Zum Tod der brasilianischen Sängerin Elza SoaresSie lebte zwischen Triumph und Tragödie
Elza Soares wurde rassistisch gedemütigt, verehrt und mit Steinen beworfen. Nun stürzt ihr Tod ganz Brasilien in Trauer. Das Porträt einer Samba-Sängerin, die sich mit der Welt anlegte.
Nachdem der Applaus verklungen ist, hält Elza Soares auf einmal inne. Sie lässt den Blick von ihrem Rollstuhl aus, auf dem sie eher thront als sitzt, über das Menschenmeer vor der Festivalbühne schweifen: «Die Organisatoren haben mich gebeten, heute Abend auf der Bühne keine politischen Statements zu tätigen, das bringe bloss Unruhe ins fröhliche Volk.» Kurze Pause, in der sich ihr Blick beängstigend verfinstert. «Als ob sich eine Neunzigjährige die Stimme verbieten lassen würde. Fick dich selbst, Bolsonaro! Wir leben in einem Land der Träume, aber es ist Zeit, aufzuwachen.»
Das Publikum eines grösseren brasilianischen Festivals ist zu gleichen Teilen empört und begeistert – ein übliches Szenario in einem politisch und gesellschaftlich heillos gespaltenen Land. Das war 2019. Und es war beileibe nicht das erste Mal, dass diese Frau im Land des Sambas und der vermeintlich chronischen Fröhlichkeit für Turbulenzen sorgte.
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Wenn in einem Nachruf geschrieben steht, die Welt habe eine markante und wichtige Stimme verloren, dann ist das meist bloss eine symbolische Geste. Vermutlich wird das auch im Nachruf auf Meat Loaf stehen. Doch im Falle dieser Dame aus Rio ist es wahr: Ihre Stimme hatte das Zeug, auf und neben der Bühne ein ganzes Volk im Mark zu erschüttern. Rein musikalisch klang sie ungehobelt und rau. Ihr Vibrato hatte nicht im Sinn, einen Ton hübsch auszuschmücken. Es schien vielmehr, als wolle Elza Soares damit das ganze erlebte Leid aus der Tiefe ihres Seelenschlundes würgen. Und mit Leid hat das lange (und bereits verfilmte) Leben der Elza Soares tatsächlich nicht gegeizt.
«Von welchem Planeten stammst denn du?», fragte der Moderator spöttisch. Elzas Antwort: «Ich stamme vom Planeten Hunger.»
Als sie 1953, im Alter von 23 Jahren, unter grossem Gelächter seitens des Publikums die Bühne eines nationalen Musikwettbewerbs betrat, war sie bereits Witwe, musste vier Kinder grossziehen, zwei waren wegen Unterernährung gestorben, und eine Tochter war unter mysteriösen Umständen entführt worden. Ihr Mann, den sie im Alter von 12 Jahren heiraten musste, hatte sie über Jahre misshandelt und zweimal auf sie geschossen. Sie schlug sich als Boxerin und Fabrikarbeiterin durch. Das Einzige, was ihr im Leben geblieben war, war der Traum, es einmal als Sängerin zu schaffen.
«Das Leben ist die Hölle»
Das Gelächter im Publikum rührte daher, dass Elza Soares mangels Alternativen das schönste Kleid ihrer 20 Kilo schwereren Mutter ausgeliehen hatte, dieses mit Windeln stopfte und auch sonst einen etwas verunsicherten Eindruck machte. «Von welchem Planeten stammst denn du?», fragte der Moderator spöttisch. Elzas Antwort: «Ich stamme vom Planeten Hunger.» Ein Begriff, der kürzlich zum Titel ihres 34. Albums werden sollte.
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Den Gesangswettbewerb gewann sie, wurde dann von einem Orchester entdeckt, mit dem sie an Partys und Hochzeiten auftrat, sofern die Auftraggeber sie wegen ihrer schwarzen Hautfarbe überhaupt auf die Bühne liessen. Rassismus sollte ihr in ihrer Karriere noch öfter begegnen. Als sie Anfang der Sechzigerjahre vom Label RCA Victor ins Studio geladen wurde – Elza Soares hatte sich in der Zwischenzeit einen Namen als Radio-Sängerin gemacht –, wurde sie kurzerhand wieder nach Hause geschickt. Eine Schwarze, das wollte man dem Marketing nicht zumuten.
