.

Erst nach Beethoven spielt sie: «Fallin’»

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Es war eine wegweisende Performance: Ikonische Songs. Mehr als drei Akkorde. Aus ihrem ersten Plattenvertrag mit Columbia-Records kauft sie sich frei, weil sie sich in ihrer künstlerischen Freiheit eingeschränkt sieht. Ihr gesamtes erstes Album «Songs in A Minor» schreibt und produziert sie selbst. Sie will Musik für Elise, Musik für Justin, Musik für alle, ohne sich verraten zu müssen. Ohne Hook-Prügeleien aufs Grosshirn. Aber auch ohne Kunst-Verkopfung. Bei allen Blue-Notes bleibt sie dem Pop treu.

In der Show knallt «Fallin’» ab der ersten Sekunde, die Talk-Göttin wippt mit, das Publikum applaudiert ekstatisch dieser ausgefuchsten, aber eingängigen R’n’B-Nummer. Nach der Sendung springt der Song an die Chartspitze. Alicia Keys wird vom Newcomer zur Berühmtheit.

Sie blieb immer ein paar Millimeter vor der Katy-Perry-Schlucht.

Auf der Haben-Seite seither: 15 Grammys, mehr als 65 Millionen verkaufte Tonträger, eine glückliche Ehe. Man betitelt sie als «Wortführerin des amerikanischen Pop», als «R'n'B-Queen». Und nun das Faszinosum: Alicia Keys hat es geschafft, ohne Nostalgie-Fluch erfolgreich (und gut!) zu bleiben. Zunächst 00er-Jahre-Crop-Top-Phänomen, schrieb sie in den 10er-Jahren Gröl-Pop-Nummern wie «Girl on Fire». Und blieb trotz hallender Drums und Volle-Abfahrt-Refrains immer ein paar Millimeter von der Katy-Perry-Schlucht und Miley-Cyrus-Abrissbirnen entfernt.

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Vor allem kehrte Keys aber immer zurück zur Wurzel, dem R’n’B und Soul. Zu der Musik, mit der sie ihre Mutter im New Yorker Arbeiterviertel Hell's Kitchen grosszog. Damit gelang das doch weithin irre Kunststück, sich nicht zu wiederholen, ohne sich neu zu erfinden. Alicia Keys ist ihre eigene Referenz auf dem Musikmarkt. Sie spielt als ernsthafte Musikerin in der Berühmtheitsliga von Taylor Swift, Beyoncé, Rihanna, Barack Obama. Trotz Postmoderne. Trotz zerfieselter Welt in 9999 Probleme. Trotz Statement- und Neufindungssucht.

Beweise? Bitte: Prince lud sie auf sein Anwesen in Minnesota ein, erteilte die Erlaubnis, seinen Song «How Come You Don't Call Me» zu covern. Bob Dylan widmete ihr «Thunder On The Mountain» samt Zeilen wie: «Ich frage mich, wo um alles in der Welt Alicia Keys sein könnte / Ich habe sie sogar in Tennessee gesucht.» Egal, wo sie steht, steht sie richtig. Sie schreibt Songs gegen Rassismus, ohne zu Brüllen. Hinter Beyoncé strahlt auf der MTV-Music-Awards-Bühne das Wort «Feminist», Alicia Keys beschliesst, klar öffentlichkeitswirksam, aber ohne Groll, sich nicht zu schminken. Bis sie sich halt doch wieder schminkt. «Freude ist eine Form des Widerstandes», sagte die Sängerin im US-Wahlkampf. Auf Tiktok oder Instagram strahlt, lobt, preist die Sängerin das Leben, ihre Kollegen, die Musik.

Wie man so wird? «Be clear, be beautiful, be genuine.»

So viel positive Vibes geben bei einem Megastar, der eine eigene Soul-Care-Beautylinie hat, erst mal allen Grund zur Skepsis. Eigentlich.

Das Ausmass des gefundenen Zen-Mitte-Seelenheils zeigt sich jedoch nun ganz aktuell in der neuesten Folge von Palina Rojinski Podcast «Podkinski». Alica Keys reagiert auf jede Frage von Rojinski so verzückt, als wäre jede der Fragen reine Poesie. Irgendwann kreischt sie: «Oh mein Gott, die haben mir gesagt, dass ich dich toll finden würde. Ich liebe es hier!» In der Dreiviertelstunde fallen circa 150 Mal wechselnd die Ausrufe «Wow, that's so beautiful», «So good», «Oh my god, that's so nice». Als kämen die zwei aus der Sauna, das Hirn noch frisch vom Kiefernadel-Aufguss vernebelt.

Eigentlich lauscht man so einem Geschmeichel inzwischen ja mit hochgezogenen Augenbrauen. Na klar, das neue Album entstand «effortless», alles ohne Schreib- und Sinnkrisen. Sie ist seit mehr als einem Jahrzehnt glücklich mit ihrem Mann, dem Rapper und Produzenten Swizz Beatz, und kennt das Rezept für eine funktionierende Ehe (gute Zeit, ähnliche Interessen, Raum geben). Ihr Album ist neben seinem Dasein als Tonträger ein Universum, sowieso ist alles ein bisschen transzendent, überall lauert «crazy energy» oder ein «Portal», wohin auch immer.

Bei Alicia Keys schmeckt Zynismus nicht.

Wie man so wird? «Be clear, be beautiful, be genuine.» Bei vielen anderen würden solche Sätze den dringenden Verdacht leeren Lifestyle-Geschwafels erwecken. Nur, und das ist der Punkt, schmeckt der Zynismus bei Alicia Keys nicht.

Vielleicht hängt ihr Dauer-Flow mit jener Lässigkeit zusammen, die sich Keys aus ihrer sicherlich nicht so Zen-friedlichen New Yorker Kindheit im Arbeiterviertel Hell’s Kitchen bewahrt hat. Trotz Jimmy-Choo-Pumps: Reebok-Sneaker stehen ihr nach wie vor gut.

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Vor allem aber legitimiert ihr neues Album jede noch so platte Buddha-Zeile. Mit «Keys» beweist sie eine nie verschwundene Neugierde auf Musik. Sie will sich nicht zwischen Street-Style und intimer Piano-Session entscheiden. Für jeden Song gibt es eine sogenannte «Unlocked»-Version. Während der erste Teil des Doppelalbums verzwickte Jazzharmonien, Klavierläufe, schleifende Blue-Notes auskostet, hat Teil zwei mehr 90er-Jahre New York, mehr Beat und Lil Wayne.

Das funktioniert fast immer, auch wenn ein paar der schnelleren Nummern nach Disco aus der Tube klingen. Vor allem Teil eins ist meisterhaft. Vinyl knistert, man zündet eine Duftkerze an, schunkelt in Baggy Pants zu den diamantklaren Gospel-Wahrheiten, die Alicia Keys schmettert. Ohne Meta, ohne intellektuelle Abzweigung. Wow, that's so beautiful.