Hatte Stefan Zweig, der vor den Nazis nach Brasilien flüchtete, in seinem Buch «Brasilien, ein Land der Zukunft» noch das Bild eines toleranten, friedlichen Landes skizziert, in dem alle Kulturen friedlich zusammenleben, sah die Wirklichkeit komplett anders aus. «Seit meiner Jugend hat sich die Lage der Schwarzen in Brasilien kein bisschen verbessert», sagte Elza Soares kürzlich in einem Interview. «Das Leben ist für Minderheiten immer noch die Hölle. Deshalb kämpfe und schreie ich für Schwule, für Schwarze, für Jugendliche, für Frauen, für die, die nicht gehört werden. Das ist Teil meiner Persönlichkeit.»
Treffen mit Louis Armstrong
Anfang der Sechzigerjahre schien ihr Leben in günstige Bahnen zu münden. Sie nahm erste Alben auf, eine gefällige Mixtur aus Samba, Bossa nova und Unterhaltungsmusik für die Fernseh-Showtreppen. Sie tourte durch die Welt und sang eines Abends gar ein Duett mit Louis Armstrong. Elza Soares: «Ich kannte ihn nicht. Da er ähnlich sang wie ich, dachte ich, er versuche, mich zu imitieren.»
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Die Frau aus Rio wurde zur nationalen Bekanntheit, bis sich in ihrem Leben einmal mehr alles zum Schlechteren wenden sollte. 1962 hatte Elza Soares den Fussballer Garrincha kennen gelernt, ein nationales Heiligtum, von dem sein Mitspieler Pele sagte, er sei weit begabter als er selber. Für Elza verliess Garrincha seine Frau und seine acht Töchter, was im katholischen Brasilien nicht gut ankam. Vier Jahre lang konnten sie ihre Affäre vor der Presse verheimlichen, was danach folgte, sollte die beiden vollends aus der Bahn werfen.
Elza Soares, die Ehebrecherin, wurde zur meistgehassten Sängerin des Landes. Das ging so weit, dass sie vor aufgebrachten Fans flüchten musste und mit Steinen beworfen wurde. Weil sie sich auch weiterhin politisch engagierte, rückte sie zusätzlich in den Fokus der herrschenden Militärdiktatur, deren Polizeikräfte mehrfach ihr Haus verwüsteten. Als es gar zu einer Schiesserei kam, zog die Familie vorübergehend nach Rom. Garrincha, der seit seinem zehnten Lebensjahr Alkoholiker war, war ein seelisches Wrack, seit bei einem von ihm im Suff verschuldeten Autounfall Elza Soares’ Mutter ums Leben gekommen war. 1982 trennten sich die beiden, ein Jahr später starb Garrincha an einer Leberzirrhose.
Avantgardistisches Comeback
Elza Soares’ Leben blieb ein Schlenkern zwischen Triumph und Tragödie. Musikalisch konzentrierte sie sich nun gänzlich auf den Samba, den sie mit ihrer immer heiserer werdenden Stimme neckisch aufraute. Doch hinter dem Showlächeln taten sich Abgründe auf. Zwar fand sie 1980 ihre entführte Tochter wieder, doch vier ihrer Kinder starben an Krankheiten oder bei Autounfällen. Sie wurde depressiv und drogensüchtig und lebte zeitweise in den am schlechtesten beleumundeten Gegenden Rios.
Doch wieder rettete sie die Musik. Der Sänger und Liedermacher Caetano Veloso verhalf ihr zu einem Comeback. Anfang des neuen Jahrtausends modernisierte sie ihren Sound, begann mit elektronischer Musik und Hip-Hop zu experimentieren, wurde von der BBC etwas hochtrabend zur «besten Sängerin des Jahrtausends» erkoren und wiederholt für den Grammy nominiert. Und sie erregte die Aufmerksamkeit der brasilianischen Musik-Avantgarde. Auf ihren letzten Alben vermengte sie Tropicalia mit Psychedelik, Artrock und Elektronik zu einer abenteuerlichen Kunstmusik. Das klang so viel fortschrittlicher als vieles, was die junge, hippe Musikszene Brasiliens so hervorbrachte, weshalb sie 2018 gar ans fashionable Glastonbury Festival geladen wurde.
Am Morgen des 20. Januar ist Elza Soares im Alter von 91 Jahren gestorben. Rio verhängte kurz darauf eine dreitägige Trauer. «Elza Soares war eine aussergewöhnliche Konzentration von Energie und Talent im Organismus der brasilianischen Kultur», liess Caetano Veloso verlauten. Und sie war eine, die sich auch in den dunkelsten Stunden Brasiliens nie scheute, gegen Rassismus, Homophobie und politische Verirrungen die Stimme zu erheben. Ja, diese Stimme wird schmerzlich fehlen.
